Der Ukrainekrieg ist einfach ein Geschenk für das große Kapital. Er beerdigt den ohnehin schon klinisch toten Klassenkampf und schweisst die Volksgemeinschaft gegen ein gemeinsames Feindbild zusammen. Auch bei den Gewerkschaften stehen die Reihen fest geschlossen. Ohne den Russenhitler als ultimativem Schuldigen an der Misere, hätten sPD und Grüne womöglich nie durchsetzen können, dass die Kosten der Lieferketteninflation auf die arbeitende Bevölkerung sozialisiert werden, während die fdP dafür sorgt, dass von steigenden Preisen gesegnete SpekulationsgewinnerInnen nicht durch Steuern an der Entfaltung ihrer Schaffenskraft gehindert werden. Bei BDA und BDI müssten sie dem russischen Autokraten eigentlich Denkmäler vor den Verbandszentralen errichten.
Verarmung und Spaltung – neuerdings nur durch Putin?
Wenn Ungleichheit als Werk einer fremden Macht gilt und Gewerkschaften und Armutsforschung sich gleich mit um den nationalen Schulterschluss kümmern.
Alles anzeigen[...] Putin – und nicht die lange akzeptierte Ungleichheit – tötet systematisch Menschen auf dem Globus, wie die jüngsten westlichen Einlassungen zum Welthungerproblem noch einmal klargestellt haben.
Dass Preise steigen – übrigens bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine – soll man sich, wenn nicht gerade ein nationales Feindbild zur Hand ist, wie einen Naturprozess vorstellen, verursacht durchs Steigen an der einen Stelle, was dann Dasselbe an anderer Stelle nach sich zieht. So gehen Erklärungen von Experten und stellen streng genommen einen "Fall von Desinformation" dar.[...]
Aber es gibt ja in Deutschland eine machtvolle Interessenvertretung der legendären "kleinen Leute", eben die Gewerkschaften. Und auch wenn sie immer mehr Mitglieder verlieren, stellen sie nach wie vor einen Machtfaktor dar. Einen Faktor, der sogar, wenn er sich wirklich für die Belange derjenigen einsetzen würde, die von der "Arbeitgeber- und Kapitalmacht" (DGB) abhängig sind, an Attraktivität gewinnen könnte.
Dafür müssten diese Vereine aber erst einmal besagten Gegensatz ins Auge fassen. Leider ist das das Letzte, was ihnen (von Ausnahmen abgesehen) in den Sinn kommt, speziell in der gegenwärtigen Lage.
So gab es am 1. August einen Aufruf "Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!", initiiert von der DGB-Gewerkschaft ver.di. In dessen Forderungsteil heißt es: "Russlands Machthaber Wladimir Putin will die westlichen Demokratien destabilisieren und spalten. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf: Treten wir dieser zerstörerischen Strategie durch unseren Zusammenhalt gemeinsam entgegen!"
Man könnte dies mit einem Statement aus dem Verteidigungsministerium verwechseln. [...]
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit kommt hier gar nicht vor, sondern nur eine Verantwortungsgemeinschaft. Verdi: "Unser Gemeinwesen gründet auf gelebter Solidarität." Letztlich bekennt man sich zur Idee der Volksgemeinschaft, in der (eigentlich) alle ihren Platz haben.[...]
Wie das Gewerkschaftsforum Dortmund jetzt konstatiert, wird das vom neuen DGB-Aufruf bestätigt. Ohne zu konkreten Aktionen aufzurufen, meldet sich der Dachverband zum Antikriegstag am 1. September, mit dem die deutschen Gewerkschaften traditioneller Weise an den deutschen Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnern.
Im Endeffekt, so das Gewerkschaftsforum, unterstützt der neue Aufruf die Regierungspolitik mit ihren Sanktionsmaßnahmen und ihrem Anti-Russland-Wahn und verabschiedet sich von einer Antikriegsposition.
Dass es gesellschaftliche Gegensätze gibt, dass z.B. für die einen Inflation ein interessantes Datum bei spekulativen Geschäften ist, während es anderen eine existenzielle Notlage an den Hals schafft, dass die einen die Lasten zu tragen haben, wovon die anderen – "womöglich" (!) – profitieren, das klingt zwar bei ver.di ganz am Rande an. Aber das ist gleich wieder vergessen im Blick auf das Große Ganze.
Denn jetzt soll gelten: In der Stunde der Not steht das Volk zusammen. Deutschland kennt keine Klassen, Parteien und Konfessionen mehr, rivalisierende Wohlfahrtsverbände ziehen an einem Strang und Wirtschaftsforscher sehen das genau so wie alle anderen: Die Preissteigerungen kommen, bei elementaren Bedürfnissen wird es Einschränkungen geben, prekäre Verhältnisse breiten sich aus – aber da müssen "wir" durch.[...]