Ich bin aktuell schon der Ansicht, dass sich politische Entscheidungsträger aktuell sehr viel Macht geben. Wir erleben, aus meiner Sicht, die Rückehr des Primates der Politik, in Gestalt eines immer repressiver agierenden und militärisch gesinnteren Staates. Und damit fällt natürlich automtisch auch einzelen Regierungsmitgliedern das Privileg zu wirklich wichtige Entscheidungen für uns alle zu treffen.
Dazu wirst Du von mir seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine wenig bis gar keinen Widerspruch hier im Forum finden. Ich habe mich hier schon mehrfach sehr kritisch dazu geäußert, dass der bürgerliche kapitalistische Staat auf einem Gewaltmonopol gegründet ist, das nicht nur nach außen, sondern auch nach innen überhaupt dafür sorgt, dass er als solcher zusammenhält.
Und da wir diesen Staat auch in der liberalen Demokratie von einer Staatsführung regieren lassen, die sich durch ihre demokratische Wahl lediglich die Legitimation dafür abholt, für die Dauer der bewählten Legislaturperiode über das demokratische Volk zu herrschen, (sofern es das Grundgesetz und die Gesetze die sie selbst ändern kann erlauben), kann sie der Staatsbevölkerung eben auch alles mögliche abverlangen, um die Macht des Staates nach innen wie nach außen zu sichern, bis hin zum Kriegsdienst an der Waffe für das Vaterland - egal ob der Bevölkerung das passt oder nicht. Und mir passt das überhaupt gar nicht.
Ich widerspreche Dir allerdings ganz entschieden...
Wir erleben hier keinen Auswuchs kapitalistisch geprägter Denkweisen mehr, sondern wir befinden uns inmitten eines Machtkampfes darüber, wer in dieser Welt den Ton angibt. Hier fallen gerade Masken. Die achso freiheitliche und liberale Lebensweise im Westen, war nur solange politisch geduldet, solange es keine Bedrohung von Außen gab. Das was Du als "Ideologie" bezeichnest war eine Art Versprechen, welches nun eilig eingeholt und revidiert wird ("Friedensdividende","Ende der Geschichte", "freiheitliche Grundordnung", "freiheitliche Lebensweise") in "Kriegstüchtigkeit" und "Gut gegen Böse".
...wenn Du meinst, das hätte alles nichts mehr mit kapitalistischer Denkweise zu tun.
Der Fehler den Du dabei - meiner salonmarxistischen Ansicht nach - genauso machst, wie die meisten anderen nicht explizit kapitalismuskritischen Kritiker der gegenwärtigen Kriegs- und Krisenpolitik ist, dass Du offenbar völlig ignorierst, dass Kapitalismus ohne einen Staat überhaupt nicht funktionieren kann, weil nur staatliche Gewalt dafür sorgt, dass es in einer Gesellschaftsordnung in der alles auf Konkurrenz um die größte Kaufkraft ausgerichtet ist, und in der der größere Teil der Bevölkerung sich permanent am Markt um Lohnarbeitsplätze oder um deren Erhalt für sich selbst bewähren muss, um überhaupt seinen Lebensunterhalt zu verdienen, noch halbwegs geordnet und gesetzestreu zugeht.
Der Staat der dabei das private Eigentum am Kapital mit seiner Staatsgewalt sichert, muss gleichzeitig mit der selben Gewalt dafür sorgen, dass es sich die eigentumslose Mehrheit nicht einfach von der Besitzenden Minderheit nimmt, sondern dass sie statt dessen jeden Tag schön brav zur Arbeit geht, um den Eigentümern dabei zu helfen, sich noch mehr Eigentum anzueignen.
Der Staat muss außerdem den Wirtschaftsstandort in dem diese Eigentumsakkumulation permanent stattfinden muss, damit der ganze Laden nicht zusammenbricht, gegen seine ausländische Standort-Konkurrenz verteidigen.
Idealerweise tut er das mit rein politischen Mitteln, bzw. mit der Gängelung des Staatsvolkes zu mehr Lohnzurückhaltung und mehr Leistung, um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft zu erhöhen, aber im Ernstfall muss er das auch mit Gewalt tun, wenn sein politisch-ökonomischer Einfluss in der Welt zu schwinden droht, indem ihm zum Beispiel Absatzmärkte und Handelswege also Einflusssphären verlustig gehen, und er nicht ökonomisch untergehen und damit auch seine politische Macht verlieren will.
Genau diese Verteidigung der eigenen (Vor-)machststellungen treiben die Staatsführungen der USA genauso wie Russlands dazu an, sich diesen Stellvertreterkrieg auf Kosten der Ukrainischen Bevölkerung zu liefern und die halbe Welt und ganz Europa da mit hinein zu ziehen. Die Amerikaner fürchten dabei um ihren Machtverlust in Eurasien und wollen ohnehin schon seit Jahrzehnten unbedingt einen Keil zwischen die EU und Russland treiben, während ihnen heute gleichzeitig auch noch in China ein weiterer Konkurrent heranwächst, auf den man sich jetzt eigentlich konzentrieren muss, bzw. glaubt es zu müssen.
Die Russische Führung fürchtet wiederum um ihre Existenz als solche, wenn sie den westlichen Wirtschaftsraum noch stärker an sich heran kommen lässt. Auch Putin und seine Kamarilla der politischen Kapitalisten sind darauf angewiesen, die Wirtschaft des riesigen Landes und seiner Nachbarschaft unter ihrer Kontrolle zu halten, um ihre Macht abzusichern.
Gleichzeitig wollen auch die Länder der EU - und allen voran die beiden größten Konkurrenten um die europäische Führungsmacht Deutschland und Frankreich - ihre dominanten Positionen nicht aufgeben und versuchen daher sich ebenfalls entsprechend geopolitisch zu positionieren. Deutschland hat dabei auch noch am meisten zu verlieren.
Man mag die Entscheidungen der Bundesregierung auch im Sinne einer ökonomischen Machtbehauptung komplett falsch finden - da würde ich jedenfalls auch vollkommen zustimmen - und womöglich hätte es eine andere Regierung ganz anders gemacht.
Aber wir haben nun mal die Regierung die wir haben, und das hat eben auch Gründe, die außerhalb der Handlungsmacht der Regierungs- und ParteiführerInnen liegen, denn die wurden ja leider in entsprechenden Prozentanteilen von einer Bevölkerung gewählt, die sehr wohl und durch und durch von bürgerlicher, kapitalistischer Ideologie geprägt ist.
Wenn es nach mir ginge wären wir ohne Staat und ohne privates kapital langfristig besser beraten. Aber nach Leuten wie mir geht's hier halt nicht.