#499 - Fabio de Masi (Die Linke) über Wirecard

  • Ich hab zB extra noch mal Katja Kippings Öffentlichkeitsarbeit der letzten Monate angeschaut. Da ist nix zu finden. Da gehts nur um Sozialpolitik.

    Das glaube ich sofort.


    Aber ich frage einfach mal ganz naiv: Warum verfängt das nicht in der öffentlichen Wahrnehmung? Warum ist Die Linke bei 9,2 Prozent und nicht bei 29?


    Finden die Leute soziale Gerechtigkeit doof, oder woran liegt's?

  • vor kurzem hab ich nen tweet von jemandem gesehen, die meinte wagenknecht hätte gute chancen auf ne kanzlerschaft wenn sie bei der nächsten wahl für die spd antreten würde. das kann man hier ja vielleicht auch noch mit in die diskussion einwerfen, weil ich das selber auch für gar nicht mal so abwegig halte. thoughts?

  • Das glaube ich sofort.


    Aber ich frage einfach mal ganz naiv: Warum verfängt das nicht in der öffentlichen Wahrnehmung? Warum ist Die Linke bei 9,2 Prozent und nicht bei 29?


    Finden die Leute soziale Gerechtigkeit doof, oder woran liegt's?

    Nö. Das lässt sich heuristisch eigentlich gut erklären. Laut Umfragen ist das größte Anliegen der AfD-Wähler wirtschaftliche Ungleichheit (Angst vor Arbeitslosigkeit usw.) und die Einwanderung von Flüchtlingen. Das erste ist also sehr stark verbunden mit dem zweiten, da die Wähler der AfD sich von dem Zustrom der Flüchtlingen eben in wirtschaftlicher Hinsicht bedroht fühlen. Eine Partei kann also gar nicht für Flüchtlinge und gleichzeitig für wirtschaftliche Gerechtigkeit sein. Das widerspricht sich, auch wenn die Realität dann anders aussieht.

  • vor kurzem hab ich nen tweet von jemandem gesehen, die meinte wagenknecht hätte gute chancen auf ne kanzlerschaft wenn sie bei der nächsten wahl für die spd antreten würde. das kann man hier ja vielleicht auch noch mit in die diskussion einwerfen, weil ich das selber auch für gar nicht mal so abwegig halte. thoughts?

    Denke ich auch, dass sie gute Chancen hätte. Sie trifft eben genau dieses Mittelding. Sie ist für wirtschaftliche Gerechtigkeit, spricht Klassenthemen an, ist aber nicht zu sehr für Flüchtlinge (aber auch nicht zu sehr dagegen). Das muss man mit einem Spagat machen. Auch wenn diese Taktik manchmal schon sehr offensichtlich ist, gerade bei ihrem neuen YouTube Kanal, wo man genau weiß, wer die Zielgruppe ist.

  • Die Grünen waren (oder sind?) eine Partei, die eben nicht wie eine Arbeiterpartei (wie die SPD), eine Partei die sich ursprünglich Klassenthemen gewidmet hat, sondern Wert auf kulturelle und individualistische Themen wie Umwelt, Anti-Krieg, Minderheitenrechte usw. legt.

    Da möchte ich nur entschieden widersprechen. Umwelt und Frieden sind alles andere als individualistische Themen. Beides betrifft die Grundpfleier dessen, was uns als Menschen ausmacht.

    Aber ich frage einfach mal ganz naiv: Warum verfängt das nicht in der öffentlichen Wahrnehmung? Warum ist Die Linke bei 9,2 Prozent und nicht bei 29?

    Die Antwort hat gadget dir gegeben

    aber dieser narrative bleiben halt dann natürlich auch vor allem deswegen hängen, weil leute wie kipping einfach nicht auffallen und man nichts mit ihnen verbindet und es gegnern dann natürlich auch leichter fällt, sie als etwas darzustellen, was sie gar nicht sind.

    Warum Politiker, die mit ihren Themen nicht auf Linie sind, in den hiesigen Medien kaum auftauchen müssen wir ja im ehemaligen Medienkritischer Podcast Forum nicht noch mal von Vorne aufdröseln.

    In Deutschland ist eine Partei die Auslandseinsätze ablehnt nun mal außenpolitisch Unzuverlässig. Eine Partei, die die Steuern erhöhen will wirtschaftsfeindlich usw usf...


    Und eine Partei die sich UNTER ANDEREM auch noch für Minderheitenrechte einsetzt ist dann halt SJW PC Gendergaga.


    Wir kennen das doch. In den Kommentarspalten von SPON und Welt kann man sich ansehen was das mit den Menschen macht. Die sind programmiert gegen ihre Interressen zu argumentieren.

    Umwelt und Sozialthemen zB haben ja eigentlich hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung.


    Wichtig ist, das wir selber nicht auch noch darauf reinfallen.

  • Institut solidarische Moderne ist ein Think Tank für Rot Rot Grüne Regierungsarbeit. Damals gegründet unter anderem von Axel Troost. Seinerseits für viele Jahre finanzpolitscher Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und durchaus renommierter Wirtschaftswissenschaflter.

    Um das Märchen, dass sich außer Fabio niemand um Finanzpolitik kümmern würde auch gleich abzuräumen.

  • Da möchte ich nur entschieden widersprechen. Umwelt und Frieden sind alles andere als individualistische Themen. Beides betrifft die Grundpfleier dessen, was uns als Menschen ausmacht.

    Ja diese Themen überlagern sich irgendwo natürlich alle. Der Unterschied ist aber, dass der Schwerpunkt nicht auf der materiellen Verbesserung der Lebensumstände der Lohnarbeiter liegt. Ob Homosexuelle heiraten können oder nicht, ändert in keinem Fall etwas daran, ob homosexuelle Lohnarbeiter ausgebeutet, einen zu geringen Lohn oder schlechte Arbeitsbedingungen haben. Es interessiert auch das Kapital nicht, ob der CEO jetzt schwarz, lesbisch oder ein transsexueller Mensch ist, solange er Profit macht. Diese eher kulturellen Themen sind klassenneutral und deswegen werden sie auch von Unternehmen als Propaganda von "corporate social responsibility" benutzt. Eine klassische frühere Auffassung von Linken war, dass sich mit dem Umwurf des Kapitalismus alle anderen Probleme erledigen werden, weil Kapitalismus eben eine Totalität ist, die alle Lebensbereiche, besonders die Ökonomischen, betrifft. Die ökonomischen Lebensbereiche sind bei genuiner linker Politik im Fokus, weil der Kapitalismus eben in diesen Bereich eingreift und zu Anreizstrukturen führt, die ein destruktives Verhalten fördern. Wenn ich mich nicht täglich am Arbeitsplatz einer fremden Macht, meinem Chef, unterwerfe, werde ich eben verhungern, und deswegen nehmen Leute auch z. B. Job an, die sie vielleicht gar nicht machen wollen. Exxxon Mobile zerstört die Erde, weil das Unternehmen ansonsten nicht mehr der Markt als Monopol kontrolliert usw. Alles Anreizstrukturen, die mit Klassenstrukturen zu tun haben. Ich hoffe, dass war jetzt nicht zu schwurbelig oder schon für den ein oder anderen offensichtlicht, sry.

  • @Fernbedingung Naja, ganz unbekannt ist Kipping ja auch nicht. Sie war glaube ich einer der ersten, die in De für ein BGE geworben haben. Aber ansonsten stimme ich zu, dass die Medien im Framing natürlich ne große Rolle spielen.

  • @Fernbedingung Wieso hat denn deiner Meinung nach, Wagenknecht so hohe Zustimmungswerte oder eine hohe Beliebtheit, obwohl die Linkspartei so wenige Wähler hat? Ich würde trotzdem nicht alles auf die Medien abwälzen.

  • Erstmal kann ich dem CEO natürlich keinen Vorwurf machen, wenn er sich in seiner Firma für ein gleichberechtigtes Miteinander einsetzt. Wenn das am Ende tatsächlich so gelebt wird, dass ich als Mann in Frauenkleidern trotzdem das Bewerbungsgespräch für die Stelle im Außendienst einer Lebensversicherung für mich entscheiden kann, ist das cool. Die Realität sieht wahrscheinlich anders aus.

    Wenn ich allerdings Didier Eribon richtig verstehe, dann stößt er in seiner Heimat, innerhalb seiner eigenen Klasse auf Ablehnung. Und da finde ich als Sozialist mit Arbeiterklassehintergrund, Aufgabe meiner sozialistischen Partei kann nicht bloß die Durchsetzung meiner Interessen gegenüber dem Kapital sein, meine Partei soll bitte auch in meine Klasse hineinwirken und die Missstände abstellen, die zu einer Entfremdung von Familienmitgliedern führen. Ich denke nicht, dass die Nebenwidersprüche sich von alleine in Wohlgefallen auflösen wenn man nur fest genug den Grundwiderspruch beackert.

  • Ich erkenne ohne umschweife an, dass Sahra Wagenknecht unheimlich beliebt ist. Sie ist eloquent und telegen. Außerdem hat sie ein Gespür für das, was Menschen hören wollen. Deswegen funktioniert sie auch auf Live Veranstaltungen so gut.

    Sie war übigens noch gar nicht so beliebt in der Öffentlichkeit, als sie noch Teil der kommunistischen Plattform in der PDS war. So viel Spaß versteht die Öffentlichkeit dann doch nicht. Und mit Sahra in verantwortlicher Position hat die Linke auch nie überragende Ergebnisse geholt. Böswillig könnte man sagen, seit Sahra dabei ist sind die Ergebnisse schlechter geworden.


    Persönlich habe ich Sahra aber seit 15 Jahren als einen permanenten Unruheherd in meiner eigenen politischen Organisation erlebt. Und zwar auch dann, wenn Unruhe gerade nicht angesagt war. Sie hat sich da nie im Sinne der Partei zurück genommen. Ich sag mal so. Sahra ist sicher eine gute Sprinterin, aber Staffel kann man mit ihr nicht laufen.

  • Wir kennen das doch. In den Kommentarspalten von SPON und Welt kann man sich ansehen was das mit den Menschen macht. Die sind programmiert gegen ihre Interressen zu argumentieren.

    Umwelt und Sozialthemen zB haben ja eigentlich hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung.

    Aber genau darum geht's doch. Um die öffentliche Wahrnehmung und die kognitive Dissonanz die damit einher geht und Leute dazu veranlasst, alle paar Jahre mal ein Kreuzchen bei Parteien zu machen, die alles versprechen, nur keine allzu radikalen Änderungen der herrschenden Verhältnisse unter denen die WählerInnen zu leiden haben - mit Ausnahme der AfD. Die haben sich sehr erfolgreich als Anti-Establishment-Partei verkauft und damit Die Linke von der Oppositionsführerschaft verdrängt - und dass, obwohl sie eigentlich eine absolut pro-kapitalistische, im Wirtschaftsflügel noch neoliberalere Partei als die fdP ist, und im anderen "Flügel" mit sozialdarwinistischen Marktradikalen sympathisiert, die TransferleistungsempfängerInnen das Wahlrecht entziehen wollen.


    Die ganze Diskussion um Wagenknecht haben wir damals ja schon recht ausführlich im alten Forum durchgekaut. Wenn man sich da mal die Redebeiträge ihrer vehementesten GegenerInnen auf dem Parteitag zu Gemüte führte - und das war, jedenfalls auf offener Bühne gar nicht Katja Kipping, sondern vor allem auch Leute aus den Landesverbänden - konte man feststellen, dass es dabei eigentlich nie um Fragen der Systemkritik oder der sozialen Gerechtigkeit ging, sondern vor allem um Interpretationen irgendwelcher fragwürdiger Aussagen Wagenknechts zur damals noch wesentlich akuteren VerwaltungsFlüchtlings-"Krise".


    Dabei war ganz eindeutig zu bemerken, dass sich jene Aussagen offenbar - je nach Lagerzugehörigkeit - sehr gegensätzlich interpretieren liessen, und dass man auf Seiten jener Parteimitglieder - und ihnen nahestehnder AktivistInnen - welche ich als "identitäre" Linke bezeichne, und denen Wagenknecht und ihre UnterstützerInnen, zu denen auch Fabio de Masi gehörte, schon länger ein Dorn im Auge waren, bei der Interpretation offenbar grundsätzlich davon ausging, das Wagenknecht keinerlei Skrupel habe, sich rechten Gedankengutes zu bedienen, bzw. es gar zu befördern, um am rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen, und sich dann aus ihren diversen Aussagen dazu immer nur jene Teile aus dem jeweiligen Kontext heraus extrahierte, die sich oberflächlich dazu eigneten, das bereits gefällte Urteil zu bestätigen. Da wurde nichts differenziert und sehr viel Stroh aufgebaut, gegen das man dann feurige antifaschistische Plädoyers halten konnte.


    Was man nicht nur dort sondern generell in linken Diskursen leider in den letzten Jahren - zumindest in der generellen Tendenz - bemerken kann, ist eine Verlagerung des Diskurses weg von der radikalen Kapitalismuskritik - bis hin zu einer teilweise erchreckenden Unkenntnis der klassischen Analysen dazu - zu einer moralischen Empörungshaltung gegenüber all jenen, die man als nicht dem eigenen Lager zugehörig empfindet.


    Es wird nicht mehr versucht, Phänomene wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homo-, Trans-, oder Ausländerphobie auf den gesellschaftlichen Grund zu gehen, sondern es werden immer häufiger auch explizit Linke, die sich nicht aktiv und permanent bei jeder Gelegenheit als entschiedene GegnerInnen solcherlei gesellschaftlicher Diskriminierung identifizieren, als zumindest fragwürdig, bzw. "problematisch" angesehen und dazu aufgefordert, sich ihrer Privilegien mal ein bisschen bewusster zu werden.

    Das ist leider auch kein amerikanisches oder "angelsächsisches" Phänomen mehr, sondern es ist - vor allem durch die globale Vernetzung auf social media - mittlerweile auch in Europa und in Deutschland angekommen.


    Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass der weitaus größere Teil davon eigentlich nur lauwarme Lippenbekenntnis ist, die einfach eingeübt wird, weil man der Ansicht ist, dass die Konvention der eigenen "linken" Gruppe es eben so verlangt, und weil man sich nicht ausgeschlossen fühlen möchte, wenn man sich gegen jene Konvention wendet. Auch der tatsächliche Aktivismus diesbezüglich hält sich - jenseits der gelegentlich zum Trend hochempörten twitter-hashtags - sehr in Grenzen.

    Man bräuchte darüber also eigentlich gar nicht groß zu diskutieren, zumal es ja ohnehin hauptsächlich in links- und grünliberalen bildungsbürgerlichen Kreisen überhaupt ein Thema ist, sich also auf eine doch recht überschaubare, und im Vergleich zur restlichen Bevölkerung geradezu winzige Zahl von MitbürgerInnen beschränkt.


    Aber leider hat die rechte Gegenseite - wie hier ja schon völlig richtig festgestellt wurde - linke Identitätspolitik als genau die Schwachstelle gefunden, die sie völlig problemlos angreifen, und ihrerseits über jedes Maß als großen Antagonismus in die öffentliche Wahrnehming hochempören kann, ohne dass dabei irgendwer über ökonomische Verteilungsfragen oder gar über die systemischen Ursachen für die derzeitige ungerechte Primärverteilung diskutieren müsste.

    Und auch dem zentristisch-neoliberalen Lager - welches sich vom Wirtschaftsflügel der AfD bis zum "Realo"- Flügel der Grünen erstreckt - kommt es natürlich mehr als gelegen, wenn Linke - in der öffentlichen Wahrnehmung! - nicht mehr als radikale KritikerInnen der dem Neoliberalismus als unverzichtbare Grundlage dienenden kapitalistischen Marktwirtschaft wahrgenommen werden, sondern als hauptsächlich mit - von der Ökonomie weitgehend losgelösten - Fragen der individuellen und Gruppen-Identität der Marktsubjekte beschäftigte AktivistInnen, die man realtiv leicht damit zufrieden stelllen kann, dass man z.B. Berliner U-Bahnstationen ihrer rassistischen Namensgebung entledigt, eine Frauenquote für das gehobene Management unterstützt, oder die Aufnahme von Geflüchteten fordert, die dann als Feigenblatt vor den eigentlichen, untrennbar mit der global-ökonomischen Fehlverteilung verbundenen Fluchtursachen getragen werden können.


    Dabei hilft den Gegnern der Linken - ob von konservativer bis völkisch-rechter, oder von ökonomisch-neoliberaler Seite - die eigentlich vollkommen absurde Tatsache, dass das absolut kommerzielle Konzernpodukt "social" media heute selbst dann gesellschaftliche Diskurse bestimmt, wenn sich auf der eigentlichen Plattform nur ein paar hundert Leute wirklich aktiv daran beteiligen, weil diese Plattformen eben - wie ich an anderer Stelle schon mehrfach in länglicher Ausführung versucht habe darzustellen - als Meinungsverstärker dienen, und dabei Meinungsstarke "InfluencerInnen" heranzüchten, über die sich sehr schnell auch traditionelle Medien und damit die breite Öffentlichkeit erreichen und in solche Diskurse verstricken lassen.


    Auch hier machen sich Linke, die sich auf diese Art regelmäßig gegenseitig ihrer Gruppenzugehörigkeit zum "richtigen" Lager versichern, nicht nur zu leicht zu treffenden Zielscheiben ihrer schärfsten GegenerInnen, sondern sie bedienen dabei auch noch einen absolut kapitalistischen Überwachungs- und Meinungsmanipulationsmonopolismus, welcher obendrein von den mit irrwitzigen Propagandabudgets und mit ganzen Armeen angeheuerter social media ExpertInnen für green-, pink- und wokewashing aller Art ausgestatteten SystemverteidigerInnen um Größenordnungen effizienter bedient werden kann, als von einer lose organisierten gesellschaftlichen Linken, die bundespolitisch und in ihren finanziellen Möglichkeiten ohnehin schon viel marginalisierter ist, als sie es sich selbst eingestehen will - bzw. als sie es sich selbst vormacht, wenn sie mal wieder erfolgreich einen twitter-Hashtag für ein paar Stunden zum trenden gebracht hat.


    Dabei wäre eigentlich genau die Verbindung ökonomischer - sprich: materieller - Fragen mit den darauf aufbauenden gesellschaftlichen Phänomenen, zu denen eben auch Rassimsus, Sexismus und generelle Intoleranz gegenüber als nicht-konform und nicht-verwertbar wahrgenommenen Minderheiten gehören, die primäre Aufgabe der Linken und eben auch ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich von "Links"-liberalen Grünen absetzen könnten, denen soziale Gerechtigkeit allenfalls dann in den Sinn kommt, wenn sie sich gut als Ausweis der eigenen humanistischen Aufgeklärtheit verkaufen lässt.


    Wenn ich gewisse - und leider besonders lautstarke - Teile der Linken (also nicht nur der Partei!) als "identitär" bezeichne, dann meine ich damit im Übrigen nicht, dass identitätspolitik in allen Aspekten nur die berühmten "Nebenwidersprüche" behandele und daher gegenüber dem eigentlichen "Hauptwiderspruch" komplett zu vernachlässigen sei. Natürlich verselbständigen sich Ressentiments durch soziale Prägung und sie können nicht einfach dadurch in Luft aufgelöst werden, dass man nicht mehr öffentlich über sie redet.


    Ich meine damit eher, dass sich heutige Linke zu oft in ihrer eigenen linken Identität einigeln und gegenüber anderen Teilen der Gesellschaft in einer intellektuellen Wagenburg verschanzen, weil es natürlich sehr schwierig und mühsam ist, gegen die von der Gegenseite als quasi-naturgegebenen dargestellten Gesetzmäßigkeiten und inneren Logiken der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft zu argumentieren - wozu man dann leider erst mal einen theoretischen Apparat aufbauen muss, um zu erklären, warum kapitalistische Ökonomik eigentlich magisches Denken ist, obwohl sie uns doch täglich mit harten Datensätzen als die reine Faktenlehre verkauft wird.

    Einfacher, und mit unmittlebarer Bestätigung in der eigenen Bubble oder im Aktivist*innen-Netzwerk belohnt, ist es hingegen Antisemitismus, Rassimus, Sexismus, das Patriarchat, Homo-, Trans- und sonstige -Phopien, anzuprangern - also einfach generell "gegen Rechts" zu sein, bzw. gegen das, worauf sich alle aufrechten BürgerInnen der liberalen und "offenen Gesellschaft" als grundsätzlich nicht zu tolerierendes, weil "faschistoides" und somit schon rein historisch zutiefst unmoralisches Unwesen einigen können.


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    Die Ironie des Ganzen liegt darin, dass dem eine fast schon naive Haltung gegenüber jener "offenen Gesellschaft" (und ihrer Feinde) zugrunde liegt, deren TrägerInnen offenbar davon ausgehen, dass es sich bei der unserigen tatsächlich um eine solche handele, und nicht um eine, von Anfang an in ein mit dem ganzen liberalen Humanismus der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten in äußerstem Widerspruch stehendes, und zutiefst autoritäres Verhältnis zwischen Ohnmacht und Macht, zwischen Arbeit und Kapital, gezwungene Gesellschaft, in welcher Macht über - oder gegen - benachteiligte Gruppen und Minderheiten vor allem deshalb ausgeübt wird, weil diese Gesellschaft kein grundsätzliches Problem damit hat, dass überhaupt permanente Macht von Menschen über andere Menschen ausgeübt werden kann, so lange die Mächtigen dabei nur der bürgerlichen Moral ausreichend Rechnung tragen, und weil sie das grundsätzliche Vorhandensein solcher Machverhältnisse - ganz im Gegenteil - sogar als quasi naturgegeben hinnimmt.


    Damit folgen dann Linke letztendlich genau jener durch die herrschende Klasse und ihre herrschenden Gedanken geschaffenen ideologischen Erzählung, die zu Bekämpfen sich Linke schon zu Marx' & Engels' Zeiten eigentlich mal zur Aufgabe gemacht hatten und die - wenn überhaupt - nur besiegt werden kann, wenn sich das gesellschaftliche Bewusstsein von der Vorstellung löst, dass ungerechte, diskriminierende Machtverhältnisse alleine auf der Schlechtigkeit der Mächtigen aufgebaut seien, und nicht auf dem gesellschaftlich akkumulierten Kapital, das ihnen ihre Macht verleiht.

  • Identitätspolitik ist das Einfallstor für die Spaltung linker Bewegung schlechthin. Es ist deshalb so perfide, weil es vorgibt, Gerechtigkeit zu fördern, gleichzeitig aber immer einen Angriff auf den Gemeinsinn darstellt und als Spaltaxt auf so vielen elementaren Ebenen andocken kann: Ethnie, Geschlecht, Religion, Sprache... Es ist damit das Werkzeug ist um den eigentlichen Kampf Arm gegen Reich schnell, zuverlässig und nachhaltig abzuwürgen - quasi das Schmerzmittel des Neoliberalismus - sobald es anfängt irgendwo weh zu tun.


    So weit, so ermüdend und so unüberraschend die genau gar nicht so erstaunliche Bereitschaft neoliberaler Kreise, solche Themen propagandawirksam zu thematisieren, ggf überzuerfüllen aber auf jeden Fall im Diskurs zu halten - Dummheit im AgitPropWar kann man denen ganz schlecht vorwerfen. Und so kommen die angesprochenen Forenbewohner von SPON, Zeit, Welt & Co ganz von allein und ohne grosse Hilfe zum Schluss, dass die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit weit besser weit rechts der Mitte geparkt werden muss, denn links ist ja nur und ausschliesslich und völlig ausgelastet mit SJW & GenderGaGa oder was man sonst noch der Linken anzuhängen gedenkt.


    Aber grämt euch nicht, denn die Linke hat gegen diese AgitProp im medial unfreundlichen Umfeldwirksame Massnahmen ergriffen und Wagenknecht abgeräumt plus den fähigen und anschlussfähigen Politiker de Masi mit Personalquerelen zum Ausstieg bewegt.


    Vorwärts!

  • Ich möchte davor warnen, einen Strohmann aufzubauen. Die Gegenposition zum linken Populismus, und sei er auch in Utans Sinne so vernünftig wie nur möglich gedacht, muss doch nicht das sein, was hier linke Identitätspolitik genannt wird.


    Gerade De Masis Parteinahme für Wagenknechts Ablehnung der Forderung nach offenen Grenzen bringt die fatale Tendenz der ‚Realpolitik‘ so klar wie noch nie zum Vorschein, denn in diesem Fall geht es nicht um eine schon selbst diskutable Sachfrage, sondern um die elementarste moralische Forderung, die es überhaupt geben kann: Die unmittelbare Nothilfe.


    Wer sich die Forderung nach offenen Grenzen durch vermeintliche politische Opportunität selbst verbietet, wer also im Bemühen, die Wahlergebnisse zu verbessern, von der Forderung absieht, dass keine Menschen durch die Schließung von Grenzen zu Tode kommen dürfen – was könnte man sich denken, das er oder sie nicht mitmacht, um Ziele zu erreichen, die doch bei jedem Schritt dorthin verraten werden? Und sind die Geschichten von SPD und Grünen unter der Ägide der ‚Realpolitiker*innen‘ nicht lehrreiches Beispiel? Sind Agenda 2010 und Kosovokrieg nicht genug? Muss es auch noch die Festung Europa sein?


    Kann ich diese Kritik wirklich nur üben, wenn ich mich bloß damit beschäftige, zu meiner eigenen kleinen ‚GenderGaga‘-Gruppe zu gehören?


    Mir scheint eher, dass Befürworter*innen jenes linken Populismus es sich auf diese Weise leicht machen, während sie sich doch eher der Kritik stellen sollten, die, vom empirsch zu konstatierenden Bankrott der ‚Realpolitik‘ ausgehend, das Problem theoretisch formulieren.


    Es gibt keine Weisheit der einfachen Leute. Gäbe es sie, würde die Resonanz auf linke Politik, und zwar gerade auf die direkte, kommunale, sich in viel besseren Wahlergebnissen der Linken niederschlagen müssen.


    Die traurige Wahrheit ist, dass die Anatomie der kapitalistischen Gesellschaft besonders in Hinblick auf die geistige Korruption der Menschen nicht einfach ist. In Bildzeitungssprache ist da schlechthin nichts zu machen.


    Wer hier widersprechen will, den bitte ich um Folgendes: Bitte erkläre die sechste Feuerbachthese* so, dass jemand, die oder der heute AfD wählt, versteht, um was es geht, und vor allem einsieht, dass jene These stimmen könnte. Ich bin gespannt.



    *Ich beziehe mich auf folgenden Passus: „… das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“(MEW 3, S.6)





    p. s.: Ich habe mir übrigens die Diskussion um Wagenknecht auf dem Parteitag der Linken 2018 angesehen. De Masi war so ziemlich der Arroganteste und Aggressivste von allen

    (zum Ende hin).

  • Es gibt keine Weisheit der einfachen Leute. Gäbe es sie, würde die Resonanz auf linke Politik, und zwar gerade auf die direkte, kommunale, sich in viel besseren Wahlergebnissen der Linken niederschlagen müssen.


    Die traurige Wahrheit ist, dass die Anatomie der kapitalistischen Gesellschaft besonders in Hinblick auf die geistige Korruption der Menschen nicht einfach ist. In Bildzeitungssprache ist da schlechthin nichts zu machen.

    Ich glaube nicht, dass man mit derartiger Überheblichkeit politisch einen Blumentopf gewinnen kann.

    Kein Widerspruch, nur eine Anmerkung weil mir die Lust zu Feuerbach heute abgeht.


    Sollte mir jemand widersprechen wollen, soll er bitte das Bilderrätsel zur Gruppentheorie lösen welches JckProtoRogge1.1 am Stammtisch gestellt hat.

  • Ich habe mir übrigens die Diskussion um Wagenknecht auf dem Parteitag der Linken 2018 angesehen. De Masi war so ziemlich der Arroganteste und Aggressivste von allen

    (zum Ende hin).

    Ich finde es fast ein bisschen kurios, dass Du hier mit den Feuerbachthesen ankommst. Normalerweise bin ich derjenige, der hier ständig die deutsche ideologie rauf und runter zitiert, um zu erklären, wie ich das mit dem Sein und dem davon bestimmten/geprägten Bewusstsein meine. Ich habe auch im alten Forum schon in länglicher Ausführung zu schildern versucht, warum die "Weisheit der einfachen Leute" eben nicht die selbe Weisheit ist, wie die der theoretisch gebildeten Linken, sondern eine, die sich eben gerade dort - in den weniger sozial- und geistsewissenschaftlich gebildeten Schichten - nicht einfach mit klugen Vorträgen, moralischen Apellen, oder eben den berüchtigten "dicken Büchern" auf Linie mit den eigenen humanistischen Idealen bringen lässt.


    Genau darin liegt das Problem des linken Populismus. Er muss - ganz anders als der rechte Populismus, dem es genügt ein möglichst leicht anzugreifendes Feindbild zu produzieren und sich dann als aufrechte Verteidigung dagegen zu positionieren - einen Weg finden, die Erkenntnisse die die Linke Kapitalismus- und Ideologiekritik auszeichnen so an die "einfachen Leute" zu bringen, dass sie sich dabei nicht bevormundet und herabgesetzt fühlen.


    Genau das ist für mich die - natürlich medienwirksam verinfachte - Essenz der Rede von de Masi, die Du da verlinkt hast. Sie endet übrigens mit dem Aufruf, sich genau nicht in Haltungsdiskussionen zu verlieren, weil das den Menschen die im Mittelmeer ertrinken absolut nichts hilft.


    Es ist wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich man das offenbar interpretieren kann.

    Ich weiß allerdings nicht wie ich noch klarer machen soll, warum ich das so komplett anders sehe als Du, obwohl wir unsere Ansichten offenbar im Grunde auf der selben Theoretischen Grundlage aufbauen.

  • Feuerbachthese oder Einstein.

    Das ist hier die Frage.

    Letzterer sagte, wenn man Sachen nicht so erklären kann, dass es auch ein 6 jähriger versteht hat man es selbst nicht kapiert.

    Find ich sympathisch und zutreffend.

    die einfachsten wahrheiten sind es gerade, auf die der mensch immer erst am spätesten kommt :)

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