Zitat2022 einen Angriffskrieg unter der Prämisse einer »Entnazifizierung« zu führen, ist daher doppelt falsch und durch nichts zu rechtfertigen.[...]
Wobei man natürlich sagen muss, das ist die Prämisse, um die es die meisten Kontroversen gibt, aber nicht die einzige. Die volle Rechtfertigung ist ja sowas wie Entmilitarisierung und Entnazifizierung, um eine neutrale Ukraine zu schaffen, zur Verteidigung des Donbass. Und da ist dann alles drin, dass die NATO die Tür für einen Beitritt der Ukraine offengelassen hat, dass sie sehr schnell auch gegen Russland aufgerüstet wurde, dass der Krieg im Donbass nicht zu einem Ende gekommen ist und eben die Integration von Neonazis in die Streitkräfte und damit einhergehende gesellschaftliche Verankerung.
Es war vor dieser Krise ein Weilchen her, dass ich mich mit der Ukraine intensiver beschäftigt hatte. Insofern hat die Aktualisierung meines Kenntnisstandes schon einige nicht erwartete Erkenntnisse gebracht, wie sich die Tendenzen über die letzten Jahre weiterentwickelt haben. Zum Beispiel wie hoch die Opferzahl durch den Bürgerkrieg im Osten tatsächlich war. Aber auch wie weit rechte Kräfte nicht als Individuen, was es überall gibt, sondern als Organisationen in den Sicherheitsapparat integriert worden sind und wie sich dadurch ihr Image in der Ukraine trotz der fehlenden breiten politischen Zustimmung verbessert hat. Vom Stopp der Süßwasserversorgung der Krim hatte ich vielleicht mal gehört, ohne das voll zu würdigen. Durch den Krieg selbst hat sich gezeigt wie stark das Donezbecken auf ukrainischer Seite befestigt war und wie hoch letztlich ihre Truppenpräsenz dort ist.
Mit anderen Worten vorher habe ich die Situation eher als abstrakte Bedrohungslage aus russischer Sicht gesehen und im Verlauf ist mir klargeworden, dass sie in verschiedenen Bereichen doch deutlich konkreter war. Und das war zweifellos mit einer der Gründe, warum ich einen russischen Angriff auf die Ukraine für ziemlich unwahrscheinlich gehalten habe.
[...] und dass sie weder der Regierung Zelenskyj noch der Regierung Putin gegenüber große Loyalität empfinden. Dass letztere im Begriff ist, sich auch inhaltlich den Positionen faschistischer Gruppierungen im eigenen Land anzunähern ist offensichtlich.
Praktisch war es bei der Regierung von Selenskyj auch der Fall, da er seine eigentliche Agenda nicht umsetzen konnte und dann eben auch auf Eskalation gegenüber dem Donbass und Russland umschwenken musste. Das ist tatsächlich auch etwas, was mir erst in den letzten Wochen so richtig klar geworden ist. Am Anfang des Krieges hätte ich das Verbot dieser ganzen Neonazi-Organisationen noch für eine Nebensächlichkeit gehalten, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ob es so weit geht, wie manche behaupten, dass Selenksyjs Leben akut bedroht ist, weiß ich allerdings nicht. Dafür müsste man mehr darüber wissen, wie stark zum Beispiel der SBU infiltriert ist.