Jetzt wo die linke Partei DIe Linke sich gerade total neu(?) erfindet und trotzdem (oder gerade deswegen?) - im Wahlkampf immer noch den alten Gysi (76) vorne an der Rampe rumhampeln lässt, kann man sich auch die alten Debatten mit ihm von vor 30 Jahren nochmal angucken:
Gregor Gysi, Karl Held - Nachdenken in Ingolstadt
»Ist Wählen verkehrt?« Über diese Frage stritten Gregor Gysi und Karl Held während einer Veranstaltung, die das »Café konkret« am 20. April '94 in Bochum durchführte. (Konkret 6-1994, -> PDF)
"K.H.: [...] Wofür stehen Wahlen? Wahlen ändern nicht das Recht. Das Recht wird geändert oder beibehalten - von denen, die aus Wahlen ihre Macht beziehen. Dabei berufen sie sich aber nicht auf den Inhalt dessen, was Wähler meinen und möchten, sondern nur darauf, daß sie gewählt worden sind, und auf wirtschaftliche Sachzwänge.
Bei jeder Wahlaussage einer Partei kommt man darauf, daß sie die Macht haben wollen, aber zugleich darüber Bescheid wissen, daß sie in gewisser Hinsicht ohnmächtig sind.
Die größte Oppositionspartei in der Bundesrepublik, die SPD, weiß schon jetzt, was sie in der Arbeitslosenfrage garantiert nicht versprechen will und kann und soll. Sie alle wollen die Staatsräson - und die Arbeitsplätze sind da, entweder weil sie rentabel sind, oder sie sind nicht da, weil sie eben nicht rentabel sind. Daran wollen sie doch gar nichts ändern. Das kannst du gar nicht abwählen mit deiner Wahlstimme.
Es ist doch beschlossene Sache, auf welchen Grundlagen dieser Staat beruht, welche Sorte Wirtschaft er haben, welche Rechnungsart er in der Gesellschaft zur Geltung bringen will. Das macht er doch mit seiner Staatsmacht. Also da ist überhaupt nichts zu holen. Darüber habe ich nachgedacht, und dafür brauche ich keine 16jährigen [mit Wahlrecht], das machen die Älteren mit ihrer Dummheit. Die stimmen für eine Staatsführung der einen oder anderen Sorte ab, aber sie werden nicht befragt darüber, nach welchen Prinzipien dieses blöde Gemeinwesen denn auf welche Staatsziele hin regiert werden soll.
Das gilt auch für Themen wie: wir und unsere Zuständigkeit für ganz Europa; unsere gewachsene
Verantwortung in der Welt. Hat das einer bestellt, daß Deutschland eine gewachsene Verantwortung wahrnehmen und überall auf der Welt auf Kriege und sonstwas reagieren soll? Wieso denn eigentlich?
Wieso soll ich außer für meinen eigenen Kram, zu dessen Bewältigung ich unter den herrschenden
Verhältnissen kaum mehr imstande bin, auch noch verantwortlich sein für weltpolitische Fragen der ganz anderen Art - früher hat das mal Imperialismus geheißen, jetzt heißt das "gewachsene Verantwortung", und immer wenn in Jugoslawien [*] eine Frau geschändet wird, ist es eine Schande für Deutschland, das nicht verhindern zu können.
Da muß man schon Nationalist sein und befürworten, daß die Nation mit ihrem Gewaltmonopol und mit ihren Gewaltmitteln auch nach außen die Zuständigkeit verdient, in der Welt Ordnung zu schaffen und nach dem Rechten zu sehen.
Gysi möchte ich nur fragen: Ist irgendeine Änderung der Staatsräson dieser Republik abzusehen? Ist da in der Wahl irgend etwas zur Wahl gestellt? Arbeitslosigkeit, Exportnation? Internationale Zuständigkeit - steht sowas zur Abwahl? Nein. Dann soll man aber auch nicht so tun. Die Ziele der Nation erfordern künftig offenbar, daß der Bessere nur der ist, der die fälligen Opfer ehrlich ankündigt und sie nicht verschleiert. Was ist das für eine Wahl? Wo ist denn da das Interesse des Bürgers? Es sei denn, er ist ein Nationalist und wünscht sich selbst auf eigene Kosten immerzu bloß den Erfolg der Nation. [...]"
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[*] für jene unter uns mit der "Gnade der späten Geburt" (H. Kohl): Jugoslawien war sozusagen die Ukraine der 90er Jahre. Es endete ganz fulminant damit, dass die NATO aus lauter Verantwortungsbewusstsein eigenmächtig, ohne UNO-Mandat und gegen lauten Protest der russischen Regierung die souveräne Nation Serbien bombardierte, um die Ablösung der Provinz Kosovo von Restjugoslawien zu erzwingen - also mit einem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg innerhalb Europas Grenzen zu verschieben. Aber da reden wir seit der #Zeitenwende nicht mehr drüber.