https://medwatch.de/2021/12/22…-beigemischt-werden-darf/
ZitatDer Farbstoff Titandioxid steht unter Verdacht, erbgutschädigend und krebserregend zu sein. Für Lebensmittel wird er europaweit verboten – bei Arzneimitteln bleibt der Stoff bis auf Weiteres in den einzelnen Pillen enthalten.
„Nicht mehr sicher“ lautet das Urteil der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA über den Farbstoff Titandioxid. Sie schließt eine erbgutschädigende Wirkung nicht aus und hält auch die Frage nach einem Krebsrisiko für unbeantwortet. Das unter der Nummer E 171 verbreitete Pigment, das Kaugummis und Zuckerguss strahlend weiß machen und Schokolinsen einen glänzenden Überzug verpassen kann, soll deshalb EU-weit ab 2022 verboten werden. So haben es Europäische Kommission und Mitgliedstaaten beschlossen – allerdings nur für Lebensmittel. Für Arzneimittel dürfte Titandioxid noch auf lange Sicht erlaubt bleiben.
ZitatDavon betroffen ist ein Großteil des Arzneimittelmarktes. Laut EU-Arzneimittelbehörde EMA enthalten europaweit gut 91.000 und damit mehr als die Hälfte der zur Einnahme bestimmten Arzneimittel Titandioxid – von Antibiotika über Cholesterinsenker bis zu Schmerztabletten.
ZitatAnders als beim Zuckerguss ist die Zusammensetzung von Arzneimitteln nicht so einfach zu ändern. Neuformulierungen sind aufwendig, teuer, erfordern neue Zulassungen. Sicher „7 bis 12 Jahre“ würde eine Umstellung des gesamten Marktes dauern, erwarten Industrieverbände. Und stellt sich die Frage, inwieweit der Hilfsstoff Titandioxid überhaupt ersetzbar ist. In ihrem im September vorgelegten Prüfbericht kommt die EMA zu dem Schluss: „Die Machbarkeit eines Verzichts auf Titandioxid kann zurzeit nicht bestätigt werden.“
ZitatDie Rückmeldungen der Branche fiel deutlich aus: Als Weißmacher oder Grundlage für die gleichmäßige Farbgebung etwa von Tabletten, als glatter Überzug bei gleichzeitig äußerst dünner Schichtbildung und als Trübmittel, das die Wirkstoffe vor UV-Licht schützen kann, sei Titandioxid derzeit praktisch nicht durch andere Stoffe zu ersetzen. Nach eigenen Angaben fehlten den meisten Produzenten bisher geeignete Alternativen.
ZitatDoch ist Titandioxid wirklich so alternativlos? In ihrer Auskunft an die EMA führen die Industrieverbände andere Probleme auf. So könne es eine „mangelnde Bereitschaft“ von Sub-Unternehmern geben: „Wir können nicht versichern, dass unsere Zulieferer solch wichtige Änderungen unterstützen werden“, wird ein Hersteller zitiert. Das liest sich weniger, als könne ein Hilfsstoff aus funktionalen Gründen nicht ersetzt werden.
ZitatSelbst wenn das Problem weniger in der vermeintlichen Unersetzbarkeit eines Hilfsstoffes als vielmehr in den Aufwänden für Neuformulierungen liegt: Für Behörden wie Politik bleibt dies ein Dilemma. Erlauben sie den weiteren Einsatz eines als „nicht mehr sicher“ eingestuften Stoffes, nehmen sie ein mögliches Gesundheitsrisiko für Patient:innen in Kauf. Verbieten sie Titandioxid, riskieren sie Versorgungsengpässe bei Medikamenten.
Entsprechend zurückhaltend äußern sich die politisch Verantwortlichen. Das Bundesgesundheitsministerium schloss sich der Linie der Europäischen Kommission an, also: Abwarten und Appellieren.