Cold War Reloaded - Der neue Ost-West Konflikt

  • Wobei das ganz klar die Entscheidung der ukrainischen Regierung ist. Wenn die sich für neutral erklären und demilitarisieren will, sollten die NATO-Staaten ihr keine Steine in den Weg legen.

    Im Moment ist es allerdings so, dass das größte NATO-Land, welches auch den militärischen Oberbefehl über sämtliche verbündeten Streitkräfte hat, nicht nur Steine in den Weg einer ukrainischen Neutralität legt, sondern sie seit Jahren aktiv verhindert, indem sie die Ukraine militärisch in NATO-Strukturen einbindet und Parteien, Organisationen und Oligarchen stützt, die einen explizit antirussischen Kurs befürworten.

    Die neutralen Länder im kalten Krieg waren Kleinstaaten wie Finnland oder Österreich. Außerdem gab es im kalten Krieg mit dem Eisernen Vorhang eine Grenzlinie zwischen den Einflussgebieten, die von beiden Seiten akzeptiert wurde. Die haben wir zur Zeit nicht. Und die Ukraine ist für das Ziel einer russischen Großmacht unverzichtbar, Finnland nicht.

    Natürlich sind das kleine Länder. Aber im Gegensatz zur heutigen Ukraine hatten beide Länder zuvor aktiv gegen die Sowjetunion gekämpft. Österreich war im 2. Weltkrieg ein weitgehend durchnazifizierter Teil des dritten Reiches und Finnland blieb zwar politisch selbständig, kämpfte aber als Verbündeter des Nazi-Regimes gegen den sowjetischen Kommunismus.


    Die Grenzlinie zwischen den Einflussgebieten der Machtblöcke im späteren Kalten Krieg wurde schliesslich mit dem Ende des heißen Krieges von den Siegermächten in Verhandlungen gezogen. Sie verlief nicht entlang irgendwelcher ethnischer Stammesgebiete, sondern vor allem entlang der Frontlinien der jeweils im Krieg eroberten Territorien. Wie alle nationalen Grenzlinien war sie vor allem eine politische Linie. Das heutige Russland hat die politische Grenzlinie der unmittelbaren westlichen Einflusssphäre an der Westgrenze der Ukraine gezogen, nachdem die NATO sich gleich mehrfach über ursprünglich vereinbarte politische Grenzlinien hinaus bewegt hat. Das kann man politisch scheisse finden, aber es ist nun mal so und man wird es auf absehbare Zeit nicht dadurch ändern, dass man Russland das Recht abspricht, überhaupt irgendeine Einflusssphäre zu haben, während man sich selbst jedes Recht dazu nimmt, den eigenen Einfluss auf sämtlichen Kontinenten des Planeten immer mehr auszuweiten.


    Der Annahme, dass die Annexion der Ukraine "für das Ziel einer russischen Großmacht unverzichtbar" sei, liegt zudem wieder die von Dir offenbar völlig unkritisch übernommene westliche Erzählung zugrunde, Putin wolle das russische Zarenreich in den Grenzen der Sowjetunion wieder herstellen.

    Dafür gibt es allerdings außer vielfach geäußerten Meinungen und kreativen TextInterpretationen putinscher Reden und Aufsätze, keinerlei stichhaltige Belege, und auch die meisten halbwegs seriösen Militärexperten im Westen sind zu dem Schluss gekommen, dass der russische Angriff auf die Ukraine schon rein logistisch nie dazu geeignet war, das ganze Land zu erobern und zu besetzen, um es in die russische Föderation einzugliedern, sondern dass man statt dessen im Kreml davon ausging, der Krieg wäre nach ein paar Tagen beendet und das ukrainische Brudervolk den "Befreiern" und "Entanzifizierern" so dankbar, dass es einem regime change in Kiew im Sinne Putins keinen allzu großen Widerstand entgegen setzen würde.


    Letzteres wird sicher nicht mehr passieren. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Putin tatsächlich so isoliert und nur noch von rückgratlosen Ja-Sagern umgeben ist, wie westliche Medien es kolportieren, kann man durchaus annehmen, dass auch bei ihm mittlerweile der Groschen gefallen ist, und dass er sich jetzt auf die Eroberung der von den "Volksrepubliken" beanspruchten Gebiete beschränken wird, um zumindest vor der eigenen Bevölkerung das Gesicht nicht zu verlieren.


    Es ist viel die Rede davon, dass sich Russland in den letzten Wochen in eine faschistische Diktatur verwandelt habe und es spricht einiges dafür, dass Putin und seine Kamarilla darauf hinarbeiten, die Gesellschaft innerhalb Russlands unter dem Banner des vaterländischen Kampfes gegen ihre äußeren Feinde gleichzuschalten. Aber ein so großes Land mit 144 Millionen EinwohnerInnen, das zu weiten Teilen aus versprengten Siedlungen in dünn besiedelten Gebieten besteht, in denen noch viel einfache Landwirtschaft betrieben wird, und die man von Moskau oder Sankt Petersburg aus nur mit dem Flugzeug schnell erreichen kann lässt, sich auch mit der härtesten Propagandamaschine nicht so durchregieren wie das dicht besiedelte, industrialisierte Deutschland um 1938.


    Ganz anders als Hitler, dessen Partei vor dem Krieg von weiten Teilen der deutschen Bourgeoisie noch als das geringere Übel gegenüber den Kommunisten angesehen wurde, hat Putin zudem offenbar seinen größten Rückhalt nicht in den urbanen Zentren - wo sich seit dem Ende der UdSSR eine gehobene bürgerliche Mittelschicht an westliche Lebensstandards und relativ(!) liberale Freizügigkeit gewöhnt hat, die zwar von den neoliberalen "Reformen" unter Putin profitiert hat, aber die gleichzeitig auch Englisch spricht und viele Kontakte in den Westen pflegt, wo die russische Staatspropaganda äußerst kritisch gesehen wird -, sondern unter der Landbevölkerung und unter einfachen ArbeiterInnen, die zwar unter dem putinschen Neoliberalismus am stärksten zu leiden haben, deren eher traditionelles "Werte"-System aber von den durch den Kreml kontrollierten russischsprachigen Medien informiert ist. Deren Väter, Söhne und Brüder sind es allerdings auch, die als erste zu einfachen Soldaten gemacht, und im Krieg verheizt werden.


    Wenn Putin diesen Leuten keinen Erfolg für Gott und Vaterland präsentieren kann, der den Tod tausender junger Männer ideologisch rechtfertigt, dann verliert er noch mehr an Popularität als er in den letzten Jahren ohnehin schon verloren hat.

    An diesen gesellschaftlichen Verhältnissen werden auch die härtesten Sanktionen von außen nichts ändern. Der einzige Weg, um die russische Bedrohung Europas zu befrieden ist es, Putin die "Goldene Brücke" zu bieten, über die er sich zurückziehen kann, ohne bei seinen UnterstützerInnen als Verlierer und Schwächling dazustehen. Und das kann neben der Anerkennung der "Volksrepubliken" und dem Abtritt der Krim nur eine Neutralisierung der Ukraine unter internationalen Sicherheitsgarantien und ein Abzug von Mittelstreckenwaffen aus den östlichen NATO-Ländern sein.


    Je länger der Westen daran festhält, Russland ökonomisch zu ruinieren, während man weiterhin die Ukrainische Regierung dazu animiert, die russischen Truppen militärisch zu besiegen, umso schwieriger wird es für Putin, sich gesichtswahrend aus dieser für ihn doch eher misslungenen Affäre zu ziehen.


    Ich habe den Eindruck, dass man das auch in Kiew längst verstanden hat, aber es nicht wagt, das offen auszusprechen, weil man sich damit selbst in das Dilemma bringen würde, den seit dem Beginn des Angriffskrieges in einer beispiellosen Propagandaoffensive aufgebauten Nimbus der heldenhaften Kämpfer für die Freiheit zu verlieren, und so vor allem den europäischen Regierungen eine Gelegenheit zu bieten, sich von dem ultraharten Sanktionskurs der Amerikaner abzuwenden - der ihre eigenen Volkswirtschaften und die Profite ihrer heimischen Konzerne ernsthaft bedroht, und der die Gefahr eines Atomkrieges auf europäischem Boden heraufbeschwört -, ohne dafür von ihren eigenen, emotional zu völlig irrationaler Heldenverehrung und zu antirussischen Ressentiments aufgeputschten Bevölkerungen abgestraft zu werden.


  • Die Ukraine kämpft doch auch aktiv gegen Russland, so wie Finnland/Österreich damals gegen die UDSSR.


    Putin hat die Grenzlinie an der Westgrenze der Ukraine gezogen, aber sie ist eben nicht beidseitig anerkannt, wie die Grenzlinie im Kalten Krieg. Und Russland hat die Ukraine nicht militärisch besetzt wie die Sowjetunion die Ostblockstaaten. Weder die Ukrainische Regierung noch die NATO erkennt diese Grenzziehung an. Russland ist bei weitem nicht so mächtig wie die UDSSR.


    Die Annahme, dass die Annexion der Ukraine für die russische Großmachtstellung unverzichtbar ist, ergibt sich für mich aus der Analyse der Gegebenheiten, die Brzezinskij aus meiner Sicht stimmig geleistet hat. Putins Außenpolitik. Der ständige erfolglose Versuch die EU und die USA auseinander zu dividieren. Das Gelaber von der multipolaren Weltordnung. Die Fokussierung auf das Militär. Die Militär-Aktion in Syrien. All das scheint mir dafür zu sprechen, das Putin eine Weltmachtposition ähnlich der USA anstrebt. Und dafür fehlen Russland, ohne die Ukraine wieder einzugliedern, jegliche Vorrausetzungen.


    Der Regimechange in Kiew wäre dazu ein erster Schritt gewesen. Mit pro-russischer Regierung könnte die Ukraine ähnlich wie Belarus wieder an Russland herangeführt werden und irgendwann die Wiedervereinigung der drei russischen Teilstaaten.


    Woran allerdings die Westmächte kein Interesse haben und Himmel und Hölle in Bewegung setzten werden, das zu verhindern. Daher die heftige Reaktion, nachdem man die bisherige Expansion auf Krim und Donbaz eher mürrisch zur Kenntnis genommen hatte. Auf eine Neutralisierung und Entmilitarisierung, die es Putin ermöglicht, die gescheiterte Invasion in 5 oder 10 Jahren dann erfolgreich durchzuziehen, wird der Westen sich wohl nicht einlassen.


    Wie diese internationalen Sicherheitsgarantien aussehen sollten, kann ich mir nicht vorstellen.


    Es gibt im Grunde nur 3 mögliche Wege die Ukraine gegeneinen russische Invasion abszusichern


    1) Eintritt in die NATO

    2) eigene Atomwaffen

    3) Eine konventionell Armee die so stark ist, dass ein Invasion nicht erfolgversprechend ist


    Alle drei wird Russland ablehnen, um sich die Option einer Invasion weiter offen zu halten. Hypothetisch gäbe es noch die Möglichkeit einer Gruppe von Garantiemächten unter Einschluss China, die so mächtig ist, dass Russland sie nicht herausfordern kann. Aber Praktikabel ist das kaum.


    "Goldene Brücken" sind eigentlich kein Bestandteil imperialer Machtpolitik. Eine wirkliche Lösung sehe ich nicht. Vermutlich wird Putin die anvisierten Erweiterungen des russischen Territoriums besetzen und dann Waffenstillstand anbieten, während der Westen versuchen wird, die Ukraine so weit aufzurüsten, dass weitere Eroberungen für Russland sich schwierig gestalten.


    Die Situation scheint ziemlich verfahren.

  • Es gibt im Grunde nur 3 mögliche Wege die Ukraine gegeneinen russische Invasion abszusichern


    1) Eintritt in die NATO

    2) eigene Atomwaffen

    3) Eine konventionell Armee die so stark ist, dass ein Invasion nicht erfolgversprechend ist

    Genau das ist die Haltung die mit 100% sicherheit langfristig in den Atomkrieg führt und deshalb absolut indiskutabler Schwachsinn deinerseits ist. Sorry. Da können wir alle kollektiven Suizid begehen wenn wir so denken.


    Die einzige Absicherung gegen eine Invasion Russlands ist Diplomatie. Es gibt keine andere.


    Ich finde übrigens, dass Russland in die Ukraine erst einmarschiert ist, als deutlich wurde, dass die NATO Länder an Diplomatie kein Interesse mehr haben und nachdem Russland das Gefühl hatte alle diplomatischen wege ausgeschöpft zu haben. Das ignorierst du ständig. Nach 20 Jahren diplomatischen Bemühungen übrigens. Aus dieser Geschichte den unbedingten Eroberungswillen eines Russenhitlers abzuleiten ist einfach völlig ignorant.

  • Eine abtrünnige russische Provinz mit 40 Mio Einwohnern ist ein Viertel der russischen Bevölkerung. Eine massive Schwächung des russischen Reiches und seiner Großmachtstellung. Die paar Russen im Baltikum fallen dagegen nicht ins Gewicht. Und Nichtrussische Bevölkerung wie Balten oder Kasachen ist für eine nationales Reich immer ein Problem. Daher hat die Ukraine für die russische Föderation eine Schlüsselstellung.


    Der Zug ist doch längst abgefahren. Da hätte man vor 20-30 Jahren Teile der Ukraine reintegrieren müssen. Und die nationalistische Bewegung aus der Westukraine ist wesentlich antirussischer als die baltischen Bevölkerungen. Die Balten wurden in ihrer Kultur und Sprache unterdrückt und das nehmen sie den Russen auch immer noch übel, aber sie haben eben auch eine klar unterschiedene Kultur. Die Konstruktion der ukrainischen Nationalkultur hatte dagegen immer mit ihrer Nähe zum Russischen zu kämpfen, zumal viele Russen sie nur als Abklatsch ihrer eigenen Kultur ansehen. Deswegen hat der politische Machtgewinn dieser Bewegung - auch mit Unterstützung des Westens - beschleunigt durch die Gebietsverluste so große Probleme im Verhältnis zu Russland erzeugt.


    Allerdings besteht die russischen Abschreckung nicht in der Fähigkeit Europa zu vernichten, sondern die USA zu bedrohen. Und die Nuklearraketen, die von Russland nach USA zielen, fliegen nicht über Europa sondern über den Pol. Da müsste eine Abwehr in Alaska stehen und nicht in Europa.


    Die Abschreckung hat immer zwei Seiten, zum einen bekommt man seine Kernwaffen ins Ziel und zum anderen hat man selbst Chancen die gegnerischen Kernwaffen abzufangen. Die US-Amerikaner haben selbst etliche solcher Systeme und je mehr Elemente eines Raketenabwehrschirms du aufstellst, desto größer wird auch die theoretische Chance den Schaden zu begrenzen. Insofern ist auch eine Frage, ob du glaubst zum Beispiel die US-amerikanischen Kernwaffen in Deutschland vernichten zu können, bevor sie dich erreichen.


    Nuklearraketen im Baltikum sind auch nicht weiter von Moskau und Sankt Petersburg weg als in der Ukraine.


    Näher an Sankt Petersburg natürlich, aber die ukrainische Grenze ist an Moskau nochmal etwa 150 km näher dran als die nächste baltische. Vom Süden aus sind andere wichtige Teile des russischen Kernlandes exponiert als vom Osten. Die Ukraine hat auch ein wesentlich größeres Gebiet. Wenn man es wirklich ernst meint, könnte man strategische Waffen viel breiter aufstellen als im Baltikum. Das hilft auch. Und schließlich war die Bereitschaft der Ukrainer schon vor dem Krieg zu so einem Schritt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern höher.


    Vorstellen schon. Aber wäre überraschend. Wer konkret? Portugal?


    Also Deutschland ist denke ich ein Kandidat. Ist so ein bisschen die Frage, ob man sich das offen traut.


    Gibt allerdings EU Staaten die nicht in der NATO sind wie Finnland, insofern ist das kein prinzipielles Problem.


    Medwedew will letztlich nur sagen bei der EU haben am Ende auch die US-Amerikaner das sagen. In Wirklichkeit ist es eher so, dass bei einem nicht notwendig überschneidenden Teil der EU-Länder das Interesse an einer Erweiterung der EU oder der NATO gering ist.


    Hat Russland eigentlich schon konkret Stellung bezogen zu einem NATO-Beitritt Finnlands?


    Die meinst schonmal oder jetzt gerade? Schonmal sind sie dagegen, überliefert ist die Aussage von Putin in etwa, wenn wir jetzt über die Grenze schauen, sehen wir einen Finnen, nach dem NATO-Beitritt sehen wir einen Feind.


    Aktuell habe ich nichts dazu gehört, wobei es natürlich auch erstmal dazu kommen muss, dass so ein Ansinnen formuliert wird. Tatsächlich lese ich die verlinkte Meldung so, dass die finnische Regierung erstmal bremst.

  • Und ja, Russland beansprucht für sich die gleichen Rechte auf der internationalen Bühne die sich die USA herausnimmt. Ob das gerechtfertigt ist,ist irrelevant. Weil Russland eine Atommacht ist und die Welt von russischen Ressourcen abhängig ist, hat das zumindest eine gewissen Berechtigung, aber das spielt keine Rolle. Wenn es nötig ist Russlands Ego zu streicheln um die Welt vor einem Atomkrieg zu retten dann ist das ein vedammt geringer Preis den man da zu bezahlen hat.


    Das nicht zu tun ist nicht zu rechtfertigen. Der einzige Grund das in der Vergangenheit nicht zu tun war imperialer Größenwahn und idiotische Unvernunft auf der anderen Seite getrieben von den Interessen einer Machtclique die an der Hochrüstung auf Kosten der Allgemeinheit verdient.

  • @Blechmann Nach 9/11 wurde ein US Waffennarr interviewt. Der sagte "wenn jeder im Flugzeug eine Waffe gehabt hätte, dann wäre es zu 9/11 nie gekommen"


    Genau so schlüssig ist deine Aussage zu "Nur wenn jeder Atomwaffen hat gibt es Frieden." die hier immer wieder durchkommt.

  • Ich sehe, es gibt Angriffe näher an Odessa dran. Im Moment, glaube ich da weiter an eine Finte, damit die ukrainische Führung sich überlegen muss, wo man, so möglich, freiwerdende Kräfte vom abgebrochenen russischen Invasionsarm in Kiew hinschickt. Aber je nachdem wie gut es im Donbass läuft und um die Kampfkraft noch bestellt ist, könnte der Versuch einer Eroberung des gesamten Südens Teil eines Plan B sein. Damit käme dann aber vermutlich die Forderung einer Föderalisierung mit auf den Verhandlungstisch.


    Die ganzen zerstörten Treibstofflager, Raffinerien usw., die die Russen jetzt immer wieder - auch hier - als Ziele von Angriffen vermelden, können die Versorgungslage im Land nochmal deutlich verschlechtern.

  • Die Ukraine kämpft doch auch aktiv gegen Russland, so wie Finnland/Österreich damals gegen die UDSSR.

    Die Ukraine kämpft erst aktiv gegen Russland, seit russische Truppen in der Ukraine einmarschiert sind. Österreich war Teil des von den Nazis beherrschten Deutschen Reiches und somit auch Teil des deutschen Angriffskrieges gegen die Sowjetunion und Finnland war mit den Nazis verbündet, und hat sich nicht nur der Wehrmacht als Aufmarschgebiet für den Russlandfeldzug geöffnet, sondern sich auch mit der eigenen Armee daran beteiligt.

    Der Punkt ist, dass selbst Diktator Stalin der Neutralität dieser beiden Länder zugestimmt hat, obwohl sie sich zuvor am deutschen Überfall auf seine Sowjetunion beteiligt hatten, und obwohl die Russen und sämtliche andere Völker der westlichen UdSSR von den Nazis und ihren Verbündeten als slawische Untermenschen betrachtet worden waren, um einen tatsächlichen Vernichtungskrieg gegen sie zu führen, und ihn zum Wohle der arischen Herrenrasse als notwendiges Übel zu rechtfertigen.


    Jetzt könntest Du natürlich gleich sagen, dass Putin sowieso behaupten würde, die Ukraine hätte Russland angegriffen, wenn er ihr nicht mit rabiater Vorwärtsverteidigung zuvor gekommen wäre, aber auch das liesse sich nicht aus seinen Äußerungen belegen, sondern wäre nur wieder Spekulation auf der Basis der antirussischen Propganda im westlichen Wertejournalismus.


    Wenn man aus Putins langatmigen, und doch sehr eigenwilligen Einlassungen zur russischen Geschichte eines heraus lesen kann, dann ist es, dass er großen Wert darauf legt, seine geopolitsichen Ansprüche und sein entsprechendes Handeln moralisch zu rechtfertigen.

    Man muss seine Argumente überhaupt nicht teilen, um zu verstehen, dass es ihm dabei im Gegensatz zu Hitler nicht darum geht, die Ukrainer, die Polen, oder die BewohnerInnen des sonstigen Baltikums als minderwertige "Rassen" darzustellen, die man mal eben vernichten dürfe, ohne groß mit der Wimper zu zucken, wenn es dem Wohl des glorreichen Russischen Volkes diene, sondern dass er sich eher als der Bewahrer einer historischen, großrussisschen und osteuropäischen Kultur sieht, die es vor dem Einfluss übergriffiger Westeuropäer und Amerikaner zu schützen gilt.

    Abgesehen davon, dass das natürlich hanebüchener Unsinn ist, ist es dennoch ein großer Unterschied zur Herrenmenschenideolgie der Nazis.

    Putin hat die Grenzlinie an der Westgrenze der Ukraine gezogen, aber sie ist eben nicht beidseitig anerkannt, wie die Grenzlinie im Kalten Krieg. Und Russland hat die Ukraine nicht militärisch besetzt wie die Sowjetunion die Ostblockstaaten. Weder die Ukrainische Regierung noch die NATO erkennt diese Grenzziehung an. Russland ist bei weitem nicht so mächtig wie die UDSSR.

    Putin hat der NATO in den ersten Jahren seiner multiplen Amtszeiten mehrfach angeboten, Russland aufzunehmen. Als er damit in den USA wiederholt abgeblitzt ist, hat er der EU ebenfalls mehrfach angeboten, mit Russland eine neue gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu errichten, zu der natürlich auch die Ukraine gehört hätte. Die Grenzlinie die er seit 2014 gezogen und mit seiner Annexion der Krim unterstrichen hat, wurde nicht von ihm alleine an der Westgrenze der Ukraine festgesetzt, sondern sie wurde auch von der NATO bis dort hin verschoben, indem zuvor schon die westlichen Nachbarländer der Ukraine Polen, Slovakei, Ungarn und Rumänien in das Bündnis aufgenommen, und schliesslich mit der Unterstützung des Putsches gegen den - zwar als russlandfreundlich verschrienen aber immerhin demokratisch gewählten - Präsidenten Yanukowitsch auch die Aufnahme der Ukraine selbst in Aussicht gestellt wurde.


    Das war vor allem insofern eine sehr kurzsichtige und gefährliche Vorgehensweise des Westens, weil das heutige Russland - ganz entgegen Deiner Behauptung - ungleich viel mächtiger ist, als die UdSSR, als sie zu Beginn des kalten Krieges der Neutralität Finnlands und Österreichs zustimmte, weil Russland heute über ca. 6.000 nukleare Sprengköpfe verfügt, und die damalige Sowjetunion über keinen einzigen.

    Weil das ja offensichtlich in der laufenden öffentlichen Debatte überhaupt keine Rolle zu spielen scheint, schreibe ich es gerne nochmal: Der einzige Grund, warum Russland so viele Atombomben von der UdSSR geerbt hat, ist der, dass die USA 1945 zwei davon auf Japan geworfen haben und die Sowjets sich daraufhin ein eigenes nukleares Arsenal zulegten, um sich gegen atomare Angriffe durch den erklärten Klassenfeind zu schützen.

    Die Annahme, dass die Annexion der Ukraine für die russische Großmachtstellung unverzichtbar ist, ergibt sich für mich aus der Analyse der Gegebenheiten, die Brzezinskij aus meiner Sicht stimmig geleistet hat. Putins Außenpolitik. Der ständige erfolglose Versuch die EU und die USA auseinander zu dividieren. Das Gelaber von der multipolaren Weltordnung. Die Fokussierung auf das Militär. Die Militär-Aktion in Syrien. All das scheint mir dafür zu sprechen, das Putin eine Weltmachtposition ähnlich der USA anstrebt. Und dafür fehlen Russland, ohne die Ukraine wieder einzugliedern, jegliche Vorrausetzungen.

    Du berufst Dich auf Brzezinskij, aber verkennst offenbar vollkommen, dass dessen Sicht eine durch und durch amerikanische war, der zufolge die Ukraine unter allen Umständen dem Russischen Einfluss entrissen werden sollte, um Russlands geopolitische Position zu schwächen und zu verhindern, dass es sich den westeuropäischen Staaten - allen voran der größten Europäischen Volkswirtschaft Deutschland - annähert.

    Wie schon oben erwähnt war Putins Außenpolitik bis ca. 2008 explizit darauf ausgerichtet, engere Beziehungen zu Westeuropa aufzubauen. Er hat sogar im deutschen Bundestag eine damals allerseits hochgelobte Rede auf Deutsch gehalten, um diese Annäherung voran zu treiben. Auseinander dividiert wurden vor allem Russland und die EU - und zwar durch die USA. Die Ukraine und ihre von Russland bedrohte Bevölkerung sind jetzt das Faustpfand, das Washington

    in der Hand hält, um die Europäer moralisch in Zugzwang zu bringen, und sie endlich auf den in Washington schon lange verfolgten, antirussischen Kurs einzuschwören.

    Auf eine Neutralisierung und Entmilitarisierung, die es Putin ermöglicht, die gescheiterte Invasion in 5 oder 10 Jahren dann erfolgreich durchzuziehen, wird der Westen sich wohl nicht einlassen.

    Es mag sein, dass das keine dauerhafte Lösung wäre. Aber bist Du wirklich der Ansicht, es sei besser, den Krieg in der Ukraine zu verlängern, dabei weitere Eskalationen zu riskieren und noch mehr UkrainerInnen den Heldentod für die freie Welt sterben zu lassen, als eine Verhandlungslösung zu finden, die erst mal die Waffen zum schweigen bringt, und sich dann - ohne die hysterische Kriegspropaganda - mal etwas nüchterner und eingehender damit zu befassen, wie man eine dauerhafte Lösung finden kann, die Putin keinen Anlass dazu bietet, erneut die Panzer rollen zu lassen?

    Der Mann wird dieses Jahr 70 Jahre alt. Mit etwas Glück ist er in 10 Jahren gar nicht mehr im Amt.

  • Russland und die USA sind so groß, haben so viele Nuklearsprengköpfe auf ihr gesamtes Territorium verteilt plus U-Boote etc, Enthauptungsschläge sind einfach komplett absurd und unmöglich. Hinzu kommen Verbündete. Als wenn China zuschauen würde, während die USA eine Atombombe auf jeden Kilometer Russisches Land schmeißen. Gut, umgekehrt ist es da schon schwieriger, die Verbündeten der USA sind in Europa, plus Israel, also müsste Russland eine Atombombe auf Israel schmeißen. Allerdings frage ich mich, ob China und Indien es wirklich so cool fänden, wenn Russland ganz keck Nordamerika und Europa mit Atombomben einebnet. Kann ich mir irgendwie nicht als realistisches Szenario vorstellen.


    Und in beiden Fällen bleiben die U-Boote, die auch komplett vernichtet werden müssten. Realistisch? 0,0.


    Und das lange gepflegte Narrativ, Russland fühle sich irgendwie von der NATO bedroht, ist für mich mit dem Krieg hinfällig. Nie war Russland so schwach wie gerade jetzt. Wenn die NATO irgendeine Bedrohung wäre, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, anzugreifen. Aber keiner in der NATO hat irgendein Interesse an Russischem Gebiet. Es ist einfach Blödsinn. Ja, zu einem Krieg kann es kommen, aber nicht mit dem Ziel Russland auf russischem Gebiet zu schlagen, das geht ohnehin - aufgrund der Atomwaffen - nicht. Aber das Narrativ der Bedrohung muss man wirklich für immer als falsch kennzeichnen. Wenn Putin mit 75% seiner Streitkräfte in die Ukraine einmarschiert, massive Versorgungsprobleme hat, nicht mal die Hauptstadt Kiew erobern kann, sich komplett auf den Präsentierteller legt und die ganze Welt darum bittet "greift uns an", und es trotzdem keiner tut, dann kann man die Erzählung endlich mal als das Märchen erkennen, das es stets war.

  • Eine wohltuende prise Vernunft:


  • Und das lange gepflegte Narrativ, Russland fühle sich irgendwie von der NATO bedroht, ist für mich mit dem Krieg hinfällig. Nie war Russland so schwach wie gerade jetzt. Wenn die NATO irgendeine Bedrohung wäre, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, anzugreifen. Aber keiner in der NATO hat irgendein Interesse an Russischem Gebiet. Es ist einfach Blödsinn. Ja, zu einem Krieg kann es kommen, aber nicht mit dem Ziel Russland auf russischem Gebiet zu schlagen, das geht ohnehin - aufgrund der Atomwaffen - nicht. Aber das Narrativ der Bedrohung muss man wirklich für immer als falsch kennzeichnen. Wenn Putin mit 75% seiner Streitkräfte in die Ukraine einmarschiert, massive Versorgungsprobleme hat, nicht mal die Hauptstadt Kiew erobern kann, sich komplett auf den Präsentierteller legt und die ganze Welt darum bittet "greift uns an", und es trotzdem keiner tut, dann kann man die Erzählung endlich mal als das Märchen erkennen, das es stets war.


    Niemand muss das narrativ glauben wenn es um diplomatie geht. Es geht darum einen Atomkrieg zu verhindern und eine friedliche Lösung zu finden. Die diplomatischen Kosten auf das narrativ Russlands einzugehen sind gleich null. Wenn Russland darauf besteht, dass an seinen Grenzen keine NATO Mitglieder und keine Atomwaffen zu finden sind, dann sind die einzigen die davon einen Nachteil haben die Hersteller des NATO Kriegsgerätes und der Atomwaffen.


    Der Grund warum die NATO darauf erpicht ist, dass möglichst viele neue Mitglieder sich der NATO anschliessen, um das mal deutlich nochmal zu sagen, ist weil NATO Militär die Haupteinnahmequelle der europäischen und US-amerikanischen Rüstungskonzerne ist. Es gibt dafür keinen geopolitischen Grund der nicht zu diesem Zweck geschaffn wurde.

  • dass an seinen Grenzen keine NATO Mitglieder und keine Atomwaffen zu finden sind

    Es gibt einen Vertrag der die Stationierung von NATO-Atomwaffen in Osteuropa verbietet (NATO-Russland-Grundakte), und bislang wurde sich daran auch gehalten. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob das in Zukunft noch gilt, da Russland sich ja auch an keine Verträge hält.

  • Wo hört Diplomatie auf, die Kriege verhindert und wo beginnt Appeasment-Politik, die neue Kriege fördert? :/

    Bitte führe das aus.


    Meinst du den Begriff "Appeasement" benutzen zu müssen weil Putin = Hitler ist?


    War die durch Diplomatie erreichte Sicherheitsarchitektur die man im kalten Krieg mit der Sovietunion hatte jemals in Gefahr "Appeasement" zu sein? Wenn ja in welchem Fall?


    Unterstützen wir nicht viel mehr den Ausbruch von Kriegen weil wir sie in der jüngsten Vergangenhet immer wieder zugelassen oder geführt haben anstatt auf Diplomatie zu bestehen (Syrien, Lybien, Irak, Afghanistan, Jugoslavien, Jemen, Georgien ...)

  • Meinst du den Begriff "Appeasement" benutzen zu müssen weil Putin = Hitler ist?

    Wenn du so argumentierst, dann kann aber niemand jemals Schlüsse aus der gescheiterten Appeasement-Politik der 30er Jahre ziehen, weil die passierte ja als Hitler selbst noch nicht "Hitler" war, also bevor international der Holocaust bzw. die Verfolgung von Juden innerhalb des Dritten Reichs bekannt war und bevor der mörderische zweite Weltkrieg begonnen hatte.

  • Dir ist aber schon klar, dass nicht die Frage ist, ob du das Narrativ glaubst, sondern ob man in Russland daran glaubt oder nicht?

    Der gemeine Russe auf der Straße wird es vermutlich glauben, wichtig für mich ist aber dass Putin selbst offensichtlich nicht daran glaubt (sonst wäre der Krieg gegen die Ukraine Selbstmord).

  • Wenn du so argumentierst, dann kann aber niemand jemals Schlüsse aus der gescheiterten Appeasement-Politik der 30er Jahre ziehen, weil die passierte ja als Hitler selbst noch nicht "Hitler" war, also bevor international der Holocaust bzw. die Verfolgung von Juden innerhalb des Dritten Reichs bekannt war und bevor der mörderische zweite Weltkrieg begonnen hatte.

    Aber siehst du die gleiche Gefahr durch Putin wie durch Hitler vor Beginn des 2. WK? Wenn ja, mit welcher Begründung?

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