Populismus - Freund oder Feind der Linken?

  • Gegenbeispiel:


  • A propos "Arbeiterklasse":

    Ungleichheit ist kein Vorurteil

    Die alltägliche Herabwürdigung, die viele Menschen aus der Arbeiterklasse im Kapitalismus erfahren, ist real. Aber das Problem dahinter ist nicht Klassismus, sondern die Klassengesellschaft.


    [...] Vollbeschäftigung ist eine historische Ausnahmeerscheinung und der Bedarf des Kapitals an Arbeitskräften ist begrenzt. Doch der Druck, den Absturz in die repressiven Sozialsysteme zu verhindern, verbessert die Verhandlungsposition der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei der Lohnverhandlung und ermöglicht so langfristig niedrigere Löhne. Die durch die Medien verbreitete Ideologie der Ungleichwertigkeit ist bis weit in die Klasse der Lohnabhängigen vorgedrungen, sodass selbst durch ebendiese Ideologie Abgewertete sich bemüßigt fühlen, sich von »den anderen« abzugrenzen, indem Abgewertete hervorheben, man selbst wäre ganz anders – eine Haltung, die auch in der historischen Arbeiterbewegung eine lange Tradition hat, wie unter anderem Christopher Wimmer in seinem Buch Lumpenproletariat nachvollzogen hat.

    Der Klassismus befasst sich also mit einem sehr realen Phänomen. Doch er tut dies auf eine Weise, die nicht imstande ist, das Phänomen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise zu erklären und auch politisch nicht dazu beiträgt, seine Ursachen zu bekämpfen. Jedoch erklärt er sich zur Alternative einer materialistischen Kritik und einer klassenkämpferischen Praxis.[...]

    Wenn der Klassismus erklären will, was Ursache von Ungleichheit ist und was die Klassengesellschaft aufrechterhält, so läuft der Befund regelmäßig darauf hinaus, dass Armut und Ungleichheit und der Fortbestand derselben aus »Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung« resultieren würden, nicht aus der kapitalistischen Produktionsweise und dem Ausbeutungsverhältnis zwischen den Klassen. Der »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse«, der die materielle Grundlage für Ungleichheit und Ideologien der Ungleichwertigkeit liefert, bleibt unverstanden.

    Diese tatsächlich stattfindenden Diskriminierungen, die Abwertungs- und Ausgrenzungsprozesse finden aus einer in sozio-ökonomischen Klassen denkenden analytischen Perspektive nicht nur zwischen Kapital und Arbeit, also zwischen Klassen, sondern vor allem zwischen Fraktionen der lohnabhängigen Klasse statt und befördern deren Spaltung und Entsolidarisierung. Bereits der Begriff »Klassismus« verschleiert diesen Umstand. Die identitätspolitische Logik der Selbstvergewisserung des Klassismus führt tendenziell zu einer weiteren Zersplitterung kollektiver Kämpfe durch eine immer kleinteiligere Bezugnahme auf sich selbst und die eigene Gruppe. Der Feind ist plötzlich eine andere Fraktion der eigenen sozio-ökonomischen Klasse, die ein paar hundert Euro mehr verdient, einen formal höheren Bildungsabschluss hat oder am Schreibtisch statt an der Werkbank arbeitet. [...]

  • Rechtspopulismus nicht den radikalen Extremisten überlassen!


  • Progressiver Neoliberalismus:

    Kulturkämpfe kann man nicht gewinnen

    Die zahnlose Identitätspolitik der letzten Jahre und das Erstarken der Rechten sind zwei Symptome derselben Krise.

    [...] Der vielleicht größte ideologische Erfolg des Neoliberalismus bestand darin, die Vorstellung zu etablieren, dass es in wettbewerbsorientierten Gesellschaften keine Klassen mehr gäbe. Das einzige, was dem Aufstieg durch Leistung im Weg stehe, seien sexistische, rassistische oder homophobe Vorurteile. Diese sollten im Sinne der Chancengleichheit abgebaut werden, damit auch einstmals Ausgeschlossene vereinzelt mit am Tisch sitzen dürften – mehr Stühle wollte man allerdings nicht bereitstellen. Während die Gesellschaft einerseits horizontal inklusiver wurde und einzelne Gruppen durchaus emanzipative Fortschritte errangen, wurde gleichzeitig ein Klassenkonflikt in neuer Härte ausgetragen, für den man nun keine Worte mehr fand.

    Die Erzählung, nach der sich unsere Gesellschaft nicht entlang der Klassengrenzen, sondern entlang diffuser Linien von Identität, Lebensstil, Kultur und Wertvorstellungen fragmentiert, begann den politischen Diskurs zu dominieren. Diese Vorstellung der Gesellschaft war auch anschlussfähig für eine Spielart linker Kritik, die inzwischen mit dem Reizwort der Identitätspolitik besetzt ist. Diejenigen, die heute zur Ehrenrettung dieser Strömung antreten, beschreiben die Integration der Identitätspolitik in den Neoliberalismus als eine Art feindliche ideologische Landnahme. Der Spätkapitalismus sei so expansiv geworden, dass er irgendwann alles vereinnahmt habe, selbst seine eigene Opposition.

    Naheliegender ist jedoch, dass eine Politik, die lieber über Identität als über Klasse spricht, in einem System, in dem Macht auf Kapital gründet, schlichtweg nicht oppositionsfähig war. Die neoliberale Besetzung erfolgte so reibungslos, weil die Identitätspolitik die subjektive, individuelle Erfahrung favorisierte, was mit der sozialen Atomisierung dieser Zeit leicht in Einklang zu bringen war. Mag man die Identitätspolitik auch falsch finden, ihre Anziehungskraft ist dennoch nachvollziehbar: Wenn sich der politische Raum für eine gesamtgesellschaftliche Emanzipation immer weiter verengt und man die Hoffnung darauf gar nicht erst in Erwägung zieht, will man sich zumindest noch selbst befreien.

    Das Problem mit der Identitätspolitik ist also, dass sie vorgab, die Linke zu erneuern, tatsächlich aber vielmehr den Neoliberalismus erneuerte. Als in einer Zeit der Wachstumskrisen die alten Verteilungskämpfe zurückkehrten, die Zweifel an dem pseudo-progressiven Aufstiegsversprechen hätten wecken können, konnte der Neoliberalismus seine Legitimität verteidigen. Denn er hatte mit der Identitätspolitik eine progressiv auftretende Komplizin an seiner Seite, die dafür einstand, klassenbasierte Antworten auf die grassierende Ungleichheit kapitalistischer Gesellschaften als überkommen, verstaubt und zu »orthodox« abzukanzeln. Stattdessen wurde punktuell ein bisschen kulturelle Liberalisierung zugesichert. [...]

  • Identity Politics & ‘Anti-Wokeism’ Serve the Same Interests

    The more people are fixated on the mainstream culture war, the less likely they are to decide they want to do more challenging things like defund the Pentagon, says Caitlin Johnstone.


    [...] The entire Democratic Party is essentially one big psyop designed to kill any attempt to redress income and wealth inequality, poverty, wars, militarism, money in politics, surveillance, government secrecy, police militarization and every other control mechanism designed to hold the status quo in place, while herding any revolutionary zeitgeist back toward establishment loyalism with false promises to make life better for women and marginalized groups. But it is also true that pouring your energy into “anti-wokeism” serves the establishment in the exact same way as pouring your energy into identity politics.

    Anti-wokeism — if you will permit me a somewhat counterintuitive turn of phrase — is identity politics dressed in drag. Fixation on fighting “wokeness” corrals people into mainstream establishment-serving frameworks in exactly the same way identity politics corrals people into mainstream establishment-serving frameworks. It makes sure the rank-and-file public stays busy barking and snarling at one another instead of the people in charge. [...]

    This is because both anti-wokeism and identity politics serve the same establishment agendas, entirely by design. The more people are fixated on the mainstream culture war, the less likely they are to decide they want to do things like defund the Pentagon or take back everything the rich have stolen from them. Time you’re spending yelling at the other side of the cultural divide is time you’re not spending eating your landlord as God and nature intended. And of course, by saying these things are used in the same way I do not mean to imply that “anti-wokeism” is equal in value to the struggle for social justice. It absolutely is the case that there are disadvantaged groups in our society who do need to be uplifted and anyone who tries to stop that from happening is plainly in the wrong.

    What I’m pointing at here, rather, is the way lip service to racial and sexual justice is used to get people supporting a mainstream political faction that never does anything other than facilitate oligarchy, exploitation and imperialism, in precisely the same way right-wing hysteria about “wokeness” is used to do precisely the same thing.

    So what is to be done about the culture war we’re being pushed into fighting with greater and greater force? Well this is just my opinion, but the answer can perhaps be found in the famous line from the movie WarGames: “A strange game. The only winning move is not to play.” [...]


  • Das geht ja passend in die Richtung, die auch Tilo damit eingeschlagen hat diejenigen welche gegen eine entsprechende Besteuerung sind als undemokratisch zu bezeichnen.

  • Ab und zu stehen auch mal richtig gute Artikel in der taz:

    Böllerverbote als Klassenfrage: Je suis Problemklientel

    Beim Böllerverbot sind sich Linksliberale und Polizei einig. Das ist nicht alles falsch, aber doch Verrat an denen, für die Linke angeblich kämpfen.

  • Ja, Verrat…!

    Da hat sich der Autor aber bewusst zwei Hassgegner der Linken rausgesucht (Polizei, Linksliberale), um punkten zu können. Bei dem Klassismus-Vorwurf "vergisst" der Autor nur leider, dass bei der Böllerei nicht nur Polizei und umweltbewusstes Bildungsbürgertum die Leidtragenden sind. Wenn Feuerwehren an ihrer Arbeit gehindert oder gar mit Feuerwerk angegriffen werden, wie es dieses Jahr überall in Deutschland passiert ist, dann kann es schnell auch mal die eigene Klasse treffen. Dann wäre es die Frage, ob es nicht Klassismus wäre, die Böller NICHT zu verbieten, wenn auf einmal die Hochhäuser brennen und niemand kommt, um sie zu löschen.
    Natürlich kann das umweltbewusste Bildungsbürgertum auch mit den Schultern zucken und sagen: Die verbrannte Haut, die abgerissenen Finger, die kaputten Ohren, das ist ja nicht unser Problem, so lange wir zu Silvester nicht auf die abwegige Idee kommen, bestimmte No-go-areas zu betreten. Wäre das nicht auch mega-klassistisch?

    Zudem ist es ja aberwitzig, zu denken, bei einem Böllerverbot würden die Leute mit Feuerwerk an Silvester von der Polizei über die Straße gejagt werden. Das Böllerverbot lässt sich am einfachsten als Verkaufsverbot für Pyrotechnik an Leute ohne entsprechende Ausbildungsnachweis durchsetzen. Voll spießig, aber das ist ein Waffenverbot auch.

  • Vielleicht liest Du den Artikel noch mal in Ruhe und ohne Schaum vorm Mund, und kommst dann zu der Erkenntnis, dass es darin nicht darum geht, ob die Böllerei grundsätzlich von Übel ist oder nicht, sondern vor allem darum, wie sich das "links"-Liberale Bürgertum darüber empört.

  • Na, mit dem Wort "Verrat" setzt der Autor ja schon mal selbst 'ne große moralische Latte. Und er unterstellt einen hegemonialen Diskurs, wenn er von Schulterschluss zwischen Polizei und "den Linken" redet, den es so nicht gibt. Man kann für dasselbe sein, ohne dieselben Grundüberzeugungen zu teilen. Die DUH, die deutschlandweit einer der intensivsten Treiber für ein Böllerverbot ist, argumentiert weder klassistisch, noch nimmt sie die Argumente der Polizeigewerkschaft mit in ihre Liste auf.
    Ich hab' die TAZ abonniert, auf der Titelseite stand als Teaser für den Artikel: "Lasst uns Böllern! Wer ein Böllerverbot fordert, der ruft nach Kriminalisierung, häufig von Armutsbetroffenen. Das ist weder progressiv noch links." Sorry, da ist so viel falsch, da muss man einfach widersprechen. Genau denselben Quatsch kannst Du dann auch behaupten, wenn es um Tempolimit oder Prügelstrafe für Kinder geht.
    Ja, klar, ich verstehe die Provokation. Nichts desto trotz bleibt mir der Artikel zu sehr bei einer speziell männlichen-jugendlichen (und damit leider auch sehr rücksichtslosen) Sichtweise, die dann auch nicht sooo viel Klassenbewusstsein spiegelt, als dass sie anderen Klassismus vorwerfen kann. "Richtig gut" sieht für mich anders aus.

  • "Lasst uns Böllern! Wer ein Böllerverbot fordert, der ruft nach Kriminalisierung, häufig von Armutsbetroffenen. Das ist weder progressiv noch links." Sorry, da ist so viel falsch, da muss man einfach widersprechen. Genau denselben Quatsch kannst Du dann auch behaupten, wenn es um Tempolimit oder Prügelstrafe für Kinder geht.

    Du schreibst, da sei "so viel falsch dran" und nennst es "Quatsch", aber warum das falsch und Quatsch ist willst Du genauso wenig erklären wie den Vorwurf, das habe nichts mit Klassenbewusstsein zu tun weil es irgendwie "männlich-jugendlich" sei, oder worin Du jetzt den genauen Zusammenhang zwischen Böllerei, Tempolimit und Kindesmisshandlung hergestellt haben willst.


    Warum gibst Du Dir solche Mühe, hier das absolute Klischee einer "links"-liberalen, bürgerlichen Moralität zur Schau zu stellen, die sich ihrer Rechtschaffenheit so selbstgewiss ist, dass sie es nicht für nötig befindet, ihren Empörungsgegenstand ordentlich zu begründen?

  • Njo, und bei der Thematik kann man ja auch ganz einfach etwas unprätentiöser herangehen und das Kind beim Namen nennen:


    https://www.zeit.de/politik/de…-gewalt-jens-spahn?page=4


    Wie fein.

    [...] "Krawalle in einigen Stadtteilen oder auf bestimmten Plätzen bekämpft man nicht mit einem bundesweiten Böllerverbot", sagte Spahn. "Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk", sagte Spahn.[...]

    Es fehlt einfach der Respekt vor dem Staat.


    Ja, woran das wohl liegen mag, Herr Ex-Bundesminister?

  • Ab und zu stehen auch mal richtig gute Artikel in der taz:

    Böllerverbote als Klassenfrage: Je suis Problemklientel

    Beim Böllerverbot sind sich Linksliberale und Polizei einig. Das ist nicht alles falsch, aber doch Verrat an denen, für die Linke angeblich kämpfen.

    Finde merkwürdig:

    es ist neoliberal gegen das Böllern zu sein, aber man kann auch neoliberal sein, wenn man für das Böllern ist.

    Dann: warum ist es eine moralische Frage? Ist es wirklich automatisch moralisch gut/schlecht wenn man für/gegen das Böllern ist?

    Sind wirklich arme Menschen die leidtragenden vom Böllerverbot?

    Was für neoliberale Spielregeln werden den bei einem Verbot unterstützt? Sind neolibs nicht eher gegen Verbote und mehr Eigenverantwortung?


    5/10 Artikel, taz immer zu monokausal, ohne Sinn für die Vorstellungswelten des Kapitalismus, dass diese jugendliche zB von Vorbildern, die zerstörerisch und selbstzerstörerisch arbeiten, sich ermuntert fühlen, dass Silvester eine große Kultur des Geldverbrennens ist, dass auf die Rettungskräfte (imo wird der Polizei hier unrecht getan, wobei Rassismen bei ihr ja auch vorkommen) in dieser Vorstellungswelt hinuntergeguckt werden und wenig respektiert werden.

  • Ab und zu stehen auch mal richtig gute Artikel in der taz:

    Böllerverbote als Klassenfrage: Je suis Problemklientel

    Beim Böllerverbot sind sich Linksliberale und Polizei einig. Das ist nicht alles falsch, aber doch Verrat an denen, für die Linke angeblich kämpfen.

    Hmm, so ganz verstehe ich dann allerdings doch nicht, worauf der Autor genau hinaus will?

    Weder ist Böllern den Armen vorbehalten, noch ist es nicht asozial, anderen Menschen halbe Handgranaten zwischen die Beine zu schmeißen und sich an deren Schaden zu erfreuen.

    Etwas wird nicht gut, nur weil es ein armer oder armutsgefährdeter Mensch tut. Das ist dann auch nicht links, das ist höchstens der Topos des edlen Wilden, der da verwurstet wird.

    Man muss das Ganze auch nicht mit Polizeistaat und Knechtung der Unterdrückten durchsetzen, ein reines Verkaufsverbot von Böllern würde schon reichen und die, die sich die Alternativen aus dem Ausland besorgen handeln auch jetzt schon widerrechtlich. Was eine konservative Regierung daraus machen würde, ist eine andere Frage, aber das diskreditiert die gute Intention nicht.

    Das scheint mir doch alles irgendwie arg konstruiert.


    Ein nettes Feuerwerk ist etwas Schönes, das elende Geböller kann von mir aus vorgestern noch verboten werden.

  • es ist neoliberal gegen das Böllern zu sein, aber man kann auch neoliberal sein, wenn man für das Böllern ist.

    Wo steht in dem Artikel, dass es "neoliberal" sei, gegen das Böllern zu sein?

    Sind wirklich arme Menschen die leidtragenden vom Böllerverbot?

    Wurden Böllerverbote auch in Berlin-Zehlendorf oder Steglitz verhängt?

    ohne Sinn für die Vorstellungswelten des Kapitalismus, dass diese jugendliche zB von Vorbildern, die zerstörerisch und selbstzerstörerisch arbeiten, sich ermuntert fühlen,

    Da steht ganz explizit, dass es sich bei der Böllerei um "symbolischen Konsum" handele.

    Etwas wird nicht gut, nur weil es ein armer oder armutsgefährdeter Mensch tut. Das ist dann auch nicht links, das ist höchstens der Topos des edlen Wilden, der da verwurstet wird.

    Da steht hingegen nicht, dass Böllern "gut" sei, nur weil der Böllernde ein armer Mensch ist und schon gar nicht werden arme Menschen dort als "edle Wilde" porträtiert. Der Autor bringt sogar seinen eigenen Vater als Beispiel dafür, dass da gar nichts edles dran ist.

    Man muss das Ganze auch nicht mit Polizeistaat und Knechtung der Unterdrückten durchsetzen

    Ja richtig, Das muss man nicht, Hat man in Berlin und Hamburg aber versucht.


    Mal so ganz generell: Lest ihr eigentlich die Artikel, die hier zitiert werden, oder nehmt ihr nur die Zitate und denkt euch dann irgendwas dazu, das gar nicht geschrieben wurde?


    Nochmal: Es geht darin überhaupt nicht darum, ob Böllern an sich gut oder schlecht, oder "neoliberal" sei, sondern es geht um die ganz konkrete - und im Artikel sogar mit Beispielen gezeigte - Herangehensweise, Böllerverbotszonen an bestimmten Orten einzurichten, wo die Behörden befürchten, es könne sich dort ein "Problemklientel" ansammeln, und darum, wie einig sich "links-"Liberale und Konservative - inklusive der definitiv konservativen Berliner Polizeiführung - darin zu sein scheinen, dass deren ungebührlicher Feierei nur mit der harten Hand des Gesetzes und der Staatsgewalt beizukommen sei. Mehr nicht. Da steht nicht, dass es okay sei Leuten "halbe Handgranaten" zwischen die Beine zu werfen, oder Reisebusse anzuzünden.


    Außerdem ist der Artikel vom 31. Dezember. Er bezieht sich also gar nicht auf die fürchterliche "Silvesternacht" die jetzt seit einer Woche als Mediensau durchs politische und publizistische Dorf getrieben wird.


    Nur als Beispiel dafür, wie "differenziert" auch der leider immer noch als "links"-liberal wahrgenommene grüne Teil der Berliner Landesregierung im Wahlkampfmodus auf das Problem reagiert - Natürlich nicht mit mehr Verständnis für die sozialen Verwerfungen, und die vom spekulationsgetriebenen Mietenwahnsinn noch verschärfte Segregation in der Stadt, sondern mit der Forderung nach mehr Law & Order und Schnellverfahren bei der harten Bestrafung der mutmaßlichen Missetäter:


    Berlin (dpa/bb). Die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat im Zusammenhang mit den Angriffen in der Silvesternacht betont, dass ihrer Ansicht nach vor allem im Jugendstrafrecht Strafen schnell auf die jeweiligen Taten folgen müssen. Für den Umgang mit Jugendgewalt seien klare Grenzen und Perspektiven wichtig. „Zu den klaren Grenzen gehört nicht die Debatte über Strafmaße, die wir jetzt schon wieder haben, sondern dass die Strafen sofort auf die Tat folgen“, sagte die Verkehrssenatorin am Freitag dem RBB-Inforadio. Dazu gehöre aber auch, dass „die Gerichte entsprechend ausgestattet sind“.

    Jarasch betonte zudem, dass aus ihrer Sicht der Migrationshintergrund vieler Tatverdächtiger für die Problemlösung keinen Unterschied mache. „Die Täter haben zu zwei Drittel Migrationshintergrund, das entspricht ungefähr auch insgesamt der Jugend in Berlin“, sagte die Grünen-Politikerin. „Diese Jugendlichen, die nächste Berliner Generation, hat überwiegend Migrationshintergrund. Daran sollten sich alle mal gewöhnen.“


    Natürlich will die grünliberale "Brückenbauerin" und Co-Bürgermeisterin Jarasch mit Rassimsus nichts zu tun haben, aber dass die Flucht in den symbolischen Überkonsum bis zur totalen Enthemmung und zu strafbaren Handlungen etwas damit zu tun haben könnte, dass sich ein guter Teil der berliner Jugend von diesem kapitalistischen Leistungsbürgerstaat - den auch sie selbst repräsentiert - genau deshalb vollkommen abgehängt fühlen könnten, weil er darin keine Perspektive mehr sieht, irgendeine andere Leistung anerkannt zu bekommen, als jene die möglichst laut und brutal ein überdrehtes Selbstwertgefühl in die Welt hinaus böllert und ihn sich für ein paar Stunden wie "der König der Welt" fühlen lässt, kommt ihr dennoch nicht in den Sinn.

  • Aber ihr könnt Euch wieder beruhigen. Seit den furchtbaren Ereignissen in der #Silvesternacht hat natürlich auch die taz-Redaktion eingesehen, dass es keine Klassenfrage, sondern eine Frage der falschen "Sozialisation durch Herkunft" ist, wenn junge Männer mit Migrationshintergrund die liberale bürgerliche Gesellschaft mit Sprengwafen und toxischer Männlichkeit angreifen.

    Debatte um die Silvesternacht: Sozialisation raus aus der Tabuzone

    Nach Ausschreitungen zu Silvester warnen die einen vor jungen Männern, die anderen vor Rassismus. Besser wäre, offen miteinander zu reden.

    [...] Es ist der klassische linke Erklärungsansatz: Das Materielle, die soziale Lage erklärt Verhalten. Marxistisch gesprochen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Natürlich gibt es handfeste Ursachen für Gewalt, schon zigfach durchdekliniert. Der Anteil von Sozialleistungsempfängern in den betroffenen Wohnvierteln ist hoch und damit die Perspektivlosigkeit. Der Anteil von Schulabbrechern ist ebenso hoch, was ein Dauer-Skandal ist und wogegen der Staat viel mehr tun könnte. Wer in der Schule scheitert, häuft Frust an.

    Der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani beklagt zu Recht seit Jahren, dass ausgerechnet in den Vierteln, in denen die besten Schulen nötig wären, oft die schlechtesten Schulen liegen. Und ja, ein Syrer hat auf dem Wohnungsmarkt weniger Chancen als eine Isländerin. Man nennt es Rassismus.

    Aber reicht das an Erklärungen? Muss man zwingend Silvesterraketen als Schusswaffen gegen Menschen nutzen, weil die Eltern von Hartz IV leben? Andere Faktoren, wie kulturelle Prägungen oder die Sozialisation durch Herkunft, sind eine Tabuzone in Deutschland, eben weil es leicht ins Ressentiment abrutschen kann. Das ist bedauerlich, denn die Migrationsforschung ist schon längst viel weiter. Natürlich prägt Herkunft. Aber Herkunft ist kein starres Korsett.

    Ein konkretes Beispiel: Die Schreckschusspistolen, die massenhaft zum Einsatz kamen. Warum schießen manche arabisch- oder türkischstämmige junge Männer an Silvester gern mit Schreckschusswaffen herum? Weil in ihren Herkunftsländern oder in den Herkunftsländern ihrer Eltern Männer auf Hochzeiten gern Schüsse abgeben, oft auch aus scharfen Waffen. Das zu benennen, ist nicht Rassismus, sondern Sozialanthropologie.[...]

    Aber der Verweis auf den Männerkult in den muslimischen Herkunftsländern ist zum Glück kein Rassismus oder Kulturchauvinismus, sondern harte, wissenschaftliche Sozialanthropologie. Denn eigentlich bestimmt das Bewusstsein das Sein.

  • Die grausamen Ereignisse der #Silvesternacht, lassen viele deutsche Qualitätsjournalist*innen immer noch rat- und fassungslos zurück. Wie kann das Mysterium dieser furchtbaren Gewaltausbrüche nur erklärt werden?


    Frau Quadbeck vom renommierten Recherchenetzwerk hat sich ganz innovative Gedanken gemacht:


Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!