Populismus - Freund oder Feind der Linken?

  • Die sind aber nicht wirklich die populistische Front der Linken (siehe Threadthema). Kulinski, Dore und Co. sind unabdingbare Vermittler der Linken Sache, um diese Debatten auf das größtmögliche politische Tableau zu hieven. Es interessiert in meiner Familie und Bekanntenkreis auch keinen, was Adorno geschrieben hat, aber wenn das von jmd. populistisch aufgegriffen wird (Wagenknecht *hust*), dann hängt man diesen Personen an den Lippen.

    Umso dramatischer ist es ja in der hiesigen alternativ medialen Szene (auf Youtube), dass sich gemeinhin linkspopuläre Zeitgenossen wie Jebsen gar nicht erst mit anderen Linken derart zerstreiten musste, sondern man sich irgendwie selbst aus dem Diskus rauskatapultiert hat. Und trotz der verqueren Sachen, die der benannte Mann da so geliefert hat auf seinem Channel, ist es in der Gesamtrechnung ein Verlust für Kapitalismuskritik und linke Friedenspolitik. Da ist's auch egal, wenn linke intellektuelle altbekanntes für die heutige Zeit neu aufbrühen.

    Leider hat der Ken das Ding dann wohl ganz eigennützig an die Wand gefahren, weil sein Business-Modell wichtiger war, als die vermeintlichen Prinzipien. Die Sachen, die schon immer irgendwie cringe waren, entpuppen sich im Nachhinein als Zeugnis seines Scheiterns. Wie man erfuhr, waren der spürbare Schwenk hin zum rechten Publikum kein Zufall, sondern Einknicken. Und für ein paar Euro konnte man den Ken dann offenbar sogar mieten. Schade ist es natürlich, aber wäre vermutlich auch ohne Pandemie nur eine Frage der Zeit gewesen.


    Ich weiß nicht, inwieweit man das jetzt mit der Situation da drüben vergleichen kann.

  • Ich weiß nicht, inwieweit man das jetzt mit der Situation da drüben vergleichen kann.

    Schwierig. In Deutschland "geht's uns ja noch ganz gut". Themen wie Friedenspolitik, leider auch Klimawandel, und erst recht irgendwelche Systemfragen, sind leider zu abstrakt und zu weit vom Alltag der Menschen entfernt, als dass man sie für "populistische" Politik verwerten könnte.

    In den USA geht es den "PopulistInnen" auf beiden Seiten hingegen um ganz konkrete Forderungen, die bis tief in die amerikanische Mittelschicht hinein auf Resonanz stoßen.


    Da muss ich dem AlienObserver leider auch mal ganz vehement wiedersprechen, wenn er behauptet...

    "Krankenversicherung für alle" dagegen ist im US-Diskurs selbst für Demokraten eine radikale Forderung und nicht Parteiprogramm. Nicht die Alex Joneses, sondern die Kyle Kulinskies befinden sich am Rand der Gesellschaft.

    ..., weil das mittlerweile - Dank Bernie Sanders (mal abseits von der restlichen Kritik die man sicher an ihm üben kann) - sehr wohl ein in der breiten Gesellschaft angekommenes Thema ist.

    Die Umfragen dazu sind zwar recht interpretationswürdig - Je nach Formulierung der Frage, bzw. nach Genauigkeit der Beschreibung konkreter Pläne zur Umsetzung schwanken die schon recht deutlich - aber eigentlich zeigen sie alle, dass auf beiden Seiten des binären politischen Spektrums siginifkante Teile der Bevölkerung für einen Umbau des kantastrophalen Krankenversicherungssystems sind.

    Insgesamt trifft Medicare for All dabei eigentlich bei allen Polls auf Zustimmung unter deutlich mehr als der Hälfte der Befragten und bei Demokraten-WählerInnen - je nach Umfrage - auf bis zu drei Viertel von ihnen. Und dass, obwohl dagegen eine Menge von der privaten Versicherungswirtschaft und der mächtigen Pharmalobby gesponserte Propaganda gemacht wird.


    Dass die Republikaner im Kongress mehr oder weniger geschlossen, und die Demokraten in überwiegender Mehrheit trotzdem weiter eisern dagegen sind (und damit offensichtlich dem Willen der Konzern-Lobbyverbände folgen und nicht den erklärten Bedürfnissen ihrer WählerInnen), ist zwar richtig, aber das ist ja genau der Grund dafür, dass Leute wie Jimmy Dore, Kyle Kulinski, und viele andere, in dieser Frage eher "populistisch" argumentierende Linke aus dem alternativen Medienzirkus das Thema so vehement beackern.


    Ganz ähnlich verhält es sich mit dem irrsinnigen finanziellen und personellen Aufwand, den alle US-Regierungen - egal welche Partei gerade den Commander in Chief stellt - betreiben, um die Geostrategische Vormachtstsellung der USA zu behaupten, während sie gleichzeitig ihre ökonomische Macht Stück für Stück einbüßen und nur noch Profite für die Oberschicht ansammeln, wobei der Rest der Bevölkerung stetig an Wohlstand verliert und ins Dienstleistungsprekariat abgedrängt wird, weil die alten Industriearbeitsplätze - und alles was an Binnenmarkt daran hängt - längst ins Ausland outgesourced wurden.


    Natürlich interessieren sich Joe und Jane Average eher wenig bis gar nicht für Außenpolitik. Aber wenn man ihnen erklärt, welche wahnwitzigen Summen die Regierung jedes Jahr für das Militär ausgibt, um in irgendwelchen Ländern, von denen die meisten AmerikanerInnen nicht mal wissen auf welchen Kontinenten sie liegen, Bombenteppiche auszubreiten und Rohstoffe zu sichern, dann finden sich da ebenfalls auf beiden Seiten des politischen Spektrums sehr viele Menschen, die das für völlig bescheuert halten, während Millionen von Leuten im eigenen Land ihre Wohnungen und Häuser verlieren und in den großen Städten die Obdachlosenzahlen explodieren.


    Deshalb ist der Streit zwischen Dore und The Young Turks auch nicht nur irrelevantes Personality-Gezicke, denn er entzündete sich ja ursprünglich vor allem daran zu so einem Shitstorm, dass letztere bezüglich der imperialistischen Ambitionen der USA in Syrien ziemlich unkritisch der Regierungslinie folgen - welche im übrigen unter Biden nur sehr oberflächlich betrachtet weniger diplomatisch rüpelhaft daher kommt, als unter Trump, dabei aber exakt in die selbe Richtung fährt, die schon unter Bush d. Ä. nach dem Fall der Mauer eigeschlagen, und seither von allen Präsidenten weiter durchgezogen wurde - und in Folge dessen den Journalisten Maté, der diese offizielle Sichtweise scharf kritisiert und sich dabei auf internationale Experten bezieht, bezichtigten, er stehe im Dienst des Dikators Baschar Al Assad und seines erzbösewichtigen Schutzherren, Dr. Vlad im Kreml.


    Der (linken) Verschwörungstheorie, dass diese "links"-liberalen Alternativmedien von der CIA dazu angestachelt, bzw. bezahlt werden, linke Kritik am US-Imperialismus klein zu reden, muss man ja nicht folgen. Womöglich hat Kulinski recht, wenn er behauptet, dass TYT-Chef Uygur da nicht im Auftrag irgendwelcher finsterer Hinterleute handelt, sondern tatsächlich selbst überzeugt davon ist, auf der richtigen Seite zu stehen.

    Auch Glenn Greenwald, den Uygur mittlerweile offen als rechten Agitator brandmarkt, hat die Vermutung geäußert, dass TYT die 20 Millionen Dollar von einem Hillary-Clinton Großspender nicht dafür bekommen haben, im Gegenzug ihre Berichterstattung anzupassen, sondern deswegen, weil sie im Grunde noch nie eine fundamental andere Haltung hatten.

    Aber das macht die inhaltliche Kritik an dieser Position ja nicht weniger wichtig - egal ob Dore mit seinen diversen ad hominem-Bezichtigungen von Komplizenschaft mit "den Eliten" nun maßlos über die Stränge schlägt, oder nicht.


    Für viele - gerade junge - Leute in den USA , die erst mit der Sanders-Kampagne zu politischem Bewusstsein gekommen sind, war TYT sowas wie der Haussender der "progressives". Sie bezeichnen sich ja selbst immer noch so. Wenn die sich allerdings explizit auf die Seite des demokratischen Establishments schlagen, und in den Chor all derer mit einstimmen, die da eine Hufeisenförmige, vom Kreml beförderte Querfont der linken Populisten mit der Alt-Right-Bewegung herbei reden wollen, dann ist das gerade für jene Linken ein Problem, die tatsächlich versuchen, in lokalen Gruppen, Gewerkschaften und Bewegungen "populistischen" Widerstand gegen die gnadenlose Kapitalmaschine in Washington und in den Staatskongressen zu organisieren.

    Denn wenn die sich landesweit vernetzen und über ihre relativ begrenzten Grasswurzelaktionen hinaus reichende Organisationen bilden wollen, denen sich auch bisher Unbeteiligte anschliessen müssten, damit sie wirklich eine von der Masse auf der Straße gestützte politische Bottom-Up Bewegung vorantreiben können, die der Regierung die Hölle heiß macht, dann sind sie darauf angewiesen, dass möglichst breit darüber berichtet wird.

    Und weil die Mainstream-Medien jeweils komplett auf Linie einer der beiden etablierten Parteien gebürstet sind, und dabei ungeachtet des - auf beiden Seiten - unsäglichen Kulturkrigesgeheuls ganz klar pro-kapitalistisch agieren, bleiben der kapitalismuskritischen Linken nur irgendwelche alternativen Youtube-KanalbetreiberInnen, PodcasterInnen und freie JournalistInnen mit überregionaler Reichweite um ein größeres Publikum zu erreichen.

  • Ich tu das mal hier rein - aus dem "Diksussion zu..." -Thread

    Und das materielle Interesse des städtischen Großbürgertums an Marx' Arbeiterbefreiung erschließt sich mir jetzt auch nicht so recht...

    Mir auch nicht.


    Aber wo habe ich denn geschrieben, dass das städtische Großbürgertum an Marx' Kritik der bürgerlichen Ökonomie ein Interesse gehabt hätte?


    Wenn Marx z.B. von der (doppelten) "Befreiung" der Arbeiterschaft im Zuge der Einhegungs- und Industrialisierungsbewegung schreibt, dann meint er das selbstverständlich ironisch, weil man die ehemalige Landbevölkerung dabei eben erst von ihrem traditionellen Recht, Land zur Selbstversorgung zu bewirtschaften "befreite", und sie dann vor die "freie" Wahl stellte, sich entweder vom Großbürgertum als LohnarbeiterInnen ausbeuten zu lassen, oder zu verhungern.


    Ich meinte damit natürlich nicht Marx, sondern die Philosophen der Aufklärung.

    Da gehört Marx aber nicht mehr dazu - auch wenn natürlich auch sein eigenes Werk auf deren Vorarbeit aufsattelt. Zu seiner Zeit (*1818 - +1889) war die philosophiegeschichtliche Periode der Aufklärung laut allgemeiner Lesart jedenfalls schon einige Zeit vollendet.


    Man kann da allerdings die Denker des klassischen Liberalismus dazu zählen, in den zwar viele aufklärerische Strömungen mit einflossen, der aber zugleich (vor allem in seinen britischen Ablegern) die ideologischen Grundsteine für die "Liberalisierung" der Arbeits- und Warenmärkte und die Naturalisierung menschengemachter Verhältnisse legte, und dessen Vertreter schliesslich auch von neo-liberalen Vordenkern als philosophische Grundlage ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftstheorien instrumentalisiert wurden.


    (Adorno und Horkheimer haben ihren hier ja schon mal höchst Bildungsbürgerlich abhgehandelten Klassiker nicht ohne Grund "Die Dialektik der Aufklärung" genannt.)


    Den Verweis auf die Holländischen Handelsflotten und -Gesellschaften des früheren 17. Jahrhunderts habe ich vor allem deshalb angeschleppt, weil ich damit klar machen wollte, dass die von dir zuvor erwähnte technische Entwicklung - in diesem fall im Schiffsbau und der Holzverarbeitung - nicht das alleinige Resultat einer beginnenden Wende zum rationalen, naturwissenschaftlichen Denken darstellte, sondern vor allem von der ökonomischen - also der "materiellen" - Entwicklung voran getrieben wurde.

    Die musste sich aber auch erstmal ein paar Generationen lang weiter entwickeln, bis das aufstrebende städtische in Bürgertum dadurch reich und einflussreich genug geworden war, um dann z.B. in der französischen Revolution, die alte Herrschaft des Adels und des Klerus aus dem Weg zu revolutionieren und somit die Werte der Aufklärung in die Praxis umzusetzen und den daraus hervorgehenden säkularen Liberalismus zur neuen herrschenden Ideologie zu machen.


    Vorraussetzung [Edit: Wenn auch nicht alleinige Ursache!] für diese nicht nur praktische, sondern auch geistige "Revolution" war aber - jedenfalls laut Marx & Engels - die Entwicklung materieller Grundlagen.


    Du gehst also von einer betonierten Einheitsideologie aus, bei der selbst Marx und Engels abwinken würden, ob der Revolutionsmüdigkeit bzw. kommoden Einrichtung der nichtrevolutionären Massen im Kapitalismus, folgerst daraus dann die Notwendigkeit... Ja was genau?

    Kapitalismuskritische Beiträge in obskuren Foren reichen nicht, Graswurzelbewegungen werden durch den permanenten Betonmischer der kapitalistischen Ideologiemaschine redundant gemacht und den gewaltsamen Umsturz lehnst Du ab und siehst auch da eh keine nennenswerten revolutionären Massen, ja was denn dann? Ich sehe da ein Ja, aber auf Ja, aber auf Ja, aber. Sind da die seitenlangen Beiträge moralische Absolution vor Marx an der proletarischen Himmelspforte, oder was soll das dann? Man schreibt doch nicht aus Langeweile so viel, es muss doch ein Ziel dahinterstecken?

    Wenn ich "die Ideologie" schreibe, dann ist das natürlich eine Vereinfachung, Man müsste eigentlich "ideologischer Überbau" schreiben. Tatsache ist aber, dass unser Denken - und da schliesse ich explizit mein eigenes mit ein - es sehr schwer hat, sich den in der Gesellschaft vorherrschenden Gedanken - a.k.a dem gesellschaftliche "Bewusstsein" - zu widersetzen.


    Das Forum hier ist ein sehr gutes Anschauungsobjekt dafür. Hier treiben sich lauter Leute herum, die ihre Haltung wohl als "links" oder zumindest als progressiv oder anti-konservativ begreifen. Aber sobald einer der wenigen radikalen KapitalismuskritikerInnen hier den Versuch macht, den Zusammenhang zwischen den allerseits immer wieder beklagten politischen, ökonomischen, sozialen - und neuerdings auch kulturellen - desolaten Zuständen und den materiellen, ökonomischen Ursachen dieser Zustände (-> der gesellschaftlichen "Verhältnisse") zu erklären, wird daraus eine realitätsverweigernde Forderung nach sofortiger Umwälzung derselben verabsolutiert, und dann gegen die offenkundige Sinnlosigkeit einer solchen Forderung argumentiert.

    Du machst im zweiten Zitat oben im Prinzip leider das gleiche, indem Du mir unterstellst, ich hielte eigentlich alles was nicht auf eine sofortige Abschaffung des Kapitalismus abziele für sinnlos, und schliesst dann daraus, dass meine Beiträge hier eigentlich keinen anderen Zweck verfolgen könnten, als eine "moralische Absolution vor Marx an der proletarischen Himmelspforte," oder halt ganz banale Bekämpfung meiner persönlichen "Langeweile".


    Tatsächlich halte ich weder die von Danton favorisierten technisch-technokratischen Klimaschutzmaßnahmen, noch Jonnys anarchosyndikalistisch inspirierte Aufrufe zur Bildung freier Arbeiterassoziationen und Genossenschaften, und nichtmal der Genossin Wahgenknechts Ansätze zur Widerherstellung einer klassichen Sozialdemokratie für sinnlos. (Für sinnlos und hoch gefährlich halte ich eigentlich vor allem den naiven Gedanken, man könne in dieser "verbürgerlichten" Gesellschaft eine links-revolutionäre Klasse herbeizaubern, weil ich hier und in den meisten unserer Nachbarländer genauso wie drüben im Land der unbegrenzten Ausbeutungsmöglichkeiten ein gewaltbereits, revolutionäres Potenzial eher auf der radikal rechten Seite zu erkennen glaube.)


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    Worum es mir hingegen mit meiner schrecklichen Polemik und den fürchterlichen Textwänden geht und schon immer ging, ist das gesellschaftliche Denken - a.k.a das Bewusstsein - aus den Schranken seiner ideologischen Umzäunung zu befreien. Denn all die hier oft angeführten, und für sich betrachtet durchaus sinnvollen Ansätze werden niemals so in die Tat umgesetzt werden, wie es eigentlich nötig wäre, um z.B. den Klimawandel nachhaltig einzudämmen, oder die grassierende Prekarisierung der unteren Mittelschicht aufzuhalten, weil die politische Klasse bereits so vollständige von den Profit- und WachstumsInteressen der Privatwirtschaft vereinnahmt, und durch die Wirtschaftsverbände und globalisierte Konzernstrukturen erpressbar geworden ist, dass keine Partei der geballten Propagandamacht des Kapitals ernsthaft etwas entegenzusetzen hat und sich ein echtes, radikales Umdenken nur einstellen kann, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich aus der ideolgischen Umklammerung löst, die ihr freies Denken behindert.


    Und das bedeutet nicht, den Menschen ein "falsches" Denken vorzuhalten und sie dann mit dem "richtigen" Denken zu belehren, sondern es heißt, ihnen klar zu machen, dass ihr Denken von ihrem Dasein in einer Gesellschaft geprägt ist, deren Grundlage ein in sich widersprüchliches sozioökonomisches System ist, welches sich nur - entgegen aller aufklärerischen Ratio und Vernunft (und Klimaforschung!) - weiter so widerstandslos aufrecht erhalten lässt, weil es eben einen ideologischen Überbau (dazu gehört natürlich auch ein immer komplexeres Regelwerk aus Gesetzen, Verordnungen und internationalen Verträgen) erschaffen hat, welcher eigentlich nur dazu dient, sich selbst entgegen aller Widersprüche und kognitiver Dissonanzen weiter zu legitimieren und das als Inbegriff einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in die Köpfe hinein zu betonieren -


    obwohl eigentlich nichts daran frei oder demokratisch ist, wenn die absolut überwiegende Mehrheit der Menschen in diesem System dazu gezwungen wird, sich als "doppelt freie" Lohnabhängige der völlig antidemokratischen Befehlsgewalt ihrer Arbeit-"GeberInnen" zu unterwerfen, und wenn die gesetzgebende politische Klasse sich ihre Handlungsanweisungen vom privaten Investitionsmonopol der KapitaleigentümerInnen abholen muss, um den innovativen Wohlstandsmotor Wettbewerb nicht zu gefährden, und nicht von den Leuten, von denen sie sich in ihre politischen Ämter wählen lässt.


    Das heißt, die Menschen müssen - durch Aufklärung! - selbst dazu in die Lage versetzt werden, aus diesem geistigen Karussell zumindest weit genug auszubrechen, um überhaupt zu erkennen, wie die Ideologie sie an der Nase herum führt. Schon Marx & Engels haben ihre dicken Bücher und Artikel ja nicht aus "Langeweile" verfasst, sondern sie wollten damit die Widersprüche der Kapitalistischen Produktionsweise aufdecken und so die Arbeiterschaft auch intellektuell dazu ermächtigen, die Klassengesellschaft zu überwinden. Die Aufgabe einer politischen Linken (nicht eines alten Affen, oder eines Außerirdischen Beobachters!) wäre es, sie mit dieser Erkenntnis nicht alleine zu lassen, oder sie geradewegs den rechten Revolutionären in die Arme zu treiben, sondern ihnen eine glaubhafte Alternative als perspektivisches Ziel anbzubieten.


    Ob das jetzt eine Kombination von mitarbeitergeführten Genossenschaften, dezentralisierter, demokratischer und ökologischer Planwirtschaft und eines bedingungslosen Grundeinkommens, oder sonstwas ist, kann und will ich mir nicht anmaßen, hier als Patentrezept anzupreisen. Die Transformation aus dem Kapitalismus kann nur ein kollektiver Prozess sein, weil an dessen Ende ja auch hoffentlich eine "kollektivistische" =O (-> gemeinwohlorientierte und gemeinwirtschaftlich betriebene) Gesellschaft dabei heraus kommen soll, und keine individualistische, die sich (scheinbar!) an der individuellen Nutzenmaximierung ausrichtet, während sie tatsächlich primär der Profitmaximierung von KapialeigentümerInnen dienlich ist.


    Aber um die Zusammenhänge richtig zu erkennen und aus dem allgemein ja längst vorhandenen Unmut über die herrschenden Zustände keine falschen Schlüsse zu ziehen - und sich zum Beispiel rechtslibertären Sozialdarwinisten, irgendwelchen WiderstandskämpferInnen gegen die globalistische Elitenverschwörung, oder gleich waschechten Nationalsozialisten anszuschliessen - braucht es eben auch theoretische, aber auf rationaler, wissenschaftlicher Analyse, und nicht auf ehernen, ideologischen Dogmen der politischen Ökonomik, oder anderer politischer "Wahrheiten" beruhende - Aufklärung.


    Aber auch diese Erkenntnis ändert eben nicht, dass die Problembeschreibung nunmal schon da ist und offensichtlich als Problembeschreibung allein nicht zur Lösung des Problems ausreicht, was also ist der daraus folgende nächste Schritt?


    Das muss natürlich in einer Weise geschehen, welche die theoretische Erklärung an der praktischen Erfahrung der Menschen festmacht, und nicht an meterdicken Bücherwänden. [Edit: wie zum Beispiel -> hier.] Das wäre dann eben ein linker Populismus, der sich nicht - wie es die Aufklärer noch größtenteils taten - auf ideelle Werte (bzw. auf Ideologie!) beruft, sondern auf die Bewusstwerdung der Widersprüche einer gefühlten, von allgegenwärtiger Propaganda, Ideologieproduktion, und einer milliardenschweren Werbe.- und Datensammelindustrie per angereiztem Warenfetischismus geschaffenen Realität™, mit der tatsächlich gelebten, "materiellen" Wirklichkeit.


    [Edit: ] Was allerdings überhaupt nicht dabei helfen wird, ist die immer wieder erfolgte Verabsolutierung der Forderung zur Aufklärung über kapitalismuskritische Positionen zu einer Forderung nach sofortiger Abschaffung des Kapitalismus oder zu einer totalitären Umerziehung.

    Das hilft nur den radikalen "Zentristen" in der bürgerlichen Mitte des Hufeisens dabei, sich gegen diese Kritik zu immunisieren und sie den WählerInnen als realitätsferne Träumerei oder Stalinistische Meinungsverbote zu vergällen, und den rechten "Revolutioären" dient es dazu, die "einfachen Leute" gegen alles aufzuhetzen, was sich als "links" identifizieren lässt. [/edit]

  • [...] Ideologie führt zu einer teilweisen Aussetzung oder systematischen Verzerrung der Vernunftprüfung. Dadurch werden Herrschaft und Ausbeutung nicht als solche erkannt, sie vollziehen sich hinter dem Rücken der Subjekte und sind der Kritik entzogen. Sie werden mithin als Naturgegebenheiten verdinglicht oder explizit gut geheißen. Damit reduziert sich auch das zu ihrer Aufrechterhaltung notwendige Ausmaß an Zwang und Gewalt.


    In dieser abstrakten Bestimmung wird zweierlei deutlich: Erstens muss Gesellschaftskritik immer auch Ideologiekritik sein: Wenn Ideologie Herrschaft und Ausbeutung gegen effektive Kritik abschirmt, muss sie selbst zum Gegenstand von Kritik gemacht werden, damit Gesellschaftskritik effektiv sein kann. Dabei muss Ideologiekritik auch reflexiv sein, das heißt, sie muss die Gefahr ernst nehmen, dass sie selbst ideologisch sein könnte. Damit wird auch deutlich, dass Ideologiekritik ein höchst anspruchsvolles Unterfangen ist, schließlich ist ihr Gegenstand nicht einfach nur eine Reihe von sachlich falschen Behauptungen über die Welt, die zu korrigieren wären, sondern eine Form der Suspendierung von Vernunft, die zur Aufrechterhaltung von Herrschaft beiträgt – den Nachweis zu führen, dass Ideologie in diesem Sinne vorliegt, ist keine triviale Aufgabe (Strecker 2012, 107-148; Iser 2011, 74-83; Jaeggi 2009, 64-65).

    3. Ideologie als falsches Bewusstsein

    Die oben formulierte abstrakte Bestimmung des Ideologieproblems lässt verschiedene Ausgestaltungen zu. In den klassischen kritisch-theoretischen Formulierungen wird Ideologie als eine bestimmte Form von Bewusstsein verstanden. Dieses Bewusstsein wird dabei genauer als „falsches Bewußtsein“ (Adorno1997, 460) bzw. als„gesellschaftlich notwendiger Schein“ (Adorno 1997, 558) bzw. als „objektiv notwendiges und zugleich falsches Bewußtsein“ (Adorno 1997, 465) bestimmt.

    3.1 Was ist gesellschaftlichnotwendiges, falsches Bewusstsein?

    Dabei ist es hilfreich, alle drei Komponenten genauer zubestimmen: erstens Bewusstsein, zweitens Falschheit, drittens Notwendigkeit. Der Bewusstseinsbegriff sollte nicht bloß psychologisch verstanden und mit dem Bewusstseinsinhalt in individuellen Gehirnen identifiziert werden. Für die Ideologiekritik relevanter sind kollektiv geteilte Formen von Bewusstsein im Sinne gesellschaftlich etablierter Vorstellungen – als Annäherung könnte man von „Geist“, „Kultur“, „Diskursinhalten“ oder „akzeptiertem Wissen“ sprechen. Diese sind von den Bewusstseinsinhalten der Individuen nicht zu trennen, aber doch mehr als deren bloße Summe.


    Das Attribut „falsch“ wiederum meint nicht bloß, dass dieses Bewusstsein sachlich nicht haltbare Darstellungen der beobachtbaren Realität enthält. Dies kann eine Rolle spielen, aber „falsch“ muss zugleich weiter und enger gefasst werden.

    Enger ist es zu fassen, weil sachlich nicht haltbare Darstellungen der empirischen Realität nicht immer ideologisch sind. Sie sind es nur dann, wenn sie systematisch vorkommen und in einem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen sowie ihrer Abschirmung gegen Kritik stehen.

    Solange sich ein solcher Zusammenhang nicht plausibel aufzeigen lässt, qualifizieren sich diese Fehldarstellungen nicht als Ideologie, sondern nur als Irrtümer oder Missverständnisse (vgl. Scholl in diesem Band) – auch dann, wenn sie kollektiv geteilt werden.

    Weiter ist der Begriff „falsch“ zu fassen, weil es nicht ausschließlich um Bewusstsein im Sinne von Wahrheitsansprüchen über die Beschaffenheit der empirischen Welt geht, sondern auch um Bewusstsein im Sinne von Richtigkeitsansprüchen darüber, wie Gesellschaft eingerichtet sein sollte.

    Gesellschaftliche Normen, denen zufolge beispielsweise „Schulden nun einmal bezahlt werden müssen“ oder eine bestimmte Gruppe von Menschen von einer anderen Gruppe beherrscht wird und „niedere Arbeiten“ verrichten soll, sind keine Aussagen über die äußere Welt, die sich empirisch widerlegen ließen. Nichtsdestoweniger können auch diese Bewusstseinsformen im ideologiekritischen Sinne „falsch“ sein – dies gilt zumindest, wenn man davon ausgeht, dass auch normative Aussagen rationaler Kritik zugänglich sind und die Entscheidung für oder gegen Unterdrückung keine bloß idiosynkratische Geschmackssache ist.


    Darüber hinaus kann auch ein Bewusstsein, das ausnahmslos aus sachlich wahren Aussagen über die Welt besteht, ideologisch bzw. falsch sein. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn es ohne hinreichende Gründe auf einige Aspekte der Realität fokussiert ist, aber zentrale Aspekte von Herrschaft und Ausbeutung systematisch ausblendet und damit der Kritik entzieht – die Nichtthematisierung bestimmter Sachverhalte kann ein Anzeichen von Ideologie sein.


    Schließlich kann die Falschheit des Bewusstseins auch darin liegen, dass bestimmte empirisch beobachtbare Zusammenhänge in einer falschen, verdinglichenden Form gefasst werden. Dies gilt beispielsweise, wenn Eigenschaften, die zu einem bestimmten Zeitpunkt empirisch in einer sozialen Gruppe stärker verbreitet sind als in anderen, stereotyp als unabänderliche Wesenseigenschaften dargestellt werden.


    Das Attribut „gesellschaftlich notwendig“ schließlich ist nicht so zu verstehen, dass das entsprechende Bewusstsein eine zwangsläufige Konsequenz der bestehenden Verhältnisse wäre, so dass die in dieser Gesellschaft sozialisierten Subjekte der Ideologie gar nicht entrinnen könnten.

    Zwar ist in der Tat davon auszugehen, dass sich ideologische Bewusstseinsformen aus den realen Erfahrungen ergeben, die Menschen in einer bestimmten Gesellschaft machen – sie deren „objektive[r]Schein“ (Strecker 2012, 118) sind. Wäre die ideologische Verarbeitung dieser Erfahrungen aber unentrinnbar, würde Ideologiekritik zu einem ganz unmöglichen Unterfangen. Wäre der „Verblendungszusammenhang“ (Adorno 1997, 582)völlig undurchschaubar, könnte es gar keine kritische Theorie oder Ideologiekritik geben, die ihn kritisiert.


    Andersherum besteht eine Notwendigkeit im strikten Sinne aber sehr wohl: Ohne das falsche Bewusstsein könnten die entsprechenden Verhältnisse nicht bestehen, es ist für deren Fortbestehen notwendig. Ohne Ideologie lägen Herrschaft und Ausbeutung offen zutage und könnten nur durch Zwang und Gewalt aufrecht erhalten werden – und damit wohl langfristig gar nicht.

    Weil soziale Verhältnisse und falsches Bewusstsein somit notwendig aufeinander bezogen sind, sind sie letztlich nicht von einander zu trennen – wohl aber analytisch zu unterscheiden.


    Das so verstandene falsche Bewusstsein ließe sich durch verschiedene Differenzierungen weiter bestimmen. Zu differenzieren wäre etwa zwischen Ideologien, die einen wahren Kern haben und immanent zu kritisieren sind (Adorno will nur in solchen Fällen von Ideologie im strengen Sinne sprechen), und Ideologien, die in Gänze falsch sind; zwischen dem relativ inkonsistenten Alltagsbewusstsein und intellektuell durchgearbeiteten ideologischen Systemen [z.B. "Alltagsrassismus" vs. Rassenlehre] ; zwischen Ideologien, die sich eher an die Herrschenden richten, um den nach unten ausgeübten Zwang als legitim erscheinen zu lassen [Neoliberalismus], und Ideologien, die auch die Beherrschten ansprechen ["Soziale Marktwirtschaft"] und so eine Herrschaft durch Konsens ermöglichen; zwischen Ideologien, die bestehende Herrschaftsverhältnisse explizit legitimieren ["Freiheitlich-Demokratische Grundordnung", "Europäische Wertegemeinschaft"] und Ideologien, die auf eine andere Gesellschaft zielen, dabei aber dennoch einen verzerrten Widerschein des Bestehenden reproduzieren [Nationalsozialismus, Stalinismus]; usw.


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    3.2 Bedarf Ideologiekritik eines richtigen Bewusstseins?

    Die als Kritik des falschen Bewusstseins verstandene Ideologiekritik ist selbst regelmäßig scharfer Kritik ausgesetzt. Wiederholt wurde gegen sie eingewandt, sie müsse immer schon vorab wissen, was das richtige Bewusstsein ist, um andere Bewusstseinsformen als falsch kritisieren zu können. Damit täte Ideologiekritik genau das, was in Alltagsdiskursen gang und gäbe ist: Ideologie ist immer das, was die anderen sagen und man selbst nicht mag; was man selbst äußert, ist dagegen Kritik oder gar richtiges Bewusstsein.
    Es steht außer Frage, dass Ideologiekritik tatsächlich immer wieder in dieser Kümmerform auftrat und auftritt – dies gilt insbesondere, aber nicht nur für orthodox-marxistische Schematismen. Jedoch ist diese Polemik gegen die Ideologiekritik weniger zwingend, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn man muss nicht notwendigerweise ein „richtiges“ Bewusstsein kennen, um falsches Bewusstsein erkennen und als solches ausweisen zu können. Es reicht aus, gewisse Rationalitätskriterien zu formulieren und aufzuzeigen, dass diese bei bestimmten Bewusstseinsformationen systematisch außer Kraft gesetzt oder verzerrt sind.


    Weil weiterhin argumentiert werden muss, dass diese Außerkraftsetzung damit einhergeht, dass bestimmte Herrschaftsformationen gegen Kritik isoliert werden, setzt Ideologiekritik auch Wissen über die Beschaffenheit der Gesellschaft voraus. Eine solche Argumentation ist zweifelsohne anspruchsvoll, aber sie setzt weder willkürliche Setzungen voraus, noch bewegt sie sich jenseits von Wissenschaft – denn anspruchsvolle Argumentationen, die die Einhaltung von Rationalitätskriterien prüfen und Wissen über die Beschaffenheit der Gesellschaft voraussetzen, zählen zum sozialwissenschaftlichen Kerngeschäft.

    Jedoch ist es dann eben auch nötig, die Rationalitätskriterien explizit zu formulieren und ihre systematische Verzerrung oder Suspendierung im Konkreten nachzuweisen. Dies bleibt in schematischer Ideologiekritik oft aus. In solchen Fällen besteht Ideologiekritik tatsächlichvor allem darin nachzuweisen, dass die kritisierte Darstellung nicht mit derjenigen übereinstimmt, die die Ideologiekritiker*in selbst für die wahre hält. [...]

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    Floris Biskamp: Ideologiekritik als Kritik systematisch verzerrter Kommu-nikationsbedingungen. Zum ideologiekritischen Potenzial der Habermas’schen Theorie, in: Uwe Krüger, Sebastian Sevignani (hrsg.): Ideologie, Kritik, Öffentlichkeit. Verhandlungen des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft, S. 66–84, Universität Leipzig. 2019 (-> PDF, S. 4-8)


    (Unterstreichungen und Anmerkungen in rot von mir)

  • Also ma so ganz grundsätzlich finde ich auch, dass das Äußern von Kritik ohne das Präsentieren einer (alternativen) Lösung möglich und akzeptiert sein sollte/muss. Genauso wie der Überbringer einer Botschaft nicht dafür gerichtet werden darf.

    Problem bei insbesondere der Systemkritik und dann wohl auch einer der Hauptgründe warum es dann eigentlich fast immer darauf hinausläuft ist, dass sich der Probleme wohl dann doch sehr viele auch wirklich bewusst sind. Es mangelt halt einfach nur an einer "besseren" Alternative und daher wird explizit danach gefragt. Denn von einem als nicht optimal gesehenen Zustand zu einem als noch weniger optimal gesehenen zu wechseln, wird als nicht sinnvolle Lösung gesehen.

  • Denn von einem als nicht optimal gesehenen Zustand zu einem als noch weniger optimal gesehenen zu wechseln, wird als nicht sinnvolle Lösung gesehen.

    Das ist aber auch nicht der Sinn der Kritik. Das ist vielmehr - und leider seit jeher - einer der vielen Absolutismen, die gegen die Systemkritik ins Feld geführt werden, indem man den KritikerInnen unterstellt, ihr Ziel sei primär die Zerschlagung der bestehenden Verhältnissse ohne Rücksicht auf die Konsequenzen die sich daraus ergeben würden.


    Die Ideologiekritik alleine ändert die Verhältnisse natürlich nicht, aber ohne eine kritische Hinterfragung der herrschenden ideologie bleibt sie eben die herrschende ideolgie. Und deren primäres Ziel ist, eine grundsätzliche Veränderung zu verhindern und die herrschenden Verhältnisse zu bewahren.

  • Das ist aber auch nicht der Sinn der Kritik. Das ist vielmehr - und leider seit jeher - einer der vielen Absolutismen, die gegen die Systemkritik ins Feld geführt werden, indem man den KritikerInnen unterstellt, ihr Ziel sei primär die Zerschlagung der bestehenden Verhältnissse ohne Rücksicht auf die Konsequenzen die sich daraus ergeben würden.

    Das selbst ist jetzt aber ein Absolutismus in die entgegengesetzte Richtung. Die Unterstellung, dass dem Kritiker irgendein Absolutismus unterstellt werden würde. So fährt man dann halt tatsächlich Jahrzehnte/-hunderte lang Karussell...


    Es ist viel mehr eine valide Frage, ohne dabei eine Unterstellung zu beinhalten. Denn sich gegenseitig zu bestätigen, dass es doof ist bringt einen ohne daraus resultierenden Lösungsansatz halt kein Stück weiter. Und wenn man selbst (ohne Unterstellung) keine als nicht schlechter wahrgenommene Alternative sieht, dann muss man eben danach fragen, zumindest solang man noch an einer Lösung mit möglicher Veränderung interessiert ist.

  • Ich finde das Problem bei der Kritik an der Kritik ist, sie argumentiert sich eigentlich immer aus den Prämissen des Staus quo. Also dem Fundament, das ja kritisiert wird. Aus dieser Box muss die Debatte erstmal raus, um einen ehrlichen Diskurs führen zu können.


    Die letzte Frontlinie der Kritik-Kritiker ist dann zB immer (oder sehr oft) die herbei fantasierte natürliche Gesetzgebung durch das Wesen des Menschen, die die bestehenden Verhältnisse zu unumstößlichen Wahrheiten der Natur zu machen versuchen. Das System bestätigt und legitimiert sich also selbst durch Regeln, die das System aufstellt. So erscheint dann auch jeder Lösungsansatz, der sich diesen Regeln nicht unterordnet, als unrealistisch, unnatürlich oder was auch immer.


    So ein Paradigmenwechsel ist schon ne harte Nuss. Das sieht man ja auch schon in kleineren Dimensionen (Menschenrechte, Marktkontrolle, Klima-/Naturschutz).

  • Das selbst ist jetzt aber ein Absolutismus in die entgegengesetzte Richtung. Die Unterstellung, dass dem Kritiker irgendein Absolutismus unterstellt werden würde. So fährt man dann halt tatsächlich Jahrzehnte/-hunderte lang Karussell...

    Nein. Das ist eine Reaktion auf die implizite Unterstellung - die gerade neuerdings hier im Forum, aber auch in allgemeinen politischen Diskursen schon seit Jahrzehnten immer wieder gegen die radikale Kritik ins Feld geführt wird - eine Kritik an den Bestehenden Verhältnissen verschrecke zu viele Menschen, weil sie , mangels einer alternativen Patentlösung, nur Angst vor Veränderungen mit unbekanntem, und daher furchteinflößendem Ausgang schüre.


    Ich zitiere nochmal :

    Problem bei insbesondere der Systemkritik und dann wohl auch einer der Hauptgründe warum es dann eigentlich fast immer darauf hinausläuft ist, dass sich der Probleme wohl dann doch sehr viele auch wirklich bewusst sind. Es mangelt halt einfach nur an einer "besseren" Alternative und daher wird explizit danach gefragt. Denn von einem als nicht optimal gesehenen Zustand zu einem als noch weniger optimal gesehenen zu wechseln, wird als nicht sinnvolle Lösung gesehen.

    Wenn Du das nicht so meinst, wie ich es oben beschrieben habe, dann musst Du es anders formulieren, weil so wie Du es formuliert hast gleich zwei Prämissen aufgestellt werden, die nicht weiter begründet sind:


    1. Es sind sich "sehr viele" der Probleme wirklich bewusst.


    Man kann sicher feststellen, dass sehr viele Menschen - womöglich sogar eine große Mehrheit - Probleme haben, dass sie mit der herrschenden Politik unzufrieden sind, und dass sie befürchten, in Zukunft ihren gewohnten Lebensstandard nicht halten zu können, wenn sie weiter so betrieben wird.

    Das bedeutet aber nicht, dass sich "sehr viele" tatsächlich des Umstandes bewusst wären, dass die herrschende Politik Resultat einer die gesellschaftliche Debatte dominierenden Ideologie ist, die im Widerspruch zu ihren eigenen Verheissungen steht (Freiheit, Rechtsstaat, Sicherheit, Leistungsgerechtigkeit, Demokratie, etc.) - und schon gleich gar nicht, dass diese Ideologie ihre Wurzeln in der Art und Weise hat, wie diese Gesellschaft ihre materiellen Lebensgrundlagen produziert - Also in der kapitalistischen (und imperialistischen) Produktionsweise.


    Viel wahrscheinlicher ist, dass die absolute Mehrheit der Menschen - selbst unter jenen die in Umfragen den Kapitalismus als Problem ansehen - unter "Kapitalismus" lediglich ein reines, von den restlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen quasi losgelöstes Wirtschafssystem versteht, welches eigentlich eine "Soziale Marktwirtschaft" (= cdU- Nachkriegs-Propaganda -> Ideologie!) sein könnte, wenn sich die reichen Leute nicht ständig auf moralisch fragwürdige Weise bereichern würden, während die kleinen Leute aus der bürgerlichen Mitte nichts davon abbekommen und die Unterschicht immer ärmer wird.


    Die Schlussfolgerung die daraus gezogen (und nicht nur von linken, sondern auch von scharf rechten Parteien(!) politisch gestützt) wird, ist eigentlich überall in der westlichen Welt die selbe und kann auch hier in diesem "linken" Forum immer wieder beobachtet werden:

    Man müsste halt - so heißt es dann - endlich mal die derzeitige politische Klasse austauschen und neue (junge, nicht dem "Establishment" oder den "Altparteien" Zugehörige) Leute an die Macht bringen, die endlich wieder gerechter umverteilen, indem sie diesen gierigen Reichen etwas von ihrem unanständigen Reichtum wegnehmen, - z.B. über Vermögenssteuern oder CO2-Preise - und es der Mittel- und Unterschicht geben, damit wieder "Wohlstand für alle" (<- cdU-Propaganda-Neusprech) herrschen könne.


    Damit ist aber die grundlegende kapitalistische Produktions- und Distributionsweise noch überhaupt nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil (vereinfacht): Die politische Klasse bekommt damit eine weitere Rechtefertigung dafür, Wachstum durch Wettbewerb weiter zu befördern. Denn ohne wachsende Profite bei den privaten Unternehmen kann - gemäß der herrschenden Ideologie(!) - auch nichts umverteilt werden.

    PolitikerInnen sagen dann z.B.: "Was der Staat für soziale Wohltaten spendieren will muss aber auch erstmal erwirtschaftet werden!". Das Resultat ist fast immer eine Form von Trickle-Down Economics - Wenn man oben nur genug in den Topf schüttet bis er überläuft, tropft über den Rand auch bis ganz unten noch was durch.

    Die politische Debatte differenziert sich dann nur insoweit innerhalb der herrschenden Ordnung aus, als die "linke" (also die sozialdemokratische) Seite dabei ein bisschen mehr für die soziale Absicherung umverteilen möchte, als die rechte, die in der Ungleichheit eher den Anreiz für die Individuen sieht, sich in der Wertschöpfungskette selbst weiter nach oben zu arbeiten.


    2. Es wird vorausgesetzt, dass man sich an einer politischen Diskussion nur sinnvoll beteiligen könne, wenn man auch praktikable politische Lösungen anzubieten habe - also solche, die sich innerhalb der herrschenden politischen Ordnung und ihrer akzeptierten ideologischen Grenzen bewegen und somit ohne große Systemänderung(!) umsetzen lassen. Wer das nicht liefern kann, der diskutiert "sinnlos" im theoretischen Raum herum.


    Tatsächlich zielt die linke System- und Ideologiekritik aber in erster Linie genau darauf ab, die Sinnhaftigkeit der herrschenden politisch-ideologischen Ordnung in Frage zu stellen und somit die Grenzen dessen, wass innerhalb derselben noch als "sinnvoller" Beitrag zur Debatte akzeptiert wird aufzubrechen, damit überhaupt erst die Möglichkeit eines tatsächlich ideologiebefreiten Nachdenkens über - und praktische Arbeit an - Alternativen geschaffen werden kann.

    Ohne eine grundlegende Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie, kann jede Diskussion über Alternativen jedoch nur innerhalb des herrschenden ideologischen Denkraumes statt finden. Und da dieser Raum auf dem Fundament der kapitalistischen materiellen Verhältnisse errichtet ist, kann in ihm auch keine echte Veränderung derselben erdacht werden.


    Der Abwehrreflex gegen dieses Ausbrechen aus den gewohnten, ideologischen Denkmustern ist eine Tautologie, und somit selbst ein klassisch ideologisches Denkmuster, weil er eine Kritik, welche die Grenzen des Systems kritisiert, daran misst, wie tauglich sie innerhalb des Systems zur Umsetzung von Alternativen zum System beitragen kann, und dann natürlich (tauto)logisch zu dem Schluss kommt, dass das nicht möglich ist.


    Mag sein, dass Du das so nicht gemeint hast, aber da das hier ja immer wieder genau so als Argumentersatz in die Debatte geworfen wird, um Kapitalismuskritik als Realitätsverweigerung oder akademische Nabelschau abzukanzeln, musst Du Dich über die ewige Karussellfahrerei schon bei jenen beschweren, die damit um sich werfen und nicht bei jenen, die beworfen werden.

  • Ka wann ich da zu ner angemessenen Antwort komm, da die vermutlich auch etwas ausführlicher wird und das immer immens Zeit kostet.

    Aber zumindest mal soviel:


    eine Kritik an den Bestehenden Verhältnissen verschrecke zu viele Menschen, weil sie , mangels einer alternativen Patentlösung, nur Angst vor Veränderungen mit unbekanntem, und daher furchteinflößendem Ausgang schüre.

    Ich habe nicht mit einem Wort von irgendeiner Angst von irgendwelchen Leuten geredet. Ka wer das tut, hier hab ich das zumindest noch nicht wahrgenommen, was nicht heißen soll, dass es hier nie geäußert worden wäre.

    Noch weniger habe ich davon geredet Leute nicht mit/durch Kritik zu verschrecken. Das hab ich tatsächlich noch nie gehört und fände es als gemachten Punkt über die Maßen lächerlich.


    Und ja, jeder hat seinen eigenen Standpunkt und ist von dem aus in seiner Kritik am System unterschiedlich gelagert. Was machen wir jetzt mit der Erkenntnis?


    Wenn ich ein gegebenes System kritisiere und es in der Form tue, dass ich dabei mit äußere dass es quasi vollständig abgeschafft werden müsse, dann muss ich den Leuten doch ganz klar auch was präsentieren, was als valide Alternative funktionieren und verstanden werden kann. Wenn die Leute nämlich als mögliche Alternativen sich nur lauter Sachen vorstellen können und präsentiert bekommen, welche in der Summe als nicht besser wenn nicht sogar schlechter erscheinen, gesehen werden oder sogar ganz objektiv sind, dann bleibt ihnen halt irgendwie nur den Kopf in den Sand, der Freitod oder sich schreiend auf den Boden zu werfen. Und an dem Punkt verstehe ich dann die Kritik an der Reaktion nicht, welche hier im Raum steht. Da weiß ich dann nämlich ehrlich gesagt auch nicht mehr so recht worauf ihr hinaus wollt. Außer eben die Kritik zu äußern und gefälligst nen Nicken für zu bekommen. Und das solange, bis endlich der Messias erscheint, welcher sich endlich hinsetzt und des Problems so richtig annimmt bis er die zündende Idee erarbeitet hat, wie das alles so richtig zu lösen ist. Und dann muss er das natürlich auch noch allen entsprechend verständlich machen und alle Ungläubigen endlich überzeugen/bekehren.

    Wenn Du das nicht so meinst, wie ich es oben beschrieben habe, dann musst Du es anders formulieren, weil so wie Du es

    bisher formulierst und insbesondere wie du bisher auf alle Nachfragen, Antworten und Entgegnungen reagierst hinterlässt bei mir bisher nur diesen Schluss.

  • Wenn ich ein gegebenes System kritisiere und es in der Form tue, dass ich dabei mit äußere dass es quasi vollständig abgeschafft werden müsse, dann muss ich den Leuten doch ganz klar auch was präsentieren, was als valide Alternative funktionieren und verstanden werden kann.

    Klar kann man das. Nur bringt es eben wenig, solange Menschen Schnappatmung kriegen, sobald Ihnen dabei der gottgegebene Materialismus abgesprochen wird. Quasi die Grundlage unseres heutigen Wertesystems.

  • Klar kann man das. Nur bringt es eben wenig, solange Menschen Schnappatmung kriegen, sobald Ihnen dabei der gottgegebene Materialismus abgesprochen wird. Quasi die Grundlage unseres heutigen Wertesystems.

    wieso an den extremen Rändern ausrichten?

    und wenn die breite Masse so reagiert, dann wurde wohl keine anständige Alternative präsentiert oder die Präsentation selbst war nicht überzeugend genug.

  • Ich habe nicht mit einem Wort von irgendeiner Angst von irgendwelchen Leuten geredet. Ka wer das tut, hier hab ich das zumindest noch nicht wahrgenommen, was nicht heißen soll, dass es hier nie geäußert worden wäre.

    Ja. Du hast natürlich nicht wortwörtlich von "Angst" geredet. Du hast aber die pauschale Ablehnung der radikalen Kapitalimsuskritik - nun schon mehrfach wiederholt - damit begründet, dass Leute einen nicht-optimalen Zustand nicht gegen einen noch weniger optimalen Zustand austauschen wollten.

    Das impliziert doch ganz klar, dass die Kapitalismuskritik als Aufforderung zu einer sofortigen praktischen Umsetzung und Veränderung der herrschenden Zustände verstanden werden solle. Und dabei schiebst Du gleich hinterher, dass jene Veränderung ja eigentlich nur zu noch schlechteren Zuständen führen würde, so lange niemand einen Masterplan für neue, bessere Zustände parat habe.


    Die Systemkritik wird demzufolge also abgelehnt, weil zu befürchten ist, dass sie alles noch schlechter machen werde, wenn man sie in die Tat umsetzte.

    Das ist im Grunde der Kern aller Widerstände, die sowohl hier im Forum, als auch außerhalb gegen radikale Systemkritik ins Feld geführt wird. Es wird nicht auf die eigentliche Analyse und Kritik eingegangen. Es wird bestenfalls behauptet, das wüssten doch alle längst (man ist ja schliesslich "links"), dann aber praktisch im selben Atemzug kritisiert, dass alleine durch die radikale Kritik ja noch überhaupt keine bessere Alternative geliefert werde.

    Tatsächlich zielen die linke Kritische Theorie und ihre Ideologiekritik hingegen darauf ab, überhaupt begreiflich zu machen, woran die praktische Umsetzung wirklicher Veränderungen schon scheitert, bevor sich überhaupt irgendwas nachhaltig verändert hat.


    Des weiteren forderst Du auch in Deiner letzten Antwort gleich nochmal, es möge doch eine glaubhafte, funktionierende Alternative präsentiert werden und erklärst den Widerwillen, sich mit der - mittlerweile immerhin auf eine über hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik zu befasssen damit, dass keine solche Alternative präsentiert werde.

    dann muss ich den Leuten doch ganz klar auch was präsentieren, was als valide Alternative funktionieren und verstanden werden kann

    Wenn ich ein gegebenes System kritisiere und es in der Form tue, dass ich dabei mit äußere dass es quasi vollständig abgeschafft werden müsse, dann muss ich den Leuten doch ganz klar auch was präsentieren, was als valide Alternative funktionieren und verstanden werden kann. Wenn die Leute nämlich als mögliche Alternativen sich nur lauter Sachen vorstellen können und präsentiert bekommen, welche in der Summe als nicht besser wenn nicht sogar schlechter erscheinen, gesehen werden oder sogar ganz objektiv sind, dann bleibt ihnen halt irgendwie nur den Kopf in den Sand, der Freitod oder sich schreiend auf den Boden zu werfen.

    Dabei implizierst Du, dass Äußerungen hier in einem obskuren "linken" Nischenforum quasi sinnlos seien, wenn sie nicht von einem wesentlich schlechter informierten Massenpublikum verstanden werden können, und mischst sogleich der Forderung nach einer "validen", für die breite Masse allgemeinverständlichen Alternative die - auch von anderer Seite hier und in der richtigen Welt gerne von Anti-KapitalismuskritikerInnen vorgebrachte - Behauptung bei, es würden dann irgendwie doch "Sachen" vorgestellt, die "ganz objektiv" - also quasi schon empirisch erwiesen und wissenschaftlich erforscht - "schlechter" seien, als die herrschenden Zustände. Mal abgesehen davon, dass hier eigentlich mal zu ergründen wäre, was in diesem Zusammenhag "gut" und was "schlecht" bedeutet, muss man gar nicht direkt "DDR", oder "Gulag" schreiben, um bei den geneigten LeserInnen die entsprechenden Assoziationen zu wecken.


    Schliesslich setzt Du dann noch einen drauf und bedienst ein weiteres lieb gewonnenes Klischeebild von den linken Realitätsverweigerys, indem Du den Kapitalismuskritikern unterstellst, sie betrieben eine Art missionarischer Religiosität, und seien daher gar nicht in der Lage, sich einer sachlichen Diskussion zu stellen.

    Und das solange, bis endlich der Messias erscheint, welcher sich endlich hinsetzt und des Problems so richtig annimmt bis er die zündende Idee erarbeitet hat, wie das alles so richtig zu lösen ist.


    Und dann muss er das natürlich auch noch allen entsprechend verständlich machen und alle Ungläubigen endlich überzeugen/bekehren.

    Du drehst also quasi den Spieß um, und wirfst den Häretikern vor, ihre Kritik an der herrscheden Religion gründe sich eigentlich auch nur auf eine andere Religion, und die vehemente Verteidigung ihrer Gotteslästerei sei in Wahrheit nur dem innigen Glauben an einen anderen Gott geschuldet, von dem sie sich die wahre Erlösung versprächen. Damit wird - ebenfalls ein erprobtes Mittel der Immunisierung - Ideologiekritik kurzerhand selbst zur Ideologie umgedeutet.


    Tatsächlich ist das aber eher so, als würde man einem Atheisten vorwerfen, er kritisiere das Christentum eigentlich nur, weil er es gegen eine andere Religion ersetzen wolle, obwohl er tatsächlich Religion als solche, also alle Religionen kritisiert - ganz gleich wie die Götter heißen, die von ihnen zu den Schöpfern und Herrschern der Welt erklärt werden - weil er eingesehen hat, dass Religion in allen Formen eine menschliche Erfindung ist, die sich den Gläubigen als übernatürliche letzte Wahrheit darstellt, obwohl sie tatsächlich nur dazu dient, die Dogmatik und den gesellschaftlichen Status ihrer Hohepriester und Gottkaiser gegen alle irdische Kritik zu immunisieren.


    Dabei wird geflissentlich negiert, dass die Kapitalismus- bzw. Ideologiekritik überhaupt nicht den Anspruch hat, selbst einen ausgearbeiteten Plan für ein alternatives System zu präsentieren.

    Wenn man also den Kern dieser Kritik tatsächlich verstanden hätte und alle - so wie hier an anderer Stelle behauptet - doch längst darüber bescheid wüssten, dann wäre den Bescheidwissenden auch längst völlig klar, warum die Kritik diesen Anspruch gar nicht haben kann und will.

    Würde sie sich anmaßen, alleine aus der kritischen Analyse der herrschenden Verhältnisse heraus einen Entwurf neuer, besserer gesellschaftlicher Verhältnisse ableiten zu können, dann würde sie im Grunde genau das betreiben, was sie fundamental kritisiert: Ideologie.


    Schon Marx "Kritik der politischen Ökonomie" zielte nicht primär darauf ab, eine "bessere" Ökonomie zu beschreiben, sondern darauf, überhaupt erst mal begreiflich zu machen, warum die herrschende Vorstellung davon, wie das sozioökonomische System zu funktionieren habe, ein Trugschluss ist, weil sie auf ideologischen Dogmen, Axiomen und Menschenbildern beruht, die sich an keiner empirisch-historischen Evidenz fest machen, sondern rein aus der Naturalisierung menschengemachter Verhältnisse abgeleitet werden - aus deren Umdeutung zu einer, der angeblichen "Natur des Menschen" am ehesten gerecht werdenden, und somit quasi-natürlichen historischen Entwicklung.


    Und auch die Vorstellung...

    Und ja, jeder hat seinen eigenen Standpunkt und ist von dem aus in seiner Kritik am System unterschiedlich gelagert. Was machen wir jetzt mit der Erkenntnis?

    ...es ginge hier um unterschiedliche Standpunkte bei der Kritik am System, verkennt, dass ein wesentliches Element der bürgerlichen Gesellschaft im neoliberalen Spätkapitalismus der feste Glaube daran ist, jeder mündige Bürger könne sich aus der reinen Beobachtung seiner eigenen individuellen Lebensumstände und Erfahrungswerte eine objektive Haltung dazu bilden, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die eigenen Erfahrungen nicht unabhängig von den materiellen Verhältnissen gemacht werden in denen sie stattfinden, und dass die eigene Bewertung dessen, was "gut" oder "schlecht" ist nicht frei von den (Be-)Wert(ungs)vortsellungen der herrschenden Ideologie vorgenommen werden kann, so lange man dieselbe nicht radikal hinterfragen will.


    Auch über linke Ideologiekritik kann und muss natürlich diskutiert werden. Aber selbst wenn man nicht damit übereinstimmt, muss man zumindest begriffen haben, was ihr eigentliches Anliegen ist, weil man sonst nur immer wieder von Neuem - wie im Karussell - gegen selbst gebastelte Strohmänner argumentiert, indem man den KritikerInnen Absichten unterstellt, die sie gar nicht haben.

  • Erneuter Vorwurf des Absolutismus und Pauschalisierens.

    Selbst empfundene Implikation.

    Hinweis auf Nischenforum.

    Selbst empfundene Implikation.

    Vorwurf der Klischeebedienung.

    Neue und irgendwie krasseste Implikation bisher (Respekt)

    Vorwurf der Unwissenheit, Uninformiertheit (-> IMPLIKATION: "du dumm und/oder faul)



    Ka was du immer mit dem Hinweis auf ein Nischenforum willst. Das kommt bei mir immer spätestens so an, könnt fast schreiben "damit implizierst du", dass hier gefälligst die Kritik nur abgenickt und wenn noch erweitert werden soll -> "lies gefälligst die

    mittlerweile immerhin auf eine über hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik

    und beteilige dich dann an unseren hochwissenschaftlichen Ausführungen entsprechend angemessen. Denn uns ist hier nämlich, da Nischenforum, egal ob die Ausführungen

    von einem wesentlich schlechter informierten Massenpublikum verstanden werden können

    , um die gehts ja offensichtlich (implizit?) gar nicht. Wir machen hier nischenforumsozialwissenschaftlichegesamtsystemkritik-Wissenschaft(kommunikation) aka Egostreicheln und Kopfnicken."



    Ich schreibs ein letztes mal, dann wars mir genug Rummelplatzfahrgeschäft. Kritik ist schön und gut und muss auch geäußert werden. Klar so weit. Aber wenn dann keiner was damit anfangen kann, steht sie halt auch einfach so im Raum. Da es aber eben doch genug Leuten gar nicht so egal ist, wie es gerne von manchen dargestellt wird, wären die an einer Lösung schon nicht uninteressiert.

    - Sehen nur halt leider selber keine

    (wohl einfach zu schlecht informiert, lieber mal auf hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik lesen, anstatt sich um Essen aufn Tisch, Dach übern Kopf, Gesundheit, Familie und andere unnütze weltliche Sorgen und Laster zu kümmern).

    - Wissen nicht wie sie eine entwickeln können

    (dummes schlecht informiertes Massenpublikum... wohl einfach zu schlecht informiert, lieber mal auf hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik lesen, anstatt sich um Essen aufn Tisch, Dach übern Kopf, Gesundheit, Familie und andere unnütze weltliche Sorgen und Laster zu kümmern)

    - Wollen aber anscheinend trotzdem nicht einfach den Zustand als gottgegeben hinnehmen, auch wenns gerne nahezu jedem unterstellt und vorgeworfen wird, und fragen dann halt mal. Aber wenn dann schon der hochwissenschaftliche, eloquente, wohlinformierte und im Übermaß intellektuelle es dem wesentlich schlechter informierten Massenpublikum nicht klar machen kann. Ja dann bleibt denen wohl doch nur Resignation, denn ohhh Pause rum muss zurück zum Überleben der Familie sichern, vllt im nächsten Urlaub Zeit für hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik.



    .es ginge hier um unterschiedliche Standpunkte bei der Kritik am System

    NEIN, bei den Empfängern! Die haben nun mal nur ihren Standpunkt. Ohne Telepathie oder Neurolink oder so kann man nicht erwarten, dass jeder die Weisheit bereits mit dem Löffel gefressen hat.


    muss man zumindest begriffen haben, was ihr eigentliches Anliegen ist

    ?

    mittlerweile immerhin auf eine über hundertjährige Tradition kritischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung zurück gehenden - Kapitalismuskritik und anschließende nischenforumsozialwissenschaftlichegesamtsystemkritik-Wissenschaft(kommunikation) aka Egostreicheln und Kopfnicken

    ?

  • NEIN, bei den Empfängern! Die haben nun mal nur ihren Standpunkt. Ohne Telepathie oder Neurolink oder so kann man nicht erwarten, dass jeder die Weisheit bereits mit dem Löffel gefressen hat

    Das erwartet niemand.


    Ich erwarte lediglich, dass man sich mit Argumenten befasst, anstatt denen, die sie zu erklären versuchen einen haufen Stroh vor die Nase zu setzten, dann noch einen Schwall Empörung darüber zu erbrechen, und sich dann hoch beleidigt dahinter zu verbarrikadieren, dass man damit nicht ernst genommen werde.


    Ich habe versucht, es zu erklären. Du hast Dich erbrochen.

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