Was ist das für eine komische Frage? Wieso schreibt man denn überhaupt Bücher? Das Kapital ist kein moralisierender Aufruf zur Revolution, sondern im Selbstverständnis von Marx ein wissenschaftliches Werk, in dem Marx die bürgerlichen Wirrschaftstheorien dekonstruiert. Es richtet sich nicht an die Arbeiterklasse, sondern an die Ökonomen und Intellektuellen seiner Zeit.
Ja warum schreibt man denn überhaupt solche Bücher, in denen die ganze herrschende Ideologie von Grund auf in Frage, und eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse in Aussicht gestellt wird?
Marx war unter den bürgerlichen Intellektuellen (von denen er ja eigentlich selbst einer war) - und ganz besonders unter den führenden Ökonomen - seiner Zeit alles andere als wohlgelitten. Er war erst aus Deutschland nach Frankreich und dann von dort nach England geflüchtet, weil er wegen seiner revolutionären Schriften auch den Staatsgewalten unangenehm aufgefallen war. Er hatte auch in England keinen Lehrauftrag an einer großen Universität. Er hielt auch keine gefeierte Vorträge beim londoner Fabrikantenverband und wurde in der bürgerlichen Presse nicht als großer Experte gefeiert. Er lebte statt dessen die meiste Zeit auf Pump in relativ ärmlichen (bürgerlichen) Verhältnissen, weil sich mit dem was er schrieb kaum Geld verdienen ließ, und sein Hauptwerk fand erst nach seinem Tod größere Beachtung in der Wissenschaft.
Wenn Du mir jetzt erzählen willst, der hätte sich die ganze Arbeit nur gemacht, um bei genau den "Ökonomen und Intellektuellen seiner Zeit" Beachtung zu finden, gegen die er Zeit seines Leben übelste Polemiken verfasste, dann musst Du Deine Marx-Einführungsbücher vielleicht nochmal etwas genauer lesen.
Das ist halt schlicht und einfach falsch. Marx hatte nie die Idee, man müssen den Arbeitern "so klar wie möglich" den Kapitalismus erklären. Schon gar nicht war seine Idee, dass die Lebensumstände keine Rolle spielen und man lediglich die geistige Freiheit schaffen müsse.
Ich habe allerdings auch nie behauptet, dass die Lebensumstäde gar keine Rolle spielen würden und dass man lediglich die geistige Freiheit schaffen müsse.
Ich behaupte, dass es nicht ausreicht, wenn die Arbeiter mit ihren Lebensumständen unzufrieden sind, um sie zur proletarischen Revolution zu bewegen. Dazu braucht man Marx gar nicht, denn das kann man einfach daran beobachten, dass sich Arbeiter seit seiner Zeit immer wieder Bewegungen angeschlossen haben, die nicht kommunistisch, anarchistisch oder sonst irgendwie linksradikal, sondern bestenfalls sozialdemokratisch und häufig rechtsnational und reaktionär waren, und die alles andere im Sinn hatten als die Emanzipation der Arbeiterklasse durch Überwindung der Klassengesellschaft.
Und ich behaupte außerdem. dass Marx sich der Tatsache, das das mit der historischen Entwicklung vielleicht doch nicht so automatisch stattfinden würde auch mit zunehmendem Alter und zunehmender Erkenntnis selbst immer klarer wurde, denn er beließ es ja erwiesenermaßen nicht dabei, einmal konstatiert zu haben, dass die kommunistische Revolution eine historische Notwendigkeit sei die sich schon von alleine aus der Entwicklung der Produktivkräfte ergeben würde, sondern er arbeitete bis zuletzt daran, die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen und Parteien seiner Zeit über ihre Irrtümer aufzuklären und an ihren Programmen herum zu kritisieren.
Bitte Zitate von Marx oder von Marxisten, die zu Marx forschen.
Ich habe oben Marx selbst dazu aus dem Kommunistischen Manifest zitiert, wie er die Aufgabe der kommunistischen Partei beschreibt, sowie den wohl größten Kenner des Marxschen Werkes Friedrich Engels, der das 42 Jahre nach dem Manifest auch nochmal erklärt.
Außerdem habe ich eine marxistische Kritik des Manifestes zitiert, in der ausgewiesene hardcore-Marxisten es als politisches Machwerk kritisieren, das vor allem von Feinden der marxistischen Analyse nur zu gerne zitiert wird, weil sich darin der Anspruch, eine historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution zu beschreiben mit dem Anspruch widerspricht, das Programm einer kommunistischen Organisation zu verfassen, die es sich zur Aufgabe macht, die Proletarier aller Länder zu genau jener revolutionären Bewegung zu vereinigen die es dafür bräuchte, weil die das ja offensichtlich von selbst nicht einfach machen wollten. Wenn Du das nicht lesen oder verstehen willst kann ich Dir auch nicht helfen.
Man könnte sich jetzt noch darüber auslassen, welche hohe Meinung der Akademiker Marx von den wirklich verarmten Lumpenproletariern seiner Zeit hatte und für wie fähig er die dazu hielt, sich als selbstbewusste Klasse zum revolutionären Subjekt zu emanzipieren. Aber es ist eigentlich völlig egal, ob er sich da dann doch als recht bürgerlicher Beamtensohn zeigte, denn die unbestreitbare Tatsache ist, dass er und der Kapitalist Engels eben nicht nur Akademiker waren, die sich Bücherwänden einmauerten und in ihren Studierzimmern irgendwelche hochtrabenden Schriften für "die intellektuellen und Ökonomen ihrer Zeit" verfassten. sondern dass sie ihr ganzes Lebenswerk der Agitation der Arbeiterklasse und dem Aufbau von international vernetzten Arbeiterparteien gewidmet haben, weil sie offensichtlich der Auffassung waren, dass das bei aller "historischen Notwendigkeit" dann doch schwer von Nöten war.
Deine Auffassung vom Intellektuellen, der von außen den Proletariern zu sagen hat, wie die Welt funktioniert, ähnelt eher dem Leninismus:
Mit Deinen ständigen Verweisen auf Lenin verdrehst Du einfach nur meine Aussagen, damit Du mir vorwerfen kannst, ich würde dafür plädieren, ideologische Kader zu schaffen, die der (angeblich von mir für völlig verblödet erklärten) Masse der arbeitenden Bevölkerung dann vordenken sollen, wo die revolutionäre Reise hinzugehen habe.
Dabei unterschlägst Du nicht nur geflissentlich, dass Lenin damals mit vollem Bewusstsein vor dem Problem stand, dass es im revolutionären Russland überhaupt noch keine entsprechend entwickelten Produktivkräfte und somit auch kein industrielles Massenproletariat gab, sondern Du ignorierst auch einfach dumm und dreist, dass ich hier schon unzählige Male erklärt habe, dass ich absolut nicht glaube, man müsse oder könne den ArbeiterInnen ein richtiges Bewusstsein vordenken, sondern dass ich immer wieder dafür plädiere, den Leuten die Widersprüche ihres Daseins als LohnarbeiterInnen im Kapitalismus klar zu machen, damit sie selbst entscheiden können, ob sie sich damit abfinden wollen oder nicht.
Dabei geht's überhaupt nicht darum, ein "falsches" durch ein "richtiges" Bewusstsein zu ersetzen, oder darum, die eine Ideologie gegen eine andere Ideologie auszutauschen, sondern darum, die ideologische Beschränkung des Denkens durch die materiellen Verhältnisse in denen es stattfindet aufzuzeigen und den Leuten bewusst zu machen, dass sie davon eben nicht dauerhaft frei sein können, so lange diese Verhältnisse nicht geändert werden.
Was Du hingegen immer wieder zu jeder Gelegenheit tust, ist Dir einzubilden, dass man den ArbeiterInnen nur endlich mal die richtige Alternative zum kapitalistischen System aufzeigen müsse, damit sie dann ihre massive, und aus diesen Widersprüchen resultierende indidviduelle Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus in den kollektiven Willen zur Demokratisierung der Betriebe umsetzen, und so die Revolution irgendwie ohne revolutionären Umsturz im laufenden System zuwege bringen.
Es ist nicht schwer, den Leuten zu erklären, was eine Genossenschaft ist. Absolut schwer ist es, ihnen zu erklären, warum es für sie besser sein soll, sich nicht nur mit ihren eigenen konkreten Arbeitsfeldern zu befassen, sondern auch mit dem Rest des Unternehmens, und was sie davon haben sollen, diese ganze lästige Organisationsarbeit selbst auch noch mitzudenken, anstatt sie den Beauftragten der Privateigentümer an den Produktionsmitteln zu überlassen. Schwer ist es, den Leuten zu erklären, warum man die Gesellschaft auf Basis genossenschaftlichen oder sonstig gemeinschaftlichen Eigentums von unten nach oben organisieren sollte, anstatt sich eine Regierung zu wählen, die dann alles von oben herab organisiert und dafür sorgt, dass die EigentümerInnen der Produktionsmittel das auch in den Betrieben besorgen.
Auch für diese Erkenntnis braucht man keinen Marx und keinen Marxismus. Wie schwer es ist, sogar Leuten die über höhere Bildungsabschlüsse verfügen als das marxsche Industrieproletariat, die "historische" Notwendigkeit einer Abschaffung der kapitalistischen Klassengesellschaft klar zu machen, kann man sogar hier im Forum regelmäßig empirisch nachweisen, wenn es wieder mal darum geht, dass es doch keinen Sinn habe, immer nur am System herum zu kritisieren, anstatt endlich mal die richtigen öko-sozialdemokratischen Reformen anzustoßen.
Du bist von uns beiden derjenige, der sich einbildet, man könne die Leute in einer hyperindividualisierten, hochtechnisierten Industriegesellschaft schon dazu bringen, sich zu anarcho/kommunistischen Kollektiven zusammen zu tun, wenn man ihnen nur endlich mal den richtigen praktischen Weg dort hin zeige. Du wirfst mir vor, die Leute für "Schlafschafe" zu halten, willst aber selbst der gute Hirte der Schafherde sein.
Ich will eigentlich nur, dass die Leute sich von der Illusion befreien, es bräuchte nur endlich mal den richtigen guten Hirten, der sie in die Freiheit auf der wirklich grüne Wiese führt.