(Ich mach' das mal hier auf, damit wir nicht immer die Threads zu den J&N-Folgen damit zuspammen müssen:)
Während ihrer Kampagne als erste weibliche Kandidatin der Demokraten zur bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl hielt die Ex-First Lady, ehemalige US-Außenministerin und Senatorin für den Bundesstaat New York, Hillary R. Clinton am 13. Februar 2016 in Las Vegas eine Wahlkampfrede, in welcher sie Folgendes zum Besten gab (Zitat Washington Post, 13.02.2016 )
"Not everything is about an economic theory, right?" Clinton asked her audience of a few hundred activists, most of them wearing T-shirts from the unions that had promoted the rally. "If we broke up the big banks tomorrow — and I will, if they deserve it, if they pose a systemic risk, I will — would that end racism?"
"No!" shouted her audience.
"Would that end sexism?"
"No!"
"Would that end discrimination against the LGBT community?"
"No!"
"Would that make people feel more welcoming to immigrants overnight?"
"No!"
"Would that solve our problem with voting rights, and Republicans who are trying to strip them away from people of color, the elderly, and the young?"
"No!"
"Would that give us a real shot at ensuring our political system works better because we get rid of gerrymandering and redistricting and all of these gimmicks Republicans use to give themselves safe seats, so they can undo the progress we have made?"
"No!"
The entire rally was crafted to push the "single issue" attack on Sanders, a sort of attempt to rewind the clock, and define the surging progressive candidate less as an idealist with bold solutions and more as a naif who isn't familiar enough with the causes of the rising left.
Diese Rede war weniger dazu gedacht, das Publikum von der Wichtigkeit einer Beendigung der strukturellen und gesellschaftlichen Ungleichbehandlung von People of Color, MigrantInnen, Frauen, oder Angehörigen der LGBTQ-Community zu überzeugen, als vielmehr Clintons Versuch, ihren größten Konkurrenten um die Kandidatur, den sich selbst als (demokratischen) "Sozialisten" bezeichnenden Senator Bernie Sanders, bei jungen, linksliberalen WählerInnen als "alten weißen Mann" darzustellen, der sich "nur" mit dem ökonomischen Problem der grassierenden materiellen Ungleichheit in den USA beschäftige, und dabei für diese Zielgruppe so wichtige identitätspolitische Fragen vernachlässige.
Clinton hatte sich auch zuvor schon als Speerspitze der feministischen Bewegung dargestellt und MitarbeiterInnen ihrer Kampagne beschuldigten Sanders-UnterstützerInnen in besonders über soziale Medien hitzig geführten Debatten als "bernie bros" - als männerbündlerische, sexistisch motivierte Verhinderer der ersten weiblichen Präsidentin in der Geschichte des Landes.
Auch in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, die zu Zeiten von Martin Luther King noch eine starke Betonung auf die ökonomischen Aspekte der rassistischen Benachteiligung gelegt, und darüber zum Teil auch den Anschluss an unterprivilegierte weiße Schichten gesucht und gefunden hatte, lässt sich heute eine Spaltung in zwei Lager beobachten, die dazu führte, dass der eher um ökonomische Gleichberechtigung und Klassensolidarität bemühte, kapitalismuskritische Teil gegenüber einer den Rassimus selbst als alleinige Ursache für die Benachteiligung ausmachenden Bewegung ins hintertreffen geriet, die wiederum anschlussfähiger an die gehobene Mittelschicht, das urbane Großbürgertum und das Kapital ist, welche auch schon hinter der Kandidatin Clinton und der demokratischen Parteiführung als Großspender und ZuarbeiterInnen aus dem Wissenschafts- und Medienbetrieb standen.
Der Blick auf die USA mag hinsichtlich eines Threads über die Möglichkeit eines linken Populismus in Deutschland zunächst abwegig erscheinen, weil deren politisches System fast 250 Jahre alt, und sehr anders konstruiert ist, als das der meisten europäischen Länder - insbesondere das der noch sehr jungen deutschen Demokratie - und weil dort zum anderen eine ungleich größere Verteilungsungerechtigkeit herrscht, sowie eine bereits beginnende Verelendung der ehemaligen unteren Mittelschicht vonstatten geht, von der wir hier bisher noch halbwegs verschont geblieben sind, und weil die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika natürlich untrennbar mit der Sklaverei und der rassistischen Diskriminierung der nicht-weißen Bevölkerung durch die weiße Oberschicht verbunden ist.
Ich halte das aber deshalb für einen guten (erneuten) Einstieg in das Thema, weil die USA als kapitalistisches Imperium und höchste Entwicklungsstufe des seit dem 18. Jahrhundert entwickelten westlichen Kapitalismus aus europäischer Sicht - etwas zynisch betrachtet - gewissermaßen das Versuchslabor dafür darstellt, wohin auch bei uns die Reise noch gehen kann. Und weil man anhand der Verhältnisse dort vielleicht etwas neutraler aufzeigen kann als anhand der hiesigen, uns stärker direkt betreffenden politischen Situation, wie sich im neoliberalen Spätkapitalismus populistische Strömungen - auf der einen Seite vielleicht als Gegenentwurf zur völligen Übernahme des politischen Systems und der politischen Klasse durch Kapitalinteressen, wie auf der anderen Seite als deren Speerspitze zur Unterwerfung der Demokratie - entfalten können.
Für Letzteres haben wir die Beispiele direkt vor der Haustür im Europa des frühen zwanzigsten Jahrhunderts mit den faschistischen "Populismen" unter Hitler, Mussolini, Franco et al. und ihren Schulterschlüssen mit dem Großkapital und seinen politischen Interessenvertretungen. Aber ist die Zuordnung jeglicher Form von Populismus zur rechten, antidemokratischen Seite des politischen Spektrums wirklich die einzig mögliche, oder kommt uns da unsere eigene Vergangenheit - insbesondere die deutsche - bei der rationalen Analyse und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in die Quere?
Meine These dazu könnte vielleicht lauten: Der Populismus an sich ist nicht zwingend rechts, aber die rechte Seite hat es sehr viel leichter, ihn als politische Waffe zu instrumentalisieren.
Allerdings muss dazu auch die Frage beantwortet werden, wie "Rechts" in diesem Zusammenhang zu definieren sei. Aus einer liberalen, eher "positivistischen" Sicht, war Hillary Clinton sicher keine "rechte" Kandidatin, sondern vielmehr die linke Alternative zum offen rechtspopulistisch auftretenden Ungetüm Trump. Aus linker Sicht repräsentierte sie allerdings eine ökonomisch absolut rechte Position, indem sie eine wirtschafts- und sozialpolitische Programmatik vertrat, die dem neoliberalen Konsens zwischen Demokraten und Republikanern, bzw. zwischen ihren Großsspendern aus der privaten Wirtschaft und dem Militärisch industriellen Komplex in die Hände spielte.
Die Demokratie, welche die GegenerInnen des Populismus - egal ob er von links kommt oder von rechts - durch ihn gefährdet sehen, wird allerdings vom Neoliberalismus nicht ohne Grund ebenfalls massiv ausgehöhlt. Seine Vordenker hatten explizite Zweifel daran, dass die marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung, der "freie" Austausch von Gütern und Dienstleistungen, und vor allem der Wettkampf um die "besten" Ideen auf dem marketplace of ideas, deren Erhalt sie als höchste Aufgabe des Staates sahen, sich mit dem "Terror" demokratischer Merheitsentscheidungen gegen die unterlegene Minderheit tatsächlich umsetzen liesse. Und selbstverständlich ist - aus kapitalismuskritischer Sicht - der Kapitalismus selbst zutiefst undemokratisch, indem er Mensch und Natur ausbeutet und die Erträge der Ausbeutung bei der kleinen Minderheit der ProduktionsmitteleigentümerInnen ansammelt.
Clinton selbst bediente sich während ihres Wahlkampfes vorzugsweise selbst "populistischer" Methoden, um in ihrer eigenen Zielgruppe aus der - vorwiegend weißen - oberen Mittelschicht und aus deren studierendem Nachwuchs, sowie unter älteren nicht-weißen BürgerInnen Stimmung gegen den "single issue"-Kandidaten Sanders und seinen Schwerpunkt auf die ökonomische Verteilungsfrage zu machen, indem sie ihm - der bei Teilen der außerparlamentarischen Linken wiederum selbst positiv als left populist gesetzt wurde - unterstellte, er interessiere sich nicht für Diskrimierung benachteiligter Minderheiten und handele gegen die Interessen der gerade erst durch die #metoo -Debatte neu befeuerten feministischen Emanzipationsbewegung.
Der Erfolg schien ihr und ihre Kampagnenstrategie zunächst recht zu geben. Sie gewann schliesslich die Vorwahl der Demokraten zur Präsidentschaftskandidatin und zwang Bernie Sanders und seine AnhängerInnen, sie und das demokratische Parteiestablishment im Endkampf gegen den mittlerweile aus den republikanischen Vorwahlen als Sieger hervorgegangenen, und noch viel skrupelloser, amoralischer, und - vor allem - populistischer auftretenden Ex-Gameshowhost und Multimiliardär Donald Trump zu unterstützen. Der Rest ist Geschichte.
Ein paar weiterführende Texte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Fabio de Masi (MdB, Die Linke): Ich werde nicht wieder antreten
Bundeszentrale für Politische Bildung - Populismus
Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - Populismus Verstehen
Süddeutsche Zeitung: Intellektuelle missverstehen den neuen Populismus
The Guardian - Why copying the populist right isn't going to save the left
Chantal Mouffe - The controversy over left wing populism (Le Monde Diplomatique)
C. Mouffe hat auch ein vielbeachtetes Buch darüber gschrieben: "For a left Populism", das ich aber nicht gelesen habe.
Gegenrede zu ihrer Idee eines Linken Populismus: