Ich lass den Fund mal unkommentiert, allein schon da ich da nix qualifiziert kommentieren kann, hier:
https://www.marxists.org/deuts…charin/1918/xx/anarch.htm
"N.Bucharin, Anarchismus und wissenschaftlicher Kommunismus, Hamburg 1918.
Nachgedruckt in Karl-Heinz Neumann (Hrsg.), Marxismus Archiv, Bd. I, Marxismus und Politik, Frankfurt/M. 1971, S. 272–279.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive."
ZitatAlles anzeigenI
Wir beginnen mit dem „Endziel“ mit unserem und dem der Anarchisten. Die landläufige Vorstellung in dieser Frage geht dahin, der Kommunismus und Sozialismus setzten die Beibehaltung des Staates voraus, während die „Anarchie“ diesen Staat beseitige. „Anhänger“ des Staates und „Gegner“ des Staates, so definiert man den „Gegensatz“ zwischen Marxisten und Anarchisten.
Es muß festgestellt werden, daß an einer derartigen Definierung des „Gegensatzes“ in hohem Maße nicht nur die Anarchisten, sondern auch die Sozialdemokraten Schuld tragen. Das Geschwätz vom „Zukunfts-Staat“, vom „Volks-Staat“ hat sich in der Gedankenwelt der Sozialdemokratie breit gemacht. Einige sozialdemokratische Parteien waren sogar stets bestrebt, ihren „staatlichen“ Charakter besonders hervorzuheben. Wir sind die wahren Träger der „Staatsidee“ – das war eine beliebte Phrase im Munde der österreichischen Sozialdemokratie. Derartige Anschauungen waren nicht allein in den Kreisen der österreichischen Partei weit verbreitet. Sie hatten gewissermaßen internationale Verbreitung und haben sie sogar heute noch und zwar in dem Maße, als die alte Partei noch nicht endgültig verfault ist.
Dessen ungeachtet hat diese „Staatsweisheit“ mit der revolutionär-kommunistischen Lehre von Marx nichts gemein.
Der wissenschaftliche Kommunismus sieht im Staat die Organisation der herrschenden Klassen, ein Werkzeug der Unterdrückung und Gewalt, es kann bei ihm natürlich nicht vom Zukunftsstaat die Rede sein. In dieser Zukunft gibt es keine Massen, keine Klassenunterdrückung und folglich auch kein Werkzeug dieser Unterdrückung, die Staatsgewalt. Der „klassenlose Staat“ – auf welchen Standpunkt sich die Sozialdemokraten verirren – ist ein Widerspruch in sich, ein Unsinn, ein Unfug, „trockenes Wasser“. Und wenn auch eine mit diesem trockenen Wässerchen begossene ideologische Rinde die geistige Nahrung der Sozialdemokratie bildet, tragen hieran die großen Revolutionäre Marx und Engels wahrlich keine Schuld.
Die kommunistische Gesellschaft ist somit eine staatenlose. Wenn dem so ist – und zweifelsohne ist dem so – worin besteht denn in Wirklichkeit der Unterschied zwischen Anarchisten und marxistischen Kommunisten? Verschwindet der Unterschied nicht zumindest in der Frage über die zukünftige Gesellschaft, über das „Endziel“?
Nein, der Unterschied ist vorhanden. Allerdings verläuft er sich in einer ganz anderen Richtung. Man kann ihn kurz formulieren als Unterschied zwischen der zentralisierten Produktion der Großbetriebe und der dezentralisierten Kleinproduktion.
Wir Kommunisten nehmen an, daß die zukünftige Gesellschaft uns nicht nur von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen befreit, sondern daß sie auch die größtmöglichste Unabhängigkeit des Menschen von der äußeren Natur herbeiführt, die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ auf das Mindestmaß herabsetzt, indem sie die gesellschaftlichen Produktivkräfte und die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit auf ihre Höchststufe bringt.
Daher ist unser Ideal die zentralisierte und planmäßig organisierte Produktion der Großbetriebe, letzten Endes die Organisation der gesamten Weltwirtschaft. Die Anarchisten hingegen geben einem ganz anderen Typus der Verhältnisse den Vorzug: ihr Ideal sind kleine Kommunen, die nach dem Wesen ihrer Struktur keine Großwirtschaft betreiben können, die „Vereinbarungen“ miteinander treffen und durch ein Netz von freiwilligen Verträgen miteinander in Verbindung stehen. Es ist klar, daß ein derartiges System der Produktion wirtschaftlich dem mittelalterlichen Gemeinwesen ähnlicher ist wie einer Produktionsweise, welche die kapitalistische zu ersetzen berufen ist. Aber dieses System ist nicht nur reaktionär, es ist in hohem Maße utopisch. Die zukünftige Gesellschaft wird nicht aus dem „Nichts“ geboren, und kein Storch bringt sie vom Himmel. Sie wächst aus dem Schoße der alten Gesellschaft heraus, aus den durch den gigantischen Apparat des Finanzkapitals geschaffenen Verhältnissen. Jede zukünftige Ordnung ist nur dann lebensfähig und möglich, wenn sie die Produktivkräfte der bereits abgelebten Ordnung weiter entwickelt. Die weitere Entwicklung der Produktivkräfte ist selbstverständlich nur denkbar als eine Fortsetzung der Zentralisationstendellz des Produktionsprozesses, als eine sich steigernde Organisiertheit der „Verwaltung von Dingen“, die hier anstelle der abgelebten „Ordnung über Menschen“ tritt.
Indessen – werden uns die Anarchisten erwidern – das Wesen des Staates besteht doch gerade in der Zentralisation; indem Ihr die Zentralisation der Produktion beibehaltet, behaltet Ihr auch zugleich den staatlichen Apparat bei, die Macht, die Gewalt, die „autoritären Verhältnisse“.
Diese Erwiderung ist unrichtig, denn sie setzt eine durchaus unwissenschaftliche, ja eine geradezu kindliche Vorstellung vom Staat voraus. Der Staat ist, genau wie das Kapital nicht ein Ding, sondern ein Verhältnis zwischen den Menschen, genauer, ein Verhältnis zwischen den Klassen. Es ist das Klassenverhältnis der Herrschaft und Unterdrückung. Das „Wesen“ des Staates besteht eben in diesem Verhältnis. Wenn ein solches Verhältnis nicht mehr besteht, ist auch gar kein Staat vorhanden. Die Zentralisation als wesentlichstes Merkmal des Staates hinzustellen bedeutet dasselbe, wie die Produktionsmittel als Kapital zu betrachten. Die Produktionsmittel werden erst dann zu Kapital, wenn sie in der Hand einer Klasse monopolisiert werden und zur Ausbeutung einer anderen Klasse auf der Grundlage des Lohnsystems dienen, d. h. wenn diese Produktionsmittel das gesellschaftliche Verhältnis der Klassenunterdrückung und der wirtschaftlichen Klassenausbeutung bedeuten. Dahingegen sind die Produktionsmittel an und für sich prachtvolle Dinge, Werkzeuge des Kampfes des Menschen mit der Natur. Es ist daher begreiflich, daß sie in der zukünftigen Gesellschaft nicht nur nicht verschwinden, sondern den ihnen gebührenden Platz zum ersten Mal einnehmen werden.
Indessen gab es in der Arbeiterbewegung eine Epoche, wo die Arbeiter den Unterschied zwischen der Maschine als Produktionsmittel und der Maschine als Kapital, d. h. als Unterdrückungsmittel noch nicht erkannt hatten. In jener Zeit war der Sinn der Arbeiter nicht darauf gerichtet, das Privateigentum an den Maschinen zu beseitigen, sondern die Maschinen selbst zu vernichten und zu den primitiven Handwerkzeugen zurückzukehren.
Dasselbe trifft auch für den „klassenbewußten“ Anarchisten mit seiner Stellung zur Zentralisation der Produktion zu. Sie sehen, daß die Zentralisation in der kapitalistischen Ordnung als Mittel der Unterdrückung dient, und protestieren in ihrer Einfalt gegen jegliche Zentralisierung der Produktion überhaupt, sie verwechseln kindlicherweise das Wesen einer Sache mit ihrer gesellschaftlichen und historischen äußeren Form.
Es besteht somit in bezug auf die bürgerliche Gesellschaft zwischen uns Kommunisten und den Anarchisten durchaus nicht der Unterschied, daß wir für, sie aber gegen den Staat sind, sondern darin, daß wir für die zentralisierte Produktion der Großbetriebe sind, welche die Produktivkräfte bis zum Maximum entwickelt, sie aber für eine dezentralisierte Kleinproduktion, die das Niveau dieser Produktivkräfte nicht erhöht, sondern vermindert.