Cold War Reloaded - Der neue Ost-West Konflikt

  • Also bisher sieht es eher danach aus, dass da zwar vorne am Bühnenrand laut gebrüllt, aber hinter den Kulissen halbwegs vernünftig miteinander geredet wird:


    Kannst Du (oder jemand) mir erklären, inwieweit dieser Trick eine stabilisierende Wirkung auf den Rubel hat? Also anders als wenn die Unternehmen direkt bei der russischen Zentralbank Devisen tauschen?


    Oder ist das jetzt eine Provokation an den Westen, auch die Gazprombank ins Sanktionregime aufzunehmen? Ich kann das nicht richtig einordnen.

  • Sachen, die ich schon als Fakt mental abgespeichert habe, die Google ich nicht nochmal nach.

    Das ist leider schade, denn wenn Du deine mentalen Fakten etwas mehr aus den realen Gegebenheiten extrahieren würdest, anstatt einfach irgendwelche Propagandafetzen und Markus Lanz-Expertisen zu alternative facts zusammenzucopypasten und sie in deinem inneren Speicher als Tatsachen zu deponieren, dann müsstest Du Dich hier nicht mit Behauptungen wie dieser zum Horst machen:

    Die Ukraine ist noch nicht in den Machtbereich der USA gezogen, was man daran sieht, dass sie nicht in die NATO aufgenommen wurde.

    Die USA unterhalten (laut Pentagon) mindestens 600 Militärbasen außerhalb ihres eigenen Territoriums und in vielen Ländern, die nicht Mitglied der NATO sind. Dazu kommen 9 mobile Flugzeugträgerverbände mit jeweils zwischen 65 und 70 jederzeit einsatzfähigen Jagdbombern, Aufklärungsflugzeugen, Hubschraubern und anderem Fluggerät, einer Flottille aus Begleitschiffen, darunter Raketenzerstörer und nuklear getriebene U-Booten, sowie eine nicht näher bekannte Anzahl an letzteren, die mit ballistischen Raketen und Marschflugkörpern jederzeit aus allen sieben Weltmeeren konventionelle wie nukleare Angriffe starten können.


    Auch Japan, Südkorea und Taiwan sind keine NATO-Mitglieder und dennoch vollkommen von amerikanischen Sicherheitsgarantien abhängig und zumindest die ersteren beiden sind natürlich eng mit der NATO-Sicherheitsarchitektur vernetzt - genauso wie die "neutralen" EU-Länder Finnland, Schweden und Österreich.

    Die Ukrainische Regierung hat sich im Rahmen der US-"Operation" "Iraqi Freedom" am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA auf den Irak beteiligt und stellten sogar das drittgrößte Kontingent in George W. Bushs "Koalition der Willigen", und das US Militär hat nicht erst seit dem 24. Februar 2022 sondern schon seit den 90er Jahren, als die Ukraine noch vom relativ russlandfreundlichen Oligarchen Leonid Kutschmar regiert wurde, darauf hingearbeitet, das ukrainische Militär technisch und organisatorisch kompatibel mit der NATO-Kommandostruktur und deren taktischer Planung zu machen. Die Ukraine war zudem bereits mehrfach an den seit 1997 jährlich stattfindenden Sea Breeze-Großmanövern der NATO am schwarzen Meer beteiligt, und veranstaltet direkt in der Westukraine regelmäßig das Rapid Trident-Manöver zusammen mit (hauptsächlich amerikanischen) NATO-Truppen unter US-Führung. Das geschieht selbstverständlich alles im Rahmen des "Partnership for Peace"-Programms der NATO, zu dessen Unterzeichnern neben allerlei anderen Autokratien und Diktaturen eigentlich auch das putinistische Russland gehört.

    Laut einem Bericht der New York Times von Anfang März werden vom US Militär auch aktuell Daten aus der Satellitenaufklärung über russische Truppenbewegungen und Stellungen mit dem ukrainischen Militärgeheimdienst geteilt - unter anderem auch von deutschen Standorten aus.


    Abgesehen von der militärischen Hilfe, hat der Westen der ukrainischen Regierung seit 2014 massive Wirtschaftshilfe geleistet und amerikanische Unternehmen haben dort eine Menge Geld und Expertise bei der Extraktion von Profit aus Arbeitskraft und Rohstoffen investiert. Hunter Biden, Der Sohn des damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden, wurde nach der Maidan-"Revolution" in den Vorstand des ukrainischen Gaskonzerns Burisma eingesetzt. Laut Biden Senior hatte das natürlich nichts mit irgendwelchen Verstrickungen des politisch-kapitalistischen Komplexes in den USA mit der ukrainischen Oligarchie zu tun, sondern mit des Juniors Expertise im Kampf gegen Korruption.

    Dennoch hat Donald Trump - nachdem er zunächst den Waffenexport nach Kiew deutlich aufgestockt hatte - im Präsidentschaftswahlkampf 2019 unter großem medialen Getöse der Ukraine bereits versprochene Militärhilfen im Wert von 391 Milliionen Dollar zurück gehalten, und somit versucht, den gerade erst gewählten ukrainischen Präsidenten Zelenskyj dazu zu erpressen, ihm bei der Beschaffung von Kompromat über seinen Konkurrenten Biden und dessen Sohn zu helfen. Die großen amerikanischen Medien haben das selbstverständlich allesamt als Teil von Putins sinistrer Einflussnahme auf den orange-goldenen Immobilienoligarchen im Weißen Haus abgetan.

    Als Biden schliesslich 2020 Präsident wurde, war es eine seiner ersten Amtshandlungen, die von Trump zurück gehaltenen Gelder an den treuen NATO-Partner Ukraine freizugeben und die Aufrüstung von deren Streitkräften voran zu treiben. Mittlerweile haben die USA laut Angaben des Weißen Hauses seit Bidens Amtsantritt insgesamt bereits 2 Milliarden Dollar an amerikanischen Steuergeldern alleine im Rahmen ihrer "security assistance" für die Ukraine exportiert - sonstige Wirtschaftshilfen und private Investitionen nicht mit einberechnet.


    Jetzt kann man noch hundertmal moralisch entrüstet anprangern, dass das alles keinen Angriffskireg Putins auf sein Nachbarland rechtfertigt und dass es Putin dabei genauso wenig um humanitäre Werte geht wie dem Westen, sondern um den geopolitischen Machtanspruch Russlands, den er unter seiner Herrschaft wiederherstellen will.


    Damit hätte man dann nicht nur aus einer westlich-ideologischen, sondern auch aus einer linken, internationalistisch-humanitären Sicht selbstverständlich recht. Aber das würde dennoch überhaupt nichts an der Tatsache ändern, dass Putin den Entschluss zum völkerrechtswidrigen Überfall erst getroffen hat, nachdem in der Ostukraine bereits seit 8 jahren ein Bürgerkrieg herrschte, der eigentlich mit den beiden Minsker Abkommen unter Aufsicht Frankreichs, Deutschlands und der OSZE friedlich beigelegt werden sollte, aber nicht nur von Putins "grünen Männchen" und russischen Waffen, sondern auch von der Ukrainischen Armee weiter am laufen gehalten wurde, die im Donbass bis zum Einmarsch Russlands und der weitgehenden Zerstörung der ukrainischen Luftwaffe als reguläre Armee mit Luftunterstützung mehr Zerstörungspotenzial unter der Zivilbevölkerung entfalteten konnte als die Separatisten - während Washington weiter nicht nur Waffen, Munition und Aufklärungsdaten lieferte, sondern die ukrainische Regierung auch darin bestärkte, den Kampf um die abtrünnigen "Volksrepubliken" weiter zu führen.


    Auch jetzt steht, selbst wenn sich die russischen Truppen - die bis heute noch nicht in der Westukraine aufgetaucht sind - tatsächlich aus dem nordöstlichen Landesinneren um Kiew zurück ziehen sollten, zu befürchten, dass die Kämpfe um Donetsk und Lugansk im Südosten weiter fortgesetzt werden, wenn die USA Zelenskyjs Regierung weiterhin darin bestärken, die Freiheit der westlichen Welt im Donbass zu verteidigen.

    So lange das weiter geht, kann es sich eigentlich keine westliche Regierung erlauben, vom harten antirussischen kurs abzuweichen und die Sanktionsspirale, sowie die Gefahr einer nuklearen Konfrontation werden sich mit zunehmendem Frust in der russischen Führung weiter nach oben schrauben.

    Darunter hätte dann in erster Linie die Bevölkerung der östlichen Ukraine zu leiden, aber auch in Russland wird ein Großteil der 150 Millionen EinwohnerInnen von den ökonomischen Auswirkungen nicht verschont bleiben, und Putin kann weiter die Schuld dafür auf den Westen schieben und damit seine innenpolitische Macht absichern.

  • Kannst Du (oder jemand) mir erklären, inwieweit dieser Trick eine stabilisierende Wirkung auf den Rubel hat? Also anders als wenn die Unternehmen direkt bei der russischen Zentralbank Devisen tauschen?


    Oder ist das jetzt eine Provokation an den Westen, auch die Gazprombank ins Sanktionregime aufzunehmen? Ich kann das nicht richtig einordnen.

    Ich glaube nicht, dass das irgendeinen ökonomischen Sinn ergibt. Aber Putin spielt halt jetzt auch Poker - in der Variante russian roulette - und denkt vermutlich, dass er die westliche Heuchelei noch ein bisschen mehr bloßstellen kann, indem er Onkel Robert dazu zwingt, den Energiekonzernen, deren Profitinteressen er in der Bundesregierung zu sichern hat, weiterhin zu erlauben, trotz Sanktionen gegen die russische Zentralbank russisches Gas einzukaufen.


    Die Stabilität des Rubel gegenüber anderen Währungen wird das sicher nicht großartig sichern. Die Devisenreserven, die die russische Zentralbank damit bekommen würde, hätte sie ja auch nur auf dem Papier - es sei denn, sie würde Euro nur noch als Bargeld in Scheinen und Münzen gegen Rubel tauschen (was irgendwie nicht praktikabel erscheint) - weil das ja nur Umbuchungen auf deren Konto bei der EZB währen, auf welches sie im Moment wegen der Sanktionen keinen Zugriff hat.


    Aber wer weiß - Vielleicht ist das bei Putins zu Hause mittlerweile auch eher Trumpesk. Der Chef macht vor der Weltöffentlichkeit wilde Ansagen und sein Apparat versucht dann daraus irgendeine sinnvolle Politik zusammen zu basteln, ohne dass er es merkt und sie alle ins Gulag schickt.

  • Ich glaube nicht, dass das irgendeinen ökonomischen Sinn ergibt. Aber Putin spielt halt jetzt auch Poker - in der Variante russian roulette - und denkt vermutlich, dass er die westliche Heuchelei noch ein bisschen mehr bloßstellen kann, indem er Onkel Robert dazu zwingt, den Energiekonzernen, deren Profitinteressen er in der Bundesregierung zu sichern hat, weiterhin zu erlauben, trotz Sanktionen gegen die russsische Zentralbank russisches Gas einzukaufen.

    Na gut, aber das konnten sie doch eh schon, weil zB die GazpromBank von den Sanktionen ausgenommen ist, damit das Gasgeschäft eben weiterläuft. Ich glaub, ich bin einfach nicht gut in RussischRoulette.


    Aber wer weiß - Vielleicht ist das bei Putins zu Hause mittlerweile auch eher Trumpesk. Der Chef macht vor der Weltöffentlichkeit wilde Ansagen und sein Apparat versucht dann daraus irgendeine sinnvolle Politik zusammen zu basteln, ohne dass er es merkt und sie alle ins Gulag schickt.

    Ja, das wird dann wohl auch erstmal meine Arbeitsthese sein.


    Danke.

  • Ich springe mal kurz (ist gar nicht so einfach, hier nachzulesen und alle Gedanken zusammen zu halten, wenn man mal drei Tage off war)


    Aber das Zitierte trifft den übergreifenden Spannungsbogen sehr gut.


    Ich habe nie dieses bürgerlich-naive "In hundert Jahren wrd die Welt für unsere Enkel äääh irgendwie schwerer zu öööh bewohnen sein" verstanden. Typische Verdrängung nach dem Motto: "Das Problem der Zukunft, nicht meins" mit verlogenem Betoffenheitssiegel. Gekrönt dann im Ideafall noch mit einer wegwischenden Handbewegung "Ach, es ist schon immer irgendwie weitergegangen"

    (ich frage mich, ob diese Leute diesen zynischen Spruch auch den Menschen beim Einstieg in Waggons nach Auschwitz, in den Schützengräben vor Verdun oder beim finalen Absaufen im demokratisch-romantischen Blau unseres Mittelmeers zugerufen hätten)


    Naja. Malen wir uns nur mal aus was ist, wenn in ca 10 Jahren Flüchtlingsmassen aus der gewachsenen Klimakatastrophe plus den eskalierenden Konflikten im Nahen Osten (auch da fehlt ja eigentlich nur ein Funke, dass das ein Flächenbrandt wird) auf die Grenzen eines zerfallenden, militarisierten Europa im "We need to defend ourselves!"-Modus treffen werden.


    Die Nummer jetzt wird man (hoffentlich) noch irgendwie in den Griff kriegen. Was so Streichergebnisse wie diese Florence Dingens plus entsprechende ThinkTanks nur bestätigen wird, eben noch lauter und vereinnehmender aufzutreten. Der Fuss ist jetzt in der Tür, das Mindset (oh wie hasse ich dieses Wort) prepared. Sehr bald wird man auch noch andere Dinge sagen dürfen, die vor zwei Jahren ganz und gar unaussprechbar gewesen wäre. Ich denke, wir erleben gerade eine Door-Opener Situation.


    Man muss sich nur jetzt mal die Kommentare unter der Lanz Grütze anschauen. Der gängige deutsche ZDF-Bürgertm erigiert immer sehr schnell voran, wenn da irgendwo ein Experte präsentiert wird. "Schatz komm schnell! Sie ist Expertin! Wir brauchen eine Angst haben! Der Krieg ist richtig!". Endlich hat der Zukunfts dominierende Boomer wieder ein stabiles Welt- (und vor allem) Feindbild.


    Ich weiss, ich widerhole mich - aber das alles ist so 1914/2.0. Im Zweifelsfall für Kaiser und Vaterand, man will ja kein Verräter, Jammerlappen oder (am allerschlimmsten) Pazifist sein. Und mit jedem medialen Klopfen wird die demokratisch-aufgeklärte Rübe etwas weicher und formbarer gedengelt.


    ...


    - ps: Und ich würde mal noch ein andere Frage in den Raum werfen - ist eine sehr schiefe, ganz persönliche These. Mich würde da mal ganz allgemein die Meinung des Umfelds hier dazu interessieren:


    Wenn man die wachsende Krise auch als Abstieg des Westens inkl dessen verlogenem (weil nicht real gelebtem und konsequent ausgeführtem, aber umso neoliberalerem) "demokratischen" Wertessstems wahrnimmt: Erleben wir gerade die Siuation, dass der Kapitalismus die Demokratie als Wirt/Träger nicht mehr benötigt? Wenn man auf der Ebene den Radikal-Neoliberalen (Hayek, Privatstädte etc) folgt, gilt es doch gerade sehr darum, sich behindernder Fessen zu befreien, um die Apokalypse als Chance zu begreifen.

    (ist jetzt ein grosser Sprung aus dem Topic hier heraus , sorry. Aber Kriege tragen als Konflikt eigentlich immer auch eine Botschaft)

  • Der Plan klingt für mich nach Quatsch. Mal abwarten was Marner dazu äußert. Die Fahrzeuge, die in dem 60km Stau in Richtung Kiew stehen und zusammengeschossen werden, die fehlen doch für die Hauptangriffs-Achse. Die Ukraine hat die innere Linie, die schaffen ihre Truppen von Kiew schneller in den Osten, als die russischen Truppen, die bei Kiew abziehen, da auftauchen. Das würde höchstens Sinn machen, wenn die zahlenmäßige Überlegenheit so groß ist, dass es nicht drauf ankommt. Aber wenn der Gegner zahlenmäßig überlegen ist, wie die ukrainische Armee, verzettele ich mich nicht so.


    Und das ist nur das strategische Argument. Politisch war die Offensive auf Kiew, die im Westen als Versuch die Kontrolle über die gesamte Ukraine zu übernehmen gewertet werden musste, absolut verheerend. Der Wirtschaftskrieg wäre doch wahrscheinlich gar nicht angelaufen, vielleicht nicht mal die Waffenlieferungen, wenn Putin nicht auf Kiew marschiert wäre, sondern sich auf den Osten der Ukraine beschränkt hätte. [...]


    Diese Aussage von der Militärführung ist natürlich der Versuch alles, was bisher passiert ist, als sinnvolle Vorbereitung für die Eroberung des Donbass zu framen. Mit anderen Worten zu sagen, alles läuft nach Plan. Das wird nicht der Fall sein.


    Außerdem nach ihren eigenen angegebenen Zielen dient das natürlich nicht allein der Eroberung des Donbass, denn wenn man nur das machen würde, wäre die ukrainische Regierung sicherlich nicht dabei über Neutralität usw. zu verhandeln.


    Die Beweglichkeit der Ukrainer ist denke ich eher theoretisch. Du kannst natürlich kaum unterbinden, dass sich kleine Gruppen von Kämpfern mit tragbarem Gerät in kleinen Fahrzeugen frei bewegen. Viel vom schweren Gerät wurde dagegen zerstört, der Rest ist zur Verteidigung in den Bevölkerungszentren aufgestellt und selbst wenn man es bewegen wollte, wurden auch viele Treibstofflager zerstört. Und wenn du die meisten Verteidiger gebunden hast, musst du das, was du noch so frei rumstehen hast, auch nicht die ganze Strecke fahren sondern es reicht Kräfte im Tausch eine Station weiterzubewegen. Also von Kiew nach Tschernihiw, dafür von dort nach Sumy, von dort nach Charkiw und von dort in das Donezbecken.


    Und der Nimbus der russischen Armee ist total zerstört. Generaloberst Blechmann findet das nicht gut.


    Naja, ich denke nicht, dass sie in nächster Zeit vorhaben noch einen Krieg zu führen. Wenn du mich fragst, werden andere Militärs aus diesem Krieg vorallem lernen, bloß niemals zivile Opfer gering halten zu wollen, besonders nicht in der Anfangsphase, bevor man Dominanz auf dem Schlachtfeld erlangt hat.


    Und ansonsten ist ja vorallem wichtig, dass deine Militärtechnik gut aussieht, damit die andere Länder kaufen wollen. Und da gibt es jetzt vom russischen Verteidigungsminsterium eigentlich jeden Tag schicke Präsentationsvideos.

  • Na gut, aber das konnten sie doch eh schon, weil zB die GazpromBank von den Sanktionen ausgenommen ist, damit das Gasgeschäft eben weiterläuft.

    Ja stimmt. Jetzt weiß ich allerdings auch nicht, ob die GazpromBank ihre Euros überhaupt noch in Rubel umgetauscht bekommt. Die wird das ausländische Geld ja auch nicht per Koffer voller Scheine bekommen, sondern über ein Konto bei der russischen Zentralbank die wiederum eines bei der BIZ hat, über welches internationale Überweisungen in Fremdwährung abgewickelt werden.


    Da habe ich leider auch nur gefährliches Halbwissen anzubieten.

  • Welche Alternativen wären das? Auf welcher Bank kann ich mein Geld parken, ohne in Gefahr zu geraten, durch politische Differenzen das Geld zu verlieren? China? Warum hat Putin es dann nicht da geparkt sondern in den USA? Offenbar ist ihm trotz der Tatsache, dass er eine Invasion in die Ukraine plant, nix besseres eingefallen, um seine Devisenreserven zu bunkern.


    Die Russen haben auch woanders Devisenreserven, deshalb ist auch nur die Hälfte weg und nicht alles.


    Kannst Du (oder jemand) mir erklären, inwieweit dieser Trick eine stabilisierende Wirkung auf den Rubel hat? Also anders als wenn die Unternehmen direkt bei der russischen Zentralbank Devisen tauschen?


    Also die typische Unkenntnis der meisten Marktteilnehmer über die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten ist in die allgemeine Erwartung gemündet, dass jetzt die Europäer ihr Gas in Rubel bezahlen. Und das hat den Rubel über die vergangene Woche wieder ziemlich stabilisiert. Bleibt natürlich offen, was passiert, wenn jetzt klar würde, dass sich eigentlich nichts ändert.


    Als Beispiel: Rubel-Euro-Kurs




    Also ich lese das anders: Den Ukrainern schwebt offenbar eine Art Artikel 5 losgelöst von der NATO nur für die Ukraine seitens der Garantiemächte vor. Und da Artikel 5 letztlich heißt, du überlegst, was deiner Meinung nach ein angemessener Beitrag für die Beilegung der Bedrohung ist, könnten wir dann auch wieder Helme schicken.

  • Also bisher sieht es eher danach aus, dass da zwar vorne am Bühnenrand laut gebrüllt, aber hinter den Kulissen halbwegs vernünftig miteinander geredet wird:

    Zitat

    [...] Putins Machtspiel mit dem Gas

    Wladimir Putin ist nicht zu trauen, so viel steht fest. Darum reagierte der Kanzler wohl auch reserviert, als ihn der russische Präsident am Mittwochnachmittag anrief, um ihm zu erklären, wie er sich das künftig mit den Gaslieferungen vorstelle. Demnach werde er, Putin, zwar ein Gesetz erlassen, wonach die Rechnungen ab dem 1. April in Rubel zu begleichen seien. Für die Europäer aber ändere sich nichts. Sie könnten weiter wie üblich in Euro an die Gazprom-Bank überweisen (die nicht von den Sanktionen betroffen sei), die Bank konvertiere das Geld dann in Rubel.

    War das nun der nächste Rückzugsschritt, nachdem der Kreml erst damit gedroht hatte, den Gashahn zuzudrehen, sollte der Westen statt Rubel weiter Euro und Dollar überweisen, dann aber bald erklärte, die Rubel-Umstellung werde nicht sofort erfolgen? Ist der angedrohte Lieferstopp vom Tisch?

    Olaf Scholz ließ im Anschluss an das Telefonat erst einmal verbreiten, dass er dem Verfahren NICHT zugestimmt habe – wobei der Regierungssprecher vorsichtshalber tatsächlich Versalien in seiner Mitteilung benutzte. Stattdessen habe der Kanzler »um schriftliche Informationen gebeten, um das Verfahren genauer zu verstehen«.

    Das dürfte eine weise Entscheidung gewesen sein. Denn was Putin wirklich treibt, ist kaum zu durchschauen. Auch deshalb hat die Bundesregierung gestern zu recht die Frühwarnstufe als erste von drei Krisenstufen des Gas-Notfallplans in Kraft gesetzt. Womöglich sehen wir heute klarer: An diesem Donnerstag will der Kremlchef mit Vertretern des Gasriesen Gazprom und der russischen Zentralbank besprechen, wie man künftig mit den Exporten in »unfreundlichen Staaten« umgehen will.[...]


    Man sieht an dem Artikel schön, wie das herrschende framing sich in jeder Formulierung durchschiebt.


    Interessant, dass Putin den Anruf initiiert haben soll. Ich hatte dazu woanders nichts gelesen. Ist das gesichert? Ansonsten folgt der Artikel dem mittlerweile typischen Muster, dass man die Unsicherheit der russischen Aussagen mit der eigenen bzw. allgemeinen Interpretation als Prämisse ersetzt und dann daraus schlussfolgert. Die Prämisse ist, Putin dreht das Gas ab, wenn man nicht in Rubel zahlt. In Wirklichkeit gab es einfach keine Klarheit, für wen die Rubelzahlung gilt und ab wann sie gilt.


    Und so erzeugt man lauter Fiktion: Aus der minimalen Aufklärung, dass es nicht sofort ab morgen (also heute) gilt, wird ein erster Rückzugsschritt. Die "Drohung", das Gas abzustellen, war die nüchternde Feststellung, dass man kein Gas liefern werde, wenn man nicht dafür bezahlt wird. Erst am Ende kommt man dann halbwegs zur Wirklichkeit zurück, wenn man feststellt, dass man auf die erste Warnstufe des Notfallplans wegen der bestehenden Unsicherheit gegangen ist. Mit dem Kontext des restlichen Artikels schwingt allerdings eher mit, dass es notwendig ist, weil man Putin nicht trauen kann.


    Jetzt weiß ich wieder, warum ich für die westliche Perspektive nur sowas wie Al Jazeera lese.

  • Erleben wir gerade die Siuation, dass der Kapitalismus die Demokratie als Wirt/Träger nicht mehr benötigt?

    Interessante These. Ich denke die Reaktionen in den Gesellschaften auf den sozial-ökonomischen Druck, werden die Frage beantworten können.


    Wenn die Leute wieder mehr in den Kühlschrank und weniger in die Glotze gucken, könnte die Party vorbei sein. Bleibt abzuwarten, was die Demokratie dann zu bieten hat.

  • Erleben wir gerade die Siuation, dass der Kapitalismus die Demokratie als Wirt/Träger nicht mehr benötigt? Wenn man auf der Ebene den Radikal-Neoliberalen (Hayek, Privatstädte etc) folgt, gilt es doch gerade sehr darum, sich behindernder Fessen zu befreien, um die Apokalypse als Chance zu begreifen.

    Das gruselige ist, dass wir das eigentlich schon mal hatten.


    Der Original Hitler (also jener, dem so mancher "liberale" Kenner des zeitgeschehens mittlerweile attestiert, er sei im Grunde gar nicht so schlimm gewesen, wenn man ihn mal mit dem russischen Neohitler Putin vergleiche) hat sich zwar National-"Sozialist" genannt, kam aber nur deshalb durch eine demokratische Wahl(!) zum Posten des Regierungschefs und schliesslich zur totalitären Macht des alternativlosen Führers, weil die bürgerliche Mitte der irrigen Ansicht war, die Nazis seien leichter in Schach zu halten als die Bolschewisten, und weil Hitlers Kamarilla sich hervorragend darauf verstand, vornerum die Anwälte des kleinen, aber fleissigen deutschen Mannes zu spielen und hintenrum mit dem Großkapital zu paktieren.


    Unter den illustren Verfechtern von rechtslibertären "Utopien" wie Privatsstädten oder "Zivilrechtsgesellschaften" ohne Staatliche Gängelei und mit dezentraler, sich selbst durch Marktprozesse regulierender Kryptowährung finden sich nicht wenige, die ihren Sozialdarwinismus auch an kulturchauvinistischem bis völkisch-rassistischem Gedankengut aufhängen, und die z.B. neben dem Entzug des Wahlrechtes für SozialleistungsempfängerInnen auch der gewaltsamen Entfernung schädlicher ausländischer Einflüsse aus der deutschen Leistungskultur durchaus gewogen sind.


    Da treffen sich dann reale Goldhändler und virtuelle Kryptofetischisten mit dem völkischen Pack aus dem Institut für Staatspolitik, dem Höcke-Flügel der AfD und den diversen Reichsbürger- und Nazigruppen aus dem bundesdeutschen Polizei- und Militärapparat und warten auf den "Tag X", an dem alles zusammenbricht und sie endlich ihre Mordlisten abarbeiten können.


    Unterdessen echauffiert sich der deutsche Mittelbürger am allerliebsten über den Übergriffigen Staat, während er kein Problem damit hat, dass die sportlichen jungen Männer ganz vorne im Spaziegängerzug wider die Diktatur der Coronisten Hakenkreuze auf den Arsch tätowiert haben und nebenberuflich in der Wehrsportgruppe für den Auslandseinsatz beim Asov-Batallion trainieren.


    Zum Glück hat der deutche Medienapparat ein reines moralisches Gewissen und die deutsche Gesellschaft ein Geschichtsbewusstsein, in dem man immer irgendwie auf der richtigen Seite stand, oder zumindest nicht gewusst hat, dass es die falsche war.

  • China und Russland sind doch schon lange kapitalistischer als es die westlichen Staaten je waren (die Anfangszeit der Industrialisierung mal ausgenommen). Autokratien funktionieren wunderbar mit dem Kapitalismus zusammen, Demokratie stört viel mehr.


    Der Westen definiert sich m.E., jedenfalls definiere ich ihn so für mich, über die liberale Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtstaatlichkeit etc. Natürlich gibt es immer wieder Auswüchse (Guantanamo), Umsturzversuche (Letzte Tage Trump). Und natürlich würde sich die Industrie eher ein Autoritäres Regime wünschen, weil man in China viel besser einen Flughafen bauen kann als in Deutschland, offensichtlich. Ich behaupte aber mal, dass absolut überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung diese liberale Demokratie wichtig ist, und der Kapitalismus eher ein notwendiges Übel, wenn man ihn nicht sogar eher ablehnt.


    Leider hat 1990 aber der Kapitalismus gewonnen, und eben nicht die liberale Demokratie. Das war der Große Denkfehler des Westens. Man dachte, die Freiheit der Menschen hätte sich durchgesetzt, dabei hat sich nur die Freiheit des Geldes durchgesetzt.

  • Ich denke der Vergleich mit WK1 greift zu Kurz. Es gab zu dieser Zeit keinen so gewaltigen Bruch in der vorherrschenden Denkweise. Ich finde dass wenn man einen historischen Vergleich bemühen will, eher die französische Revolution passt.


    Frankreich und England, die dominanten Hegemonien, waren nach langen Kriegen so verschuldet, dass 75 % der Wirtschaftsleistung des Staatshaushalts in Zins und Tilgung von Krediten floss.


    Eine Klimakatastrophe, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch in Island, hat die Nahrungsversorgung gefährdet. Die beginnende dekolonialisierung sorgte für zusätzlichen Druck auf die Imperien Frankreichs und Englands.


    Die Legitimtät des "von Gott" eingesetzten Absoluten Herrschers wurde durch die Aufklärung in Frage gestellt, der Feudalismus durch bürgerliche Werte und den Kapitalismus ersetzt. Ich denke der Bruch dieser vorherrschenden Denkweise der Eliten (Der Staat bin Ich, sagt der König), zu dem "der Staat sind Wir" des Bürgertums war mit extremen Brüchen in der Gesellschaft verknüpft wie wir sie heute sehen. Die Tribalisierung griff auch damals um sich. Der Kampf gegen die Privilegien des Adels war lang und blutig. Es folgten die Napoleonischen Kriege und die Restauration bis sich Demokratie und Bürgertum am Ende durchsetzten. Das ganze dauerte seeeehhr lange.


    Die Neofeudale Elite heute, hat mit dem Versagen des Kapitalismus einen gangbarem Weg in eine "bessere" Zukunft aufzuzeigen, ein massives Legitimationsproblem und antwortet mit einer massiven Reaktionären Bewegung die den Faschismus instrumentalisiert um ihre Macht zu halten.


    Natürlich hinkt auch dieser Vergleich, aber wenigstens ist da die Hoffnung das etwas besseres am Ende steht, dass wir noch gar nich kennen mit inbegriffen.

  • Allen Ernstens? Sie kommen mit "der Kaiser wird schlecht beraten"?


    https://www.aljazeera.com/news…y-advisers-on-ukraine-war


    Das ist ein ganz interessanter Moment dafür. Denn gerade sieht es zumindestens danach aus, als ob die russische Wirtschaft mit den Sanktionen ganz gut umgehen kann - unter anderem dank etwas stabilisiertem Rubel - und nachdem die Situation an den Fronten zuletzt statisch aussah oder die Ukrainer sogar erfolgreiche Gegenoffensiven gemeldet haben, als ob die Offensive der Russen in Donbass deutlich an Schwung gewinnt. Fast so als bräuchte unsere Seite gerade eine Rückversicherung, dass es gut läuft.

  • Allen Ernstens? Sie kommen mit "der Kaiser wird schlecht beraten"?

    Schlecht beraten, Isoliert, nur Ja-Sager im Stab ... das ist ja seit 4 Wochen immer das gleiche mit unterschiedlichen Worten.


    Es ist ein bisschen wie das gebetsartige "Nie waren wir so vereint". Labern können wir halt viel. Und Powerpoint Präsentationen. Die sind auch ganz wichtig.

  • Das Problem ist aber, dass der Kapitalismus eigentlich ziemlich zuverlässig die "Demokratie" aushebelt (also in Wirklichkeit die Machtbalance mit den oligarchischen Strukturen immer mehr zu dieser Seite verschiebt). Ich würde sagen, dass im Kalten Krieg sowas wie die soziale Markwirtschaft besser funktioniert hat, lag hauptsächlich an der Furcht der Kapitalisten vor der Sowjetunion.

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