Viele Rechtsexperten, noch mehr Meinungen:
Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels
Erste Anmerkungen zu einem eklatanten Fehlurteil
[...] Der Zweite Senat behauptet nun in der entscheidenden Passage der Entscheidung, der Kompetenztitel des Wohnungswesens, der im Zuge der Föderalismusreform 2006 an die Länder überging, habe sich klarerweise nicht auf „frei finanzierte“ Wohnungen bezogen – das zeige die Staatspraxis. Diese sei von der bis 1960 vorherrschenden „Zwangsbewirtschaftung“ (man könnte auch sagen: soziale Organisation des Rechts auf Wohnen) im Laufe der Zeit trotz mannigfacher Regulierungen evident in Richtung der „sozialen Marktwirtschaft“ vorangeschritten – immer mit dem „Synallagma“ des Do ut des im Mittelpunkt. Das klingt antiformalistisch, ist es aber gerade nicht. Halb zutreffend stellt das Gericht immerhin fest, im Ursprung sei der Titel im Hinblick auf das Preisrecht unterbestimmt. Vieles spricht hingegen dafür, dass Preise selbstverständlich zum Wohnungswesen (und nicht allein zum „bürgerlichen“ Recht) umfassend dazugehörten, auch wenn eine neoliberale Staatspraxis in den 1980er Jahren unter Einziehung künstlich-ideologischer Unterscheidungen des Privaten vom Öffentlichen davon abkehrte und teils frühliberalere Zustände wiederherzustellen trachtete. Dass das Gericht diesen falschen Gegensatz perpetuiert, ist als formalistische Verirrung zu bedauern. Insbesondere mit Bezug auf das Land Berlin muss diese irritieren, weil gerade dort ein „frei finanziertes“ Wohnungswesen mit prinzipiell „freier“ Preisbildung über Jahrzehnte kaum bestand. Die Richter:innen scheinen daher in ihrer scheinbar so technischen Bewertung einer Kompetenzfrage Marktideologien erlegen zu sein.
Es ist zutreffend, dass die administrative Sanktionsdrohung durch das annullierte Gesetz oder die urbanistisch motivierte Segregationsbekämpfung nicht per se einen maßgeblichen Unterschied zum sozialen Mietrecht des BGB begründen. Doch man hätte abermals nicht in die Formalismusfalle laufen dürfen. Die administrative Anordnung und Durchsetzung machen einen großen praktischen Unterschied, so dass das Berliner Verwaltungsgericht kürzlich völlig richtig auf die Verfassungsmäßigkeit des Mietendeckels erkannte. Insbesondere aber wäre es verfassungssystematisch geboten und logisch folgerichtig gewesen, die Kompetenz im Wohnungswesen einerseits mit Blick auf Art. 70 GG – den Primat der Länder – angesichts der Zweifel bezüglich der Ursprungsbedeutung großzügig auszulegen. Es ist eine anerkannte Interpretationsregel, bei Kompetenztiteln derart (1) länderfreundlich und (2) ursprungsbezogen zu urteilen. Das Preisrecht hätte also klarerweise zum Wohnungswesen gerechnet werden müssen. Das wird, wie gezeigt, maßgeblich weiter dadurch unterstützt, dass das „Wohnungswesen“ (gerade in Berlin) hinsichtlich seiner bis zur Föderalismusreform bundesrechtlichen Bedeutung eben keinen klar definierten „freien“ Sektor kannte. Damit fällt aber auch die vermeintlich evidente Zuordnung zum „bürgerlichen Recht“. Und das im doppelten Sinne.[...]