In der Wissenschaft wird das natürlich diskutiert. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat aus praktischen Gründen vermutlich eher sowas wie klinische Virologie bekommen anstatt Evolutionsvirologie. Ich habe dich so verstanden, dass du darauf hinaus wolltest, dass Interventionen zwangsläufig auf gefährlichere Varianten von SARS-CoV-2 selektieren werden. In der Pauschalität kann man das meines Erachtens nicht sagen. Aber wie gesagt, eine Anpassung findet statt. Das heißt bestimmte Interventionen werden auf bestimmte Eigenschaften des Virus selektieren und das können durchaus schädliche sein. (Wobei sich auch immer die Frage stellt, wie abdeckend solche Interventionen sind und auch wie nachhaltig sie angewendet werden: Wenn jetzt Maskenpflicht besteht, aber jede fünfte Person hat die Nase nicht unter der Maske, ist dann der Fitness-Vorteil einer besseren Übertragung im Aerosol noch so groß? Sowas wie superspreading-Ereignisse sind zufällig verteilt. Ein Virus, dem der Vorteil fehlt, kann möglicherweise allein durch Zufall die Verbreitung der Variante mit dem Vorteil unter solchen Bedingungen schlagen.)
Nein, ich wollte nicht darauf hinaus, dass wir auf gefährlichere, sondern möglicherweise auf übertragbare Varianten selektieren und das in Bezug auf bekannte aber vielleicht auch unbekannte Übertragungseigenschaften. Sollte Dir zu dieser Thematik irgendwo ein Paper oder etwas auch nur annähernd öffentlich zugängliches über den Weg laufen, bitte melden.
Es gibt sogar die Idee, dass man das Vorgehen gegen Evolution unterliegende Pathogene so designen sollte, dass man sie sozusagen domestiziert. Also auf Charakteristika selektiert, die ihre Gefährlichkeit herabsetzen. Hier ist zum Beispiel für SARS-CoV-2 eine theoretische Arbeit, die sich unter anderem damit beschäftigt, ob man die Evolution des Virus durch bestimmte Maßnahmen vielleicht in Richtung von mehr asymptomatischen Verläufen drängen kann (wobei es den Autoren darum geht das zu vermeiden):
Superinteressant. Grundsätzlich vielleicht auch bei den hiesigen Modellierern angekommen diese Gedanken? Zumindest habe ich den Eindruck, dass auch die hiesigen Maßnahmen sich immer weniger am "Wert" an sich orientieren.
Also mit der Möglichkeit hast du vom Grundsatz schon recht. Insofern sollte man nicht-pharmazeutische Maßnahmen in ihrer selektionstreibenden Wirkung verstehen. Ich denke, es gilt dennoch als nachgeordnete Baustelle, mit Ausnahme eben der Immunität, wo man das Wettrüsten zwischen Immunsystem und Viren schon gut versteht. Kann man auch daran sehen, dass viele Virologen skeptisch gegenüber den Behauptungen höherer Übertragbarkeit der verschiedenen neuen variants of concern waren oder sind. Also mein Eindruck ist dieser behauptete Sprung war ein unknown unknown.
Nachgeordnete Baustelle oder nicht, es muss doch irgendwo mal jemand außer uns hier drüber gesprochen haben oder? Immunität ja, ist ein ähnliches Thema, hoffentlich entwickeln sich unsere superneuen Designimpfstoffe nicht im Sinne eines "Du-hast-dein-Antibiotikum-nicht-zu-Ende-genommen"-Effektes...
VlG