Rechtspopulismus - Keine Ursachenforschung?

  • Moin!


    Erstmal danke dafür, dass es diese Diskussionsplattform gibt. Ich hatte erst überlegt mich mit dem Thema für die Hans Jessen Show zu bewerben, letztlich habe ich mich aber doch dazu entschlossen lieber einen Thread zu schreiben.


    Ich versuche mal ein Thema zusammen zu fassen, das mich in letzter Zeit immer wieder beschäftigt:

    Die AfD ist derzeit bis auf Zersetzungstendenzen kein großes Medienthema (mehr), wir kommen aber in ein Wahljahr und die AfD wird vermutlich wieder in mehrere Parlamente einziehen. Etliche Mediensendungen arbeiten sich an Trump ab, thematisieren Lügen, irre Wahlfälschungsvorwürfe etc.



    Was mir persönlich fehlt, und was ich bedenklich bis gefährlich finde: Sowohl bei Trump, als auch bei der AfD arbeiten sich die Medien m.E. an einer Symptomatik ab. Das Wählerpotential, also die eigentliche Ursache für entsprechende Auswüchse scheint nur wenig betrachtet zu werden - woran aber liegt das, oder erlebe ich dies nur falsch?

    Die Probleme mit der sogenannten Alternative könnten mit der Zeit verschwinden, die USA sind für mich aber eine Warnung, wo ein scheinbar verwirrter Politiker bzw. Medienstar 40-45% der Stimmen geholt hat. Natürlich kann es sich in vielen Fällen auch um konservative Wähler gehandelt haben, die ihr Kreuzchen traditionell traditionell bei dieser Partei machen, egal wer dort kandidiert. Mich verlässt das Gefühl aber nicht, dass es sich in beiden Fällen nur um geschickte Opportunisten handelt, die eine Situation bzw. Entwicklung geschickt auszunutzen wissen.


    Das verleitet mich zu ein paar Thesen:

    - In beiden Fällen, also USA und Deutschland handelt es sich jeweils nur um Opportunisten, die eine existierende, gesellschaftliche Entwicklung geschickt ausnutzen. Ohne eine Gegenentwicklung oder Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung kann das Wählerpotential auch hierzulande weiter steigen. Die nächsten Rattenfänger warten schon, dort und hierzulande.

    - Die eigentlichen Ursachen werden möglicherweise aufgrund der Komplexität nicht thematisiert, da hier möglicherweise die Systemfrage gestellt werden muss: Ich finde es auffällig, das Hochburgen einerseits gerne wirtschaftlich abgehängt sind und gerne einen gescheiterten Strukturwandel hinter sich haben (De-Industrialisierung bzw. gescheiterte Elemente der Wiedervereinigung, je nachdem ob man nach Ost oder West schaut). Dies führt mich zu einer noch extremeren These: Das beste Mittel gegen Xenophobie und Ablehnung von sozialem Liberalismus (ich spreche bewusst nicht von wirtschaftlichem) ist die Zufriedenheit mit der eigenen Situation und dem eigenen Lebensumfeld - mal von absoluten Überzeugungstätern abgesehen, die ich aber sowohl bei Protestwählern im AfD/Trump-Umfeld eher in der Minderheit vermute.

    Zusammengefasst: Wenn es mir selber gut geht und ich eine Zukunft für mich sehe, ist mir im positiven Sinne egal, was die anderen machen?


    Die soziale Frage, die ich insbesondere mit der zweiten Frage verbinde wird sich bei zunehmender Wegdigitalisierung von gut bezahlten Tätigkeiten für Geringqualifizierte aber m.E. vielleicht erst noch in ungeahntem Ausmaß stellen. Die Kanzlerin scheint ja der Meinung zu sein, dass dann halt jeder Programmierer oder Ingenieur werden muss, wenn Einzelhandel, Waren- und Personentransport sowie industrielle Produktion nur noch von ein paar Personen erbracht werden, die das korrekte funktionieren der entsprechenden Systeme und Maschinen steuern. Eine Offensive in der Bildungspolitik (deutlich mehr Geld für Personal, Infrastruktur und Lehrmittel) um dieses Ziel zu erreichen, kann ich beim besten Willen leider nicht erkennen - schlittern wir also ungebremst in einen Strukturwandel, dessen Ausmaß das Ende der Montanindustrie bzw. die Abwicklung Ostdeutschlands durch die Treuhand deutlich übertreffen könnte - mit noch mehr abgehängten Protestwählern?



    Okay, zuerst einmal sorry für den zu langen Text, danke an jeden der noch mitliest.


    Um zu meiner Frage zurückzukommen: Findet die Ursachenforschung für zunehmendes Protestwählertum im öffentlichen, vor allem dem Mediendiskurs nicht statt, oder habe ich das nur verpennt? Weil es einfach viel leichter ist sich mit Auswüchsen, als mit den Ursachen zu befassen?

    Hier wäre ich an Feedback interessiert, auch, ob ich mich mit meinem Gedankenspiel völlig auf dem Holzweg befinde.


    Dank & Gruß,


    Niklas

  • Die Auswüchse und Ursachen lassen sich schon in die Adenauer zeit zurückführen. Es war nie im Interesse der Konservativen die NS Geschichte aufzuarbeiten und zu bekämpfen. Die AFD ist nur das Resultat einer über jahrzehntelang misslungener antifaschistische Politik



    Mit Adenauers Ehrenerklärung ging es los.

    https://podcasts.apple.com/de/…114041982?i=1000505637831


    will sagen.. nazis hatten auch vor der afd politiker die ihre interessen im bundestag oder kanzleramt vertreten haben. auch heute noch. wenn söder von der corona raf redet... spricht er genau diese an.

    wo ist der unterschied zwischen werteunion und afd?

  • Findet die Ursachenforschung für zunehmendes Protestwählertum im öffentlichen, vor allem dem Mediendiskurs nicht statt, oder habe ich das nur verpennt?


    Klare Zustimmung von mir zunächst mal.


    Oberflächlich ("Globalisierungsverlierer") allerdings schon. Dummerweise scheint die fortschreitende Globalisierung mit ihren Risiken und Nebenwirkungen allerdings alternativlos zu sein und der Mainstream muss gerade ganz schön kämpfen um sie in geordnete Bahnen zu bringen. Da fehlt es gerade noch, dass man durch Ursachenforschung vielleicht noch auf den Trichter kommt, dass wir - in welcher Art und Weise auch immer - in grundsätzlicherer Art auf dem falschen Pfad sind.


    Zitat von NiklasDO

    Die Kanzlerin scheint ja der Meinung zu sein, dass dann halt jeder Programmierer oder Ingenieur werden muss, wenn Einzelhandel, Waren- und Personentransport sowie industrielle Produktion nur noch von ein paar Personen erbracht werden, die das korrekte funktionieren der entsprechenden Systeme und Maschinen steuern. Eine Offensive in der Bildungspolitik (deutlich mehr Geld für Personal, Infrastruktur und Lehrmittel) um dieses Ziel zu erreichen, kann ich beim besten Willen leider nicht erkennen [...]



    Hierauf einzugehen droht etwas Off Topic zu werden, aber dennoch: Es ist doch eigentlich offensichtlich, dass a) hierzu ein Gutteil der Bevölkerung nicht das Potential hat, Bildungsoffensive hin oder her und b) auch gar nicht im gleichen Maße Arbeitskräfte gebraucht werden. Daher herrscht ja auch teilweise die Meinung, dass ein Grundeinkommen aufgrund technologiebedingter Arbeitslosigkeit ohnehin irgendwann kommen wird. So offen ich gegenüber einem BGE bin (so ganz "entschieden" habe ich mich noch nicht), das erscheint mir doch keine erstrebenswerte Zukunft zu sein (und ich weiß auch, dass manche davon im positiven Sinne träumen).

  • ... das Nachdenken über den Zulauf beschäftigt mich auch sehr.

    In einer ostdeutschen Kleinstadt war der Wähleranteil dort am grössten, wo die Villen und teuren Häuser stehen.

    Da geht es dann wohl um Abstiegsängste.


    Aber ich fand es interessant, dass man jetzt im Deutschlandradio darüber gesprochen hat, dass ein Fehlen des Lokaljournalismus als eine wichtige Ursache für das Misstrauen gegenüber den Medien und als Folge für den Zulauf der rechts- und Verschwörungsmythen in den USA identifiziert wird.

    Dlf Audiothek
    Aus der Dlf Audiothek | Interview | Historiker Timothy Snyder | „Trumps Erbe ist die große Lüge“ https://srv.deutschlandradio.d….html?mdm:audio_id=895963


    In Thüringen gibt es meines Wissens z.B. keine eigene Zeitung mehr.

    ... nur noch Funke Mediengruppe mit kleinen Lokalredaktionen

    ... mit deren Blick auf die Welt

  • Die Menschen, die 2017 die AfD gewählt haben, kommen aus Gebieten, von denen man nicht sagen könnte, dass sie zu den Strukturschwachen oder Globalisierungsverlierern zählen. Gerade in den prosperierenden Gebieten, wo das klassische deutsch Industriemodel noch vorhanden war (ungefähr 15% der Wähler waren Gewerkschafter) mit hoher Exportwirtschaft, wurde ja die AfD gewählt. Die Leute befanden sich nicht unmittelbar in einer schlechten wirtschaftlichen Lage und von Arbeitslosigkeit waren sie auch nicht betroffen, seit 2005 sank die Arbeitslosigkeit beständig. Aber es gibt statistisch einen starken Zusammenhang zwischen früherer Arbeitslosigkeit (besonders mit Arbeitslosigkeit im Jahr 2000) und AfD Wahl. Die wirtschaftliche Unsicherheit, Angst vor erneutem Arbeits- und Statusverlust, der mit der Agenda 2010 und den "Strukturanpassungen" einherging, hat praktisch zu einem Wiedererwachen der alten oder durchlebten Ängste geführt. Was dann 2015 passiert ist, mit der "Flüchtlingskrise", hat dann nochmal massiv Öl ins Feuer gekippt. Weder die Gewerkschaftsbunde noch die linken hatten darauf eine Antwort.

    (ach keine ahnung, irgendwas wollte ich noch dazu schreiben, habs aber vergessen)

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