#499 - Fabio de Masi (Die Linke) über Wirecard

  • Wollt ihr wissen wie groß und mächtig die emazipatorische Linke in der Partei ist?


    Die antikapitalistische Linke hat drei Mal so viele Delegierte zum Parteitag. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz4 hat vier Mal so viele Delegierte und die Arbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft 5 Mal so viele Delegierte.


    Droht da jetzt die Übernahme durch Identitätspolitiker?

  • @Fernbedingung

    Im Artikel geht es um die Übernahme des PV trotz dieses Verhältnisses:


    Die Strömung der "Bewegungslinken", die gemeinsam mit der Antikapitalistischen Linken (AKL) und dem linksliberalen Lager der Partei ein paar Dutzend Stimmen mehr mobilisieren konnte, konnte alle ihre 20 KandidatInnen für den Parteivorstand durchsetzen. Dem gegenüber sind die Vertreter der Sozialistischen Linken, der Kommunistischen Plattform oder der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Hartz IV sowie von Cuba Si nicht mehr in dem 44-köpfigen Gremium des Parteivorstands vertreten.


    Und um zunehmenden identitätspolitischen Nachwuchs zulasten ...

  • Eine Übernahme des PV gibt es nicht. Der PV bildet auch heute die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei ab. Und da spielt die Emanzipatorische Linke nun Mal keine Rolle.

    Die Bewegungslinke zB ist keiner Identitätspolitik verdächtig. Da tummeln sich Marx21 Leute und ehemalige SLer. Die SL (sozialistische Linke) hat sich wegen Aufstehen ziemlich zerlegt.

    Die AKL, Sahras ehemalige Verein, ist ihr quasi gar nicht gefolgt.


    Wenn man so will kann man sagen, auf dem letzten Bundesparteitag wurden diejenigen abgestraft, die sich offensiv für Aufstehen positioniert hatten.

  • @Fernbedingung :

    Eine Übernahme des PV gibt es nicht. Der PV bildet auch heute die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei ab.

    @SL:

    Zu sagen was ist, ist auch bei der Zusammensetzung des neuen Parteivorstands angebracht: Hierüber sind wir äußerst besorgt. Denn dieser spiegelt weder die Pluralität der Partei noch die realen Kräfteverhältnisse in der Partei adäquat wider.


    Ja nu...

  • "[...] Gerade die linken Parteien, Bewegungen und Gruppen müssen sich fragen, was sie zur Entstehung des "populistischen Moments" beigetragen haben. Sie hatten jedenfalls ihren Anteil an der starken Moralisierung der Öffentlichkeit, die eine Artikulation einiger politischer Konflikte verhinderte und die nun in Form des Populismus herausgefordert wird. Wer moralisiert, der beschreibt eine Meinung, Gruppe oder Person als nicht achtungswürdig. Demokratischer Streit setzt voraus, dass dieses Mittel der Auseinandersetzung sparsam eingesetzt wird. Wie sich anhand des nahezu inflationären Vorwurfs von Rassismus zeigen ließe, haben Teile der Linken dieses Gebot verletzt. Zudem wurde die Frage ökonomischer Ausbeutung von vielen Linken lange entweder nur stiefmütterlich oder aber klientelistisch verengt behandelt. Im durchaus normativ überzeugenden Eifer kultureller Deutungskämpfe und identitätspolitischer Auseinandersetzungen um Diversität, Anti-Diskriminierung und Toleranzgebote ging das Bewusstsein verloren, dass der Kampf gegen ökonomische Ausbeutung eine zentrale Aufgabe der Linken ist. Bei "Toleranz" handelt es sich historisch gesehen um ein zentrales Schlagwort des Liberalismus; heute gilt es als Leitbegriff der Linken.


    Durch ihre Hinwendung zu einem kulturellen Liberalismus haben große Teile der Linken den Liberalismus insgesamt gestärkt und zu einer Vermählung des ökonomischen Liberalismus mit dem kulturellen Liberalismus beigetragen. Dadurch ging insbesondere den linken Parteien der Teil des Elektorats verloren, den man als unzufriedene Links-Konservative bezeichnen kann. Wähler, die für Umverteilung und zugleich für Schließung sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich so einige rechtspopulistische Parteien in Zukunft programmatisch stärker in Richtung einer Art neo-nationalistischer, kulturell illiberaler Sozialdemokratie entwickeln werden, wie es gegenwärtig schon in Frankreich, Schweden und Finnland zu beobachten ist. Kurzum: Der neue Rechtspopulismus ist auch eine Reaktion auf einen hegemonial gewordenen Liberalismus.

    Der Populismus ist ein Warnsignal

    Der Kern der Demokratie besteht darin, dass die Herrschaftsunterworfenen der Herrschaftsausübung - wie vermittelt auch immer - zustimmen, und zwar nicht nur potentiell, sondern tatsächlich, und sei es durch die Wahl einer Oppositionspartei. In einem "populistischen Moment" wird diese Form der Zustimmung verweigert. Daher ist es verkürzt, den Populismus lediglich als pathologisch, als einen antimodernistischen Affekt zu denunzieren, wie dies in vielen der jüngeren Veröffentlichungen geschieht. Demgegenüber gilt es, das im Populismus zum Ausdruck kommende Unbehagen an der derzeitigen Demokratie ernst zu nehmen.


    Es ist in den vergangenen Jahren zu einer kosmopolitischen Überdehnung gekommen, die weniger demokratisch als liberal gewesen ist. Sowohl der ökonomische, als auch der politische und nicht zuletzt der kulturelle Kosmopolitismus haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten die westlichen Demokratien rapide verändert. Diese Veränderung ist auch das Ergebnis nicht intendierten sozialen Wandels, aber in großen Teilen ist sie durch politische Entscheidungen bewusst herbeigeführt worden. Wie auch immer man diese Veränderungen bewerten mag, konzedieren muss man wohl: ein beträchtlicher Teil der Bürger und Bürgerinnen lehnt sie ab. Für politische Ordnungen, die sich als Demokratien beschreiben, muss das zum Problem werden.

    Die vorherrschende liberale und deliberative Demokratietheorie verfügt indes nicht über die konzeptionellen Mittel, um auf die populistische Herausforderung zu reagieren. Sie begegnet dem Populismus bloß ablehnend und bestätigt ihn damit, und zwar, indem sie die populistische Politik als unterkomplex, unsachlich und irrational denunziert und ihr ein Politikmodell entgegenstellt, das sehr weit von den tatsächlichen politischen Praktiken entfernt ist und sich dadurch als Ideologie entlarvt.


    Ihr Politikmodell geht mit zwei Annahmen einher, die verstärkt als Fiktionen bewusst werden. Die erste Annahme ist die Fiktion der politischen Gleichheit, der zufolge in der Demokratie die Norm politischer Gleichheit nicht nur gelte, sondern auch realisiert sei. Die zweite Annahme ist die Fiktion der politischen Rationalität; sie besagt, dass politische Entscheidungen in der Demokratie vernünftig und sachlich gefällt werden. Beide Annahmen sind offenkundige Fiktionen, die die politische Wirklichkeit in westlichen Demokratien sehr verzerrt darstellen. Gleichwohl bilden sie das Fundament der vorherrschenden Theorie der Demokratie.


    Vor diesem Hintergrund deutet die liberale und deliberative Demokratietheorie den Populismus als unterkomplex und freiheitsgefährdend. Sie lässt sich geradezu als Antithese zum Populismus verstehen und viele Beiträge zum Populismus sind von ihr inspiriert. Infolge dessen bleiben sie bei einer moralischen Verurteilung stehen, tragen wenig zum Verständnis des Phänomens bei und machen sich selbst angreifbar. Ihre moralische Ausgrenzung des Populismus nach dem Motto "spiel nicht mit den Schmuddelkindern" bestätigt und intensiviert den Populismus sogar noch - vor allem, da diese Ausgrenzung selbst als eine sachliche und vernünftige maskiert wird.


    Damit wird zum einen die populistische gut/böse-Unterscheidung reproduziert; hier die guten Demokraten, dort die bösen Populisten; insofern ist der gegenwärtigen Demokratietheorie, aber auch der medialen Auseinandersetzung mit dem Populismus selbst, ein populistischer Zug eingeschrieben. Zum anderen werden dadurch populistische Reaktionsweisen zusätzlich verstärkt. Wenn man sich unter Bezug auf demokratische Werte in die Schmuddelecke gestellt sieht, als undemokratisch, schlecht, irrational, unsachlich usw. beschrieben wird, dürfte dies den Hass auf die liberale Demokratie und ihre Repräsentanten eher bestärken.


    Aber wie soll man auf den Populismus reagieren? Aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit des Populismus und seiner Offenheit für unterschiedliche Inhalte lassen sich zwar keine allgemeinen Aussagen über "den" Populismus in all seinen Ausprägungen treffen. Gleichwohl liegt dem gegenwärtigen Aufstieg des Populismus ein allgemeines Problem zugrunde. Er muss mithin als Indikator interpretiert werden, der die nachlassende Integrationskraft der westlichen Demokratie anzeigt. Und er sollte den Eliten als Warnung gelten, die Versprechen der Demokratie wieder ernster zu nehmen. Auf Seiten der Linken sollte er vor allem dazu führen, wieder stärker ökonomische und politische Herrschaft zu thematisieren.


    [Unterstreichungen und Fettungen von mir - Anm. Utan]

    ______________________________________________

    Dirk Jöhrke, Veith Selk: Populismus vestehen, Forum Wissenschaft 1/2017


    (Schamlos aus folgendem kurzen Zitat tatsächlich einen ganz guten Text extrahiert:)

    Populismus verstehen (bdwi.de)

    aus aktuellem anlass: "Dies führt in der sozialwissenschaftlichen Praxis zu einem Changieren zwischen wissenschaftlicher Analyse und normativer Polemik, die der Selbstvergewisserung als "gutem Demokraten" dient, der auf der richtigen Seite steht."

  • Zu sagen was ist, ist auch bei der Zusammensetzung des neuen Parteivorstands angebracht: Hierüber sind wir äußerst besorgt. Denn dieser spiegelt weder die Pluralität der Partei noch die realen Kräfteverhältnisse in der Partei adäquat wider.

    Der Parteivorstand wird nun Mal in einer Wahl durch die Delegierten der Kreisverbände und Arbeitsgemeinschaften gewählt. Das ist mE eine hohe demokratische Legitimation. Manche innerparteiliche Zusammenschlüsse wie die SL überschätzen gerne ihre Bedeutung. In der Regel vertreten die nur einen winzigen Bruchteil der Mitglieder. Der überwiegende Teil aller Mitglieder ist in gar keinem innerparteilichen Zusammenschluss oder einer Arbeitsgemeinschaft organisiert.

    warum begreift die linke aufstehen als etwas schlechtes, als etwas wofür parteimitglieder, die sich dafür engagieren bestraft werden?

    Aufstehen wurde von der Mehrheit der Parteimitglieder als Versuch begriffen, die demokratische Willensbildung innerhalb der Partei zu umgehen.

    Ihr müsst verstehen. Die Leute sind jahrelang Mitglieder, zahlen Beiträge, gehen zu den Versammlungen auch wenn es keinen Spaß macht. Und dann Gründen ein paar Funktionäre ihren eigenen Verein außerhalb der Partei und wollen darüber die Inhalte bestimmen. Das führt zu Unmut.

  • Und dann Gründen ein paar Funktionäre ihren eigenen Verein außerhalb der Partei und wollen darüber die Inhalte bestimmen. Das führt zu Unmut.

    Na ja. Bei Aufstehen wird, so weit ich weiß (bin da nicht involviert) eigentlich nicht von oben herab dekretiert, was die Inhalte sein sollen, sondern von den Mitgliedern in ihren Ortsverbänden.


    Das kann man auch so begreifen, dass hier auch für nicht-Parteimitglieder eine Plattform geschaffen werden sollte, auf der sie sich einbringen können. Und als Konkurrenz zur Linken war das sowieso nie gedacht, sondern als ein Weg mehr Leute für Linke Ideen zu bewegen.


    Hat natürlich nicht so wirklich funktioniert, aber der von der Parteiführung aktiv beförderte Groll gegen "ein paar Funktionäre" erscheint mir da eher die Motivation der Ablehnung zu sein, als die tatsächlichen Inhalte um die es dabei ging.

  • Ich spreche über demokratische Legitimation und dass Unbehagen der Parteimitglieder aufgrund von Einflussnahme und du postest mir ne Liste von Think Tanks?

  • Ich spreche über demokratische Legitimation und dass Unbehagen der Parteimitglieder aufgrund von Einflussnahme und du postest mir ne Liste von Think Tanks?

    Ja. Weil das gut zeigt, wie man sich mit dieser aus Unbehagen heraus getroffenen Entscheidung selbst der Möglichkeit beraubt über die Parteigrenzen hinaus zu wirken. Da gründen Leute einen linken Think Tank mit Potenzial und hoher Reichweite um linke Positionen populärer zu machen und die Parteisoldaten sehen das als feindlichen Akt und bestrafen die Mitstreiter.

    Es ist eigentlich unerklärlich, warum man sich so selbst entwaffnet und Befindlichkeiten über Inhalte stellt.

  • Sehe ich anders. Aufstehen wurde überhaupt erst wegen dem seit Jahren schwelendem Streit innerhalb der Linken gegründet um dann von außen die Programmatik und das Personal der Partei beeinflussen zu können.

    Parteien sind nunmal Mitgliederorganisationen. Ich persönlich erwarte von unseren Abgeordneten, dass sie Werbung für die Partei machen, nicht für ihren eigenen Verein. Für mich ist das kein Parteisoldatentum sondern die Basis von Parteiarbeit.

    Sonst brauchen wir die Partei nicht und machen zur nächsten Bundestagswahl einfach ne offene linke Liste.

  • Das kannst du natürlich sehen, wie du willst. Ich bin dir auch dankbar, dass du uns hier eine Innensicht mitteilst.

    Fakt ist jedoch, dass es in einer demokratischen Partei eigentlich völlig normal sein sollte, das Mitglieder auch über Parteigrenzen hinweg politisch agieren dürfen. Für den Rest gibt es ja gerade die innerparteilichen Prozesse und Beschlüsse. Wenn man es nicht mal erträgt, dass ein recht loses Bündnis, welches die Parteigrenzen aufbrechen sollte, existiert, dann frage ich mich hingegen, was diejenigen so treibt, die lieber ausgrenzen, anstatt sich konstruktiv einzubringen.

    Gewissermaßen verstärken deine Berichte meinen Eindruck, dass die Partei vor allem auf sich selbst und ihre Hierarchien fixiert ist, statt darauf, wie man Wähler für sich gewinnt.

  • Da gründen Leute einen linken Think Tank

    Sorry dass ich da noch mal pingelig werde, aber mit "thinktank" ist das eigentlich nicht so gut beschrieben. Da sollten ja eigentlich genau nicht irgendwelche altgedieneten FunktionärInnen und ExpertInnen zusammenkommen, die dann bei Parteien und Regierungen Lobbyismus für ihre Interessen machen, sondern eine Bewegung von unten, die auch parteiübergreifend zu mehr Vernetzung unter Linken, linken Grünen, linken SPDlern und sonstigen BürgerInnen führen sollte, die sich für linke Ideen begeistern und einsetzen wollen.


    Die Funktionäre und Prominenten, die sich da anfänglich dahinter geklemmt hatten sind ja ziemlich schnell wieder ausgestiegen und auch Frau Wagenknecht selbst hat sich recht bald zurück gezogen.

  • Das kannst du natürlich sehen, wie du willst. Ich bin dir auch dankbar, dass du uns hier eine Innensicht mitteilst.

    Fakt ist jedoch, dass es in einer demokratischen Partei eigentlich völlig normal sein sollte, das Mitglieder auch über Parteigrenzen hinweg politisch agieren dürfen. Für den Rest gibt es ja gerade die innerparteilichen Prozesse und Beschlüsse. Wenn man es nicht mal erträgt, dass ein recht loses Bündnis, welches die Parteigrenzen aufbrechen sollte, existiert, dann frage ich mich hingegen, was diejenigen so treibt, die lieber ausgrenzen, anstatt sich konstruktiv einzubringen.

    Gewissermaßen verstärken deine Berichte meinen Eindruck, dass die Partei vor allem auf sich selbst und ihre Hierarchien fixiert ist, statt darauf, wie man Wähler für sich gewinnt.

    yep, genau darauf zielte meine frage eigentlich ab. ich bin dankbar für den eindruck, den fernbedienung uns hier vermittelt, aber nicht unbedingt begeistert über das ergebnis. eine gute partei sollte offen sein, wachsen wollen, ein großes zelt sein. in der aktuellen debatte wirkt für mich vieles bei den linken so, als wäre das aus irgendeinem grund nicht so oder als wäre die vorstellung, wie dieses wählerwachstum erreicht wird reichlich naiv bis hochgradig fragwürdig.

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