Da wo eine politisch-gesellschaftliche Diskussion einseitig geführt wird, unter Ausgrenzung unliebsamer Meinungen beispielsweise mit den Mitteln der Diskreditierung der Meinungsführer, oder da wo Themen gar mit einem Tabu belegt sind und in der öffentlichen Diskussion gar nicht erst auftauchen, überall da ist der Begriff angebracht.
Natürlich ist das so. Wer kann sich denn anmaßen zu entscheiden, wo er verwendet werden darf und wo nicht? Auch diese Unterscheidung wäre doch bereits ein „Canceln“.
"Cancel Culture" ist ein politischer Kampfbegriff, der heute hauptsächlich vom konservativen bis rechten Spektrum gegen Linke (oder gegen leute die sie dafür halten) vewendet wird.
Der Begriff ist umstritten und hat keine eindeutige Definition, aber ihn im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Kriegspropaganda und den Hexenjagden auf vermeintliche PutinistInnen zu verwenden, ist eine völlige Verdrehung dessen was hier gerade geschieht.
Es sind nicht die radikalen Linken - denen man von bürgerlicher Seite bisher hauptsächlich unterstellte, sie würden jene "Kultur" des "cancelns" befördern - die jetzt zur Hatz auf potenzielle Kollaborateure blasen und jeglichen rationalen Diskurs über Ursachen und Wirkungen dieses Krieges unter einem Parteiübegreifend geschichtsvergessenen Burgfrieden begraben wollen, bis der Verbrecher Putin zur Räson gebracht ist, sondern überwiegend genau das gehobene Bürgertum, von liberal bis erzkonservativ, das sich sonst so gerne über die "linke " "cancel culture" echauffiert und es jetzt für angebracht hält, selbst offenen völkischen Nationalismus gegen linke Kritik in Schutz zu nehmen, so lange er sich nur gegen das "richtige" böse Volk richtet und sich heldenhaft in den Kampf gegen den Russenhitler und seine Helfershelfer stürzt.
Natürlich liegt beiden Phänomenen eine übertriebene Moralisierung von öffentlichen Diskursen zugrunde, aber die Motive sind grundverschieden und in ihrer Wirkung nicht einmal ansatzweise vergleichbar.