Cold War Reloaded - Der neue Ost-West Konflikt

  • Naja, behauptet halt die Russenpropaganda das in der Ukraine alles schlimmer ist...und mir ist das Nazi Problem in der Ukraine durchaus ebenfalls bekannt, aber eigentlich sieht die Situation vermutlich einfach nur mehr oder weniger so aus...

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  • Ja, ich habe da denselben emotionalen Stress wie alle anderen auch, schon einige Jahre wegen der Ukraine.

    Dann sortier dich mal bei Twitter. Du findest in jedem Winkel der Welt irgendwo ein Land, in dem es so etwas wie Nazis gibt. Strukturell sind die verschieden involvliert, nicht selten mit der Mafia, mit warlords, Drogenkartellen, korrupten Parteien, Regierungen, Militärjuntas oder sonst was. Und nicht selten sind es einfach die netten Nachbarn von nebenan. Wenn wir uns in Deutschland über Nazis im Ausland aufregen wollen, dann habe ich schlechte Neuigkeiten für dich.


    Und übrigens: Es war Russland, das den Osten in Deutschland damals maßgeblich entnazifiziert hat. Das haben die insofern deutlich effizienter gemacht als der Westen, wo man noch allerlei ehemalige SS-Kader in offiziellen Ämtern drinhatte - alles bekannt. Aber jetzt frag ich dich mal vorsichtig, in welchen Teilen Deutschlands du anteilmäßig mehr Nazis vermuten würdest. Bingo, und das hat Gründe.

  • Und übrigens: Es war Russland, das den Osten in Deutschland damals maßgeblich entnazifiziert hat. Das haben die insofern deutlich effizienter gemacht als der Westen, wo man noch allerlei ehemalige SS-Kader in offiziellen Ämtern drinhatte - alles bekannt. Aber jetzt frag ich dich mal vorsichtig, in welchen Teilen Deutschlands du anteilmäßig mehr Nazis vermuten würdest. Bingo, und das hat Gründe.

    Also nicht dass ich die Einschätzung, es gäbe auch in Russland eine Menge Nazi-Banden, die mit der Regierung paktieren nicht vollumfänglich teilen würde, aber gerade was Deutschland angeht, wäre ich da mit Vergleichen etwas vorsichtiger.


    Es war zum einen nicht Russland, das die DDR hinter einem "antifaschistischen" Schutzwall eingemauert hat, sondern die Sowjetunion. Das ist insofern nicht ganz unwichtig, als die Sowjetunion bei allem Totalitarismus der Stalin-Ära im Grunde ein Vielvölkerstaat war, zu dem auch Sowjetrepubliken gehörten, deren Bevölkerungen nicht als ethnische RussInnen galten und von denen viele keine Christen waren.

    Stalin selbst, der eigentlich Ioseb Besarionis dze Jughashvili hieß, war Georgier. Lenin hat ein ganzes (kleines) Buch über den Imperialismus als höchste und verabscheuungswürdigste Form des Monopolkapitalismus geschrieben und seine heutzutage so viel diskutierte - und von Putin so eigenwillig aus dem historischen Zudammenhang entkontextualisiserte - Entscheidung, z.B. die Ukraine in ihren damaligen Grenzen als Staat anzuerkennen, war explizit dazu gedacht, nationalistische Tendenzen gegen die Bolschewisten zu besänftigen, während man dann die Sowjetrepubliken defacto unter die zentrale Planung und Verwaltung der kommunistischen Partei und ihres Zentralkommitees in Moskau stellte.


    Dass dabei am Ende ein totalitärer Polizeistaat heraus kam, dem es nicht gelang, völkisches Gedankengut und religiösen Fanatismus nachhaltig zu den Akten zu legen ist leider nicht zu leugnen. Die ideologische Leitlinie war dabei jedoch nicht "Russland über alles!", sondern die "Diktatur des Proletariats" und die von Marx & Engels in ihrem jugendlichen Leichtsinn als Endziel der Revolution im kommunistischen Manifest verkündete Vereinigung der "Proletarier aller Länder" unter einer kommunistischen Internationalen - woraus man im freien Westen dann in der Nachkriegsordnung natürlich einen Anspruch der UDSSR ableitete, die Arbeiterklassen anderer Länder mit Gewalt zu vereinigen, und daher die NATO gründete und die BRD - inklusive allerhand Ex-Nazis im Parlament, in wichtigen Verwaltungspositionen und im neu gegründeten Auslandsgeheimdienst - schnellstmöglich zum ökonomischen und ideologischen Bollwerk gegen den kommunistischen "Imperialismus" auszubauen, sie unter NATO-Aufsicht wiederzubewaffnen und zur "nuklearen Teilhabe" im Ernstfall zu verpflichten.


    Zum anderen haben wir heute nicht nur in ökonomisch abgehängten ländlichen Regionen im Osten unseres wiedervereinigten Landes - wo das aufkeimende Neonazitum zum Ende der DDR vor allem eine jugendbewegung gegen den Staatssozialismus der SED war, und nicht nur von westdeutschen Neonazis, sondern auch von westlichen Geheimdiensten befördert wurde - verstärkten Zulauf zu nationalistischen bis völkisch-rassistischen Gruppierungen, sondern auch z.B. im zunehmend deindustrialisierten Ruhrgebiet.

    Der historische Zusammenhang ist hier nicht allein die "russische" - also eigentlich sowjetische - Besatzung und der totalitäre Vasallenstaat, sondern der ökonomische Niedergang der jeweiligen Regionen und die damit verbundenen Verlustängste, die schon immer das Mittel der Wahl für rechte Reaktionäre waren, um die Bevölkerung gegen dekadente liberale Eliten und linke Vaterlandsverräter aufzuhetzen.


    Andererseits findet man auch in einem reichen Bundesland wie Hessen tiefe Verstrickungen des "nationalsozialistischen Untergrundes" in das Landesamt für Verfassungsschutz, auch wenn rechte Parteien dort bei Wahlen allenfalls auf kommunaler Ebene vereinzelte Erfolge verbuchen können, und die Aufklärung rechtsterroristischer Mordserien wird dort auch mit den Stimmen der "liberalen" Grünen Partei weiter von Staats wegen behindert.

    Im reichsten Bundesland Bayern regiert hingegen ein und die selbe Partei - deren prominentester Partei-Pate dereinst zum Besten gab, rechts neben der €$U dürfe nur noch "die Wand" kommen - seit Kriegsende fast ununterbrochen und bis vor einigen Jahren weitgehend mit aboluter Mehrheit, und sie hat, abgesehen von ein paar urbanen, liberalen Enklaven den Verwaltungs- und Sicherheitsapparat bis auf die Kommunale Ebene hinab fest im Griff.

    Deren Parteiprominenz betreibt zu Wahlkampfzwecken auch regelmäßig einen zwar von Außenstehenden gerne als "Volkstümlich" verharmlosten und belächelten Kulturchauvinismus, der den völkischen Bezügen Putins zur tausendjährigen russischen Kulturtradition bis zu einer frühmittelalterlichen Wikingersiedlung im heutigen Kiew jedoch zumindest verwandt ist, und besonders gerne dann in Stellung gebracht wird, wenn es den jeweiligen Parteifürsten opportun erscheint, die völkische Eigenständigkeit und Großartigkeit des eigenen Herrschaftsgebietes gegenüber anderen Teilen der Republik hervorzuheben, oder bei ihren WählerInnen Ängste vor kultureller Überfremdung durch Einwanderer aus nicht so weißen, nicht so christlichen Kulturkreisen zu schüren, und naives bis gefährliches linkes Gutmenschentum dafür verantwortlich zu machen.


    Das kann man natürlich überhaupt nicht eins zu eins auf die Verhältnisse in der Ukraine oder in Russland übersetzen, weil in beiden Ländern noch nie ein "liberaler" westlicher Kapitalismus herrschte, in dem konkurrierende Kapitalinteressen versuchen, die öffentliche Meinung durch private Propaganda und Lobbyismus für ihre Zwecke zu vereinnahmen und ihre jeweiligen politischen InteressenvertreterInnen in die Regierung zu bringen, sondern ein direkt aus dem autoritären Staatsozialismus per neoliberaler Schocktherapie transformierter, mafiöser Raubtierkapitalismus, bei dem die OligarchInnen selbst entweder direkt höchste Regierungsämter besetzen, oder sich die AmtsträgerInnen mit ökonomischen Anreizen oder nackter Gewaltandrohung gefügig machen.


    Aber in allen Varianten gilt, dass der Kapitalismus ein gnadenloses Wettbewerbsdenken fördert, dem alles recht und billig erscheint, was die eigene Position stärkt und die Konkurrenz ausschaltet, und wo die Gewinner beim großen Monopoly nach der Devise verfahren, dass nur der Erfolg ihnen recht gibt.

    Die Anschlussfähigkeit kapitalistischer Ideologien an rechten Sozialdarwinismus ist keine Frage der poltischen Mehrheitsverhältnisse innerhalb des kapitalistischen Systems, sondern sie ergibt sich aus seinen inhärenten Mechanismen selbst und droht immer dann in faschistische Schulterschlüsse zur Sicherung seines Fortbestandes für seine Profiteure umzuschlagen, wenn sie ihre Besitzstände bedroht sehen.


    Wer glaubt, der Wertewesten sei aufgrund seiner liberalen, humanistischen Aufgeklärtheit immun gegen solche Auswüchse und könne daher - so wie der bräsige Pfaffe Gauck das neulich in einer öffentlich-rechlichen Diskussionssimulation anregte - für die Verteidigung seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen den Russenhitler auch mal ein bisschen weniger Heizung, Lebensmittel und Arbeitsplätze ertragen, dem sei erneut der Blick in das Mutterland des liberalen Kapitalismus und des modernen Kapital-imperialismus empfohlen, wo schon vor dem Ausbruch der "neuen Weltordnung" massenhaft Menschen in Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Hunger getrieben wurden, und wo Teile der bürgerlichen Mitte einen narzisstischen Mafiaboss zum Präsidenten gewählt, und dann versucht haben, das Parlamentsgebäude zu stürmen, als er wieder abgewählt wurde.

  • Ich hab da gestern noch mal drüber nachgedacht. "Ergebt euch doch, ihr habt eh keine Chance. Warum müssen noch sinnlos Menschen sterben" (auch nach Precht). Das klingt erstmal logisch, heißt aber für sehr viele Menschen dass sie ihre Heimat verlieren, vielleicht sogar für immer.


    Wenn die Ukraine aufgibt, dann bekommt Putin seine Maximalforderung, und das wird mal mindestens eine Putintreue Marionetten-Regierung sein. Keine freien Wahlen mehr, keine freie Meinungsäußerung, kein Demonstrationsrecht. und so weiter. Was passiert wenn man aufbegehrt, hat man in Belarus gesehen und zuletzt in Kasachstan. Ich kann da nur für mich sprechen, aber ich möchte in so einem System nicht leben, und ich denke viele Ukrainer möchten das auch nicht.


    Und dann kommt das ganze Demilitarisierungs- und Entnazifizierungs-Blabla von Putin. Kein Mensch weiß, was damit am Ende tatsächlich gemeint ist. Vielleicht nur ein Prozess gegen die Azov-Einheiten. Es kann aber auch bedeuten, dass jeder Ukrainische Soldat oder Zivilist, der gegen die Russischen Truppen gekämpft hat, ein "Nazi" ist. Auch so könnte man das durchaus auslegen. Und im absoluten Maximum könnte "Entnazifizierung" sogar bedeuten, dass die Ukrainische Kultur verboten wird, und Ukrainer zu Russen umerzogen werden. Ich sage nicht, dass Putin das meint oder will - aber es ist eine Möglichkeit, die bestimmt viele Ukrainer im Hinterkopf haben, wenn sich jetzt die Frage stellt um was es in diesem Krieg geht. Dass Putin - sicher bewusst - so vage in seinen Kriegszielen bleibt, schafft diese Unsicherheit.

    Interessant, dass Precht hier den utilitaristische Ansatz wählt. Die Zahl der Toten möglichst zu minimieren ist das höchste Gut. Also beim philosophischen Denk-Experiment mit dem Zug den dicken Kerl auf die Schienen werfen. Allerdings geht er davon aus, dass das Ergebnis immer schlechter wird, je länger gekämpft wird, da die Ukraine keine Chance hat, den Krieg zu gewinnen. Also kommt die Marionetten-Regierung so oder so. Ob mit oder ohne Waffenlieferungen. Ich finde seine Darlegung durchaus schlüssig.


    Was mich nicht ganz überzeugt ist, dass er meint, wir würden diese Entscheidung nicht für die Ukraine treffen, ob der Kampf sinnvoll ist oder nicht, wenn wir Waffenlieferungen verweigern. Aber wir sabotieren dann zumindest ihre Entscheidung, weil wir sie für falsch halten. Wenn wir ihre Entscheidung voll akzeptieren, würde wir als Verbündete alles tun sie in ihrer Entscheidung zu unterstützen.

  • Jetzt ist die Frage warum die Luftraumüberwachung nicht funktioniert hat noch interessanter...

    Vorgestern ist überraschend eine Drohne über Kroatien abgestürzt. Es war nicht sofort klar, ob das eine russische oder ukrainische Drohne war, wieso die über Kroatien rumkreiste, wieso sie abstürzte, und wie die da überhaupt hin kam, ohne dass sie jemand anfliegen sah.Aber immerhin sah es wie eine Aufklärungsdrohne aus.

    Jetzt stellt sich raus: Die hatte eine Bombe an Bord.

    OK und da wird das dann doch plötzlich deutlich dringender, wie die da unbemerkt hinfliegen konnte, immerhin durch den Luftraum von Rumänien und Ungarn, zwei Nato-Mitgliedsländer.

    Man würde ja schon annehmen, dass ein Bomber auffallen würde, der durch Nato-Luftraum fliegt, auch wenn er unbemannt ist.

  • Zum anderen haben wir heute nicht nur in ökonomisch abgehängten ländlichen Regionen im Osten unseres wiedervereinigten Landes - wo das aufkeimende Neonazitum zum Ende der DDR vor allem eine jugendbewegung gegen den Staatssozialismus der SED war, und nicht nur von westdeutschen Neonazis, sondern auch von westlichen Geheimdiensten befördert wurde - verstärkten Zulauf zu nationalistischen bis völkisch-rassistischen Gruppierungen, sondern auch z.B. im zunehmend deindustrialisierten Ruhrgebiet.

    Nachdem ich gestern Abend noch mehr oder weniger motiviert etwas geschrieben hatte und ich ohnehin eher zu Simplifizierung neige, erkenne ich deinen Versuch in Kürze nationalsozialistische Bewegungen in West- und Ostdeutschland + alten Sowjetrepubliken zu skizzieren sehr gelungen. Das war aber nicht mein Anspruch in dem Moment. Nichtsdestotrotz würde ich dir insofern im obigen Beispiel ergänzen wollen, dass Nazitum in der DDR nicht nur gegen Ende derer aufkeimte, sondern die Saat allein dadurch schon ständig an der Oberfläche lag. Das Problem war doch wohl eher, dass nach der rabiaten Entnazifizierung und dem Versprechen der BürgerInnen, sich nun dem "Sozialismus" zuzuwenden, in gewisser Form eine Absolution erteilt wurde und ein offener Diskurs gar nicht in der Form zwischen den Generationen notwendig war, wie es im Westen der Fall war.


    Ich will damit natürlich nicht behaupten, dass das hier im Westen exzellent lief und ich bezog mich auch wirklich nur auf das Entnazifizierungsargument, was man gegen die Ukraine anbringen möchte.

  • Ich kann auch nur für mich sprechen und ich wäre lieber weiter lebendig, als mich für den Machterhalt irgendeiner Elite an der Front verheizen zu lassen.

    Aber die Ukrainer scheinen sehr motiviert zu sein, sonst könnten sie bei den gegebenen Kräfteverhältnissen nicht mithalten.

    Dann erzähl. Ich glaube dir sofort, dass Putin seine genauen aktuellen Forderungen irgendwo gesagt hat, allerdings ist mir die Lage zu unübersichtlich, und ich hab das nicht mitbekommen.

    Hat er nicht. Und ich denke, das ist seine übliche Taktik aus Lügen, Verschleierung und Hybrider Kriegsführung. Er wirft ab und zu ein paar nichtssagende Brocken hin. Lässt seine Unterlinge irgendwas sagen. Was natürlich nicht bindend ist.

    Weit von den Maximalforderungen entfernt ist, wenn es sich nicht sogar mit ihnen deckt. Insofern hatte ich mich gefragt, ob Precht vielleicht für die Russen arbeitet, als ich das gelesen habe.

    Die Maximalforderung, die ich von Putin bisher seit Kriegsbeginn gelesen habe, war dass die Ukraine keine eigene echte Staatlichkeit besitzt, weil von Lenin hingemurkst, und das sind alles Russen eigentlich und können daher an die russischen Föderation angegliedert werden. So wie Weißrussland oder die Krim vielleicht.


    Die Sanktionen treffen in Russland wohl nur einen Teil der Bevölkerung, anders als der Westen es sich vorstellt:


    http://blog.fefe.de/?ts=9cd32179

    Allerdings sind die unteren 80%, die angeblich kaum betroffen sind von den Sanktionen, ohnehin politisch irrelevant. Die oberen 20% haben da wahrscheinlich schon eher Verbindungen in die Spitze.

  • Jetzt ist die Frage warum die Luftraumüberwachung nicht funktioniert hat noch interessanter...


    Der Luftraum ist horizontal strukturiert in verschiedene Luftraumklassen, bis in ungefähr 20.000 Meter Höhe. Er wird aber gar nicht überall kontrolliert. Vom Boden bis zu standardmäßig ungefähr 760 Metern, an vielen Stellen nur bis zu knapp 300 Metern Höhe, ist der deutsche Luftraum außerhalb der Kontrollzonen der 16 internationalen deutschen Flughäfen für Fluglotsen ein dunkles Feld. Ihr Radar ist da blind.



    Die Drohne war früher mal auf 1300m Höhe ausgelegt, flog wahrscheinlich darunter.





    Mal sehen ob da auch einer der "bis zum letzten Blutstropfen kämpfenden" Klitschkos mitgeht?





    2014 - keine Solidarität, kein medialer Aufschrei, keine Profilbilder farblich verändert.


  • Aber die Ukrainer scheinen sehr motiviert zu sein, sonst könnten sie bei den gegebenen Kräfteverhältnissen nicht mithalten.

    Laut UNHCR sind bisher (Stand 12. März 2022) binnen zweieinhalb Wochen seit Kriegbeginn fast 2,7 Millionen Menschen aus der Ukraine in andere Länder geflüchtet. Da sind die Geflüchteten, die innerhalb der Ukraine aus den umkämpften gebieten im Osten in den bislang noch weitgehend von Kampfhandlungen verschonten Westen des Landes geflohen sind noch gar nicht mit einberechnet. Und die Russen beginnen gerade erst so richtig in die großen Städte einzudringen.


    Jetzt kannst Du sagen, das seien ja alles nur Frauen und Kinder und nur etwa 6% der gesamten Bevölkerung, aber dann musst Du auch dazu sagen, dass Männer im wehrfähigen Alter das Land nicht verlassen dürfen.


    Selbst wenn man - so wie Du es offenbar tust - der mittlerweile auch im Westen stark gefilterten, auf episches Heldentum und Disaster-Porn getrimmten Berichterstattung über den Krieg glauben schenken würde, könnte man eigentlich verstehen, dass viele ZivilistInnen die dort bleiben und Waffen in die Hand nehmen, dies nicht aus irgendeiner idealistischen Begeisterung für Freiheit und Demokratie bis in den Tod machen, sondern weil sie ihre Häuser und ihre Familien gegen bewaffnete Fremde verteidigen wollen.

    Das kann man von hier aus unmöglich moralisch kritisieren und das ist auch nicht meine Absicht.

    Aber was man hier aus sicherer Entfernung kritisieren kann und muss, ist die enthemmte Emotionalität, mit der sich hier im deutschen Bildungsbürgertum am Heldentod der Ukrainischen Bevölkerung berauscht, und das dann mit einer liberalen "Haltung" begründet wird, die man sich halt leisten kann, wenn man dafür nicht selbst an die Front ziehen muss.


    Der Westen - und hier insbesondere die USA - haben der ukrainischen Elite jahrelang das Gefühl gegeben, dass man sie gegen russische Angriffe schützen werde, so lange sie nur den harten Kurs gegen Russland beibehalte. Jetzt stellt sich auf einmal - wer hätte es gedacht? - heraus, dass man außer für die ganze Weltwirtschaft ruinösen Sanktionen, scharfer Rhetorik richtung Moskau und ein bisschen Rüstungsexport leider keinerlei Absicht hatte, diese Erwartungen auch mit tatsächlicher militärischer Unterstützung zu erfüllen, weil man sich urplötzlich daran erinnert hat, dass der Russenhitler über ein Atomwaffenarsenal verfügt.


    Sich jetzt hinzustellen und zu beklatschen, wie die Zivilbevölkerung sich dort verzweifelt selbst zu schützen versucht und dabei diese ganze Vorgeschichte auszublenden, ist entweder vollkommen ignorant oder komplett irrational.

  • Sich jetzt hinzustellen und zu beklatschen, wie die Zivilbevölkerung sich dort verzweifelt selbst zu schützen versucht und dabei diese ganze Vorgeschichte auszublenden, ist entweder vollkommen ignorant oder komplett irrational.

    Möglicherweise unpassend, aber mein Zynismus sagt "wir" haben da nun immerhin ne Menge Geld und Aktionismus und nicht nur Klatschen, wie für unsere "unwichtige" Pflegeunterklasse. Wobei wohl weniger das "Für", als viel mehr das "gegen" hier der Motivator ist und "gegen schlechte Versorgung der unter- und mittelklassigen Pflegebedürftigen" gibts halt dann nicht mehr als nen Klatschen für die Pflegesklaven.

  • Hat er nicht. Und ich denke, das ist seine übliche Taktik aus Lügen, Verschleierung und Hybrider Kriegsführung. Er wirft ab und zu ein paar nichtssagende Brocken hin. Lässt seine Unterlinge irgendwas sagen. Was natürlich nicht bindend ist.

    Die Maximalforderung, die ich von Putin bisher seit Kriegsbeginn gelesen habe, war dass die Ukraine keine eigene echte Staatlichkeit besitzt, weil von Lenin hingemurkst, und das sind alles Russen eigentlich und können daher an die russischen Föderation angegliedert werden. So wie Weißrussland oder die Krim vielleicht.


    Also du kannst nicht gleichzeitig sagen, es gibt keine konkreten Forderungen und es gibt eine konkrete Maximalforderung, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine zu beenden, die sich aus Putins historischen Exkursen herleitet. Auf die haben sich zwar alle gestürzt, aber sie sind am wenigsten informativ, denn was aus Putins historischer Sicht letztlich abgeleitet werden kann, ist völlig spekulativ.


  • Auch wenn es jetzt vielfach so gesehen wird, mit Russland gute wirtschaftliche Beziehungen haben zu können war nie eine Lebenslüge. Die Lebenslüge war, dass diese Beziehungen nicht betroffen sind, wenn die Hegemonialmacht des eigenen Blocks versucht Russland einzudämmen, um seinen Einfluss insbesondere in Osteuropa zu eliminieren.


  • Da wehrt sich nicht hauptsächlich eine bewaffnete Zivilbevölkerung, sondern die Ukrainische Armee und die vielen Reservisten die die letzten Jahre ausgebildet wurden.


    Mittlerweile sollte jeder über verschiedene WhatsApp-, Facebook-, Signal- oder Flurfunkgruppen mitbekommen haben wie geholfen werden kann. Bei uns wird von verschiedenen Vereinen/ Schulen/ Kindergärten/ Theatergruppen etc. z.B. Schulbedarf gesammelt und Matratzen Hygieneartikel... wer in verschiedenen Vereinen/ Organisationen aktiv ist kann zusehen dass nicht parallel mehrere Arbeit doppelt machen.

    Im Rahmen dessen ist das was du so als "Disaster-Porn" abtust, für die Mehrheit die reine Information, dass es den Leuten dort bzw. den Flüchtlingen hier Scheiße geht. Die allermeisten dürften nicht 24/7 die neuesten Schauerbilder beider (Propaganda-)Seiten verfolgen.


    Da kann man jetzt weiter drauf rummosern, dass der Westen ja was eigentlich, eine Einflusssphäre Russlands geringgeschätzt hat, einem souveränen Staat ein Bündnis in Aussicht gestellt hat, aber das bringt niemanden weiter.


  • Dass sie das Land nicht verlassen dürfen, heißt nicht, dass sie es nicht verlassen können. Oder Kampfhandlungen nicht vermeiden können, indem sie sich ergeben oder fliehen. Viele scheinen aber motiviert gegen die Invasoren zu kämpfen. Und dass sie ihre Häuser und Familien verteidigen macht es meines Erachtens nicht weniger legitim ihnen die Waffen zu geben, mit denen sie das effektiv tun können.


    Die Berichterstattung im deutschen TV ist sicher in vielen Aspekten geschmacklos. Ebenso wie die "mutige" Sprüche-Klopferei im Bundestrag. Aber das ändert nicht an der eigentlichen Frage. Es geht eben nicht darum, ob man den verzweifelten Kampf der Ukrainer beklatscht, sondern ob man ihn unterstützt oder sie fallen lässt.


    Kannst du das belegen, dass "die USA" der ukrainischen Elite jahrelang das Gefühl gegeben hat, sie würde mit Russland in einen Krieg eintreten, um die Ukraine zu beschützen? Den Vorwurf höre ich öfter, aber einen Beleg habe ich dafür noch nicht gesehen. Im Gegenteil hat Joe Biden schon vor der Invasion ganz klar gesagt, dass die USA nicht einen Krieg eingreifen wird. Und dafür viel Schelte eingesteckt.

    Also du kannst nicht gleichzeitig sagen, es gibt keine konkreten Forderungen und es gibt eine konkrete Maximalforderung, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine zu beenden, die sich aus Putins historischen Exkursen herleitet. Auf die haben sich zwar alle gestürzt, aber sie sind am wenigsten informativ, denn was aus Putins historischer Sicht letztlich abgeleitet werden kann, ist völlig spekulativ.


    Stimmt. Aber das Wort "konkret" habe ich auch nicht verwendet. Bei all seinen Forderungen ist spekulativ, was daraus abgeleitet werden kann.


    Auch wenn es jetzt vielfach so gesehen wird, mit Russland gute wirtschaftliche Beziehungen haben zu können war nie eine Lebenslüge. Die Lebenslüge war, dass diese Beziehungen nicht betroffen sind, wenn die Hegemonialmacht des eigenen Blocks versucht Russland einzudämmen, um seinen Einfluss insbesondere in Osteuropa zu eliminieren.

    Wobei "Einfluss" ein Euphemismus für Militär ist, denn einen Einfluss anderer Art hat Russland ja nicht.


    PS

    Sieht der Habeck fix und fertig aus oder ist das die Aufnahme?

  • Kannst du das belegen, dass "die USA" der ukrainischen Elite jahrelang das Gefühl gegeben hat, sie würde mit Russland in einen Krieg eintreten, um die Ukraine zu beschützen? Den Vorwurf höre ich öfter, aber einen Beleg habe ich dafür noch nicht gesehen. Im Gegenteil hat Joe Biden schon vor der Invasion ganz klar gesagt, dass die USA nicht einen Krieg eingreifen wird. Und dafür viel Schelte eingesteckt.

    Ich schmeiße mal McCains Besuch des Maidan 2013 in die Konversation.

    https://www.theguardian.com/wo…otests-support-just-cause

  • das bringt niemanden weiter

    ...wenn niemand, der im Westen und in Washington etwas zu melden hat, ernsthaft an einer Beendigung dieses Krieges interessiert ist, bevor die Ukraine nicht geopfert wurde, um Russland zu einem atomar bewaffneten Dritte-Welt Land herunter zu wirtschaften, in dem sich dann nach dem Sturz des Zaren die rivalisierenden Oligarchen-Clans um die Startcodes streiten?


    Oder was ist da die rationale Idee dahinter?


    Wer diesen Krieg beenden will, der kann sich nicht auf moralische Deutungshoheit berufen und die gesamte Vogeschichte im Archiv verschwinden lassen, weil der Gegner ein Völkerrecht gebrochen hat, um welches man sich zuvor selbst einen Dreck geschert hat, so lange das der eigenen Ideologie und den eigenen imperialistischen Interessen dienlich war.


    So lange diese Geschichtsvergesslichkeit weiter normalisiert wird, liefert man Putin genau das was er braucht, um Russland weiterhin als unschuldiges Opfer westlicher Arroganz darzustellen, und seinen Angriffskrieg gegenüber den eigenen Leuten zu legitimieren.

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