Der SARS-CoV-2-Thread

  • Der Punkt sowohl die Werte, die sich aus der Verallgemeinerung von 65-74 Jahre / 0.025 und 75-84 Jahre / 0.085 ergeben, anzugeben, war die Andeutung, dass der wirkliche Wert dazwischen liegen könnte. Hätte ich alles von 55 bis 85+ als Mittelwert zusammengerechnet, käme ich auf 0.1. Das ist nicht mal ganz unplausibel da 55-59 Jahre mit die größte Bevölkerungsgruppe ist, die aber gar mit reinzählt, aber auch bei 85+ Jahre noch einiges zusammenkommt, so dass sich die beiden Extrema auch noch tendenziell ausgleichen. Andererseits die Impfquote mag auch innerhalb der Älteren nochmal zunehmen.


    Die Frage davor ist aber eher, ob die Abschätzungen für die Infektionssterblichkeit seit dem Stand von diesem paper aus dem letzten Dezember sich nochmal deutlich geändert haben. In jedem Fall mir geht es nicht um die Toten, sondern einen Ausgangspunkt für die Überlegung, auf wieviele Behandlungen das hochzurechnen ist. Und da ist eine Basiszahl von 10 K offenkundig eine andere Problemdimension als eine von 100 K, unabhängig davon, was dann der Multiplikator für die Behandlung ist.


    (Ich antworte auf Einflüsterungen, falls sich jemand wundert.)

  • Die Frage davor ist aber eher, ob die Abschätzungen für die Infektionssterblichkeit seit dem Stand von diesem paper aus dem letzten Dezember sich nochmal deutlich geändert haben.

    Wäre ja wohl das Mindeste, wenn man die Impfung berücksichtigt. Dazu kommt noch die natürliche Durchseuchung. Das war mal kurz auf dem Tableau in diesem Jahr, wurde aber wie so vieles schnell vergessen. Wir haben meiner Ansicht nach viel Zeit vertan, angenommen das Bedrohungsszenario existiert so noch, beim Warten auf die richtige Quote.

  • Der einfachste Weg mir zu widersprechen, wäre mir einen Fehler bei der Rechnung nachzuweisen.


    Ich verstehe allerdings auch nicht so sehr, wo ich da ein Schreckensszenario male. Wenn am Ende zum Beispiel nochmal 100000 Menschen im Zuge der Durchseuchung sterben, aber das gut genug über sagen wir zwei Jahre trotz Schwerpunkt in der Wintersaison verteilt ist, stellt das aus Sicht des Ansinnens weitere große gesellschaftliche Eingriffe zu vermeiden kein Problem dar. Es ist vermutlich ein gewisses gesellschaftliches Problem, insofern die Arbeitskraft von Menschen verloren geht. Es ist auch für die Krankenversorgung ein Lastproblem bis man wirklich den Großteil der Fälle mit einer Medikamentengabe behandeln kann. Aber ansonsten, diese Menschen wissen ja, dass sich die meisten von ihnen mit einer Impfung schützen könnten. Mehr kann man dann auch nicht für sie tun - außer der Einführung einer Impfpflicht.


    Die hohen Zahlen unterstreichen eher wie erfolgreich wir in Deutschland unter dem Strich dann doch gewesen sind. Wir haben ja auch nur so 5% der Bevölkerung bisher betroffen nach Meldezahlen und der unerfasste Bereich wird nicht als so viel höher geschätzt.


    Wäre ja wohl das Mindeste, wenn man die Impfung berücksichtigt. Dazu kommt noch die natürliche Durchseuchung.


    Ne, ich meine nur Abschätzungen der IFR für die ungeimpfte Bevölkerung ohne bisherigen Kontakt mit SARS-CoV-2 (eventuell noch ohne starke Immunreaktion trotz Kontakt). Die Geimpften rechne ich ja schon raus. Obwohl da natürlich auch noch eine geringere Zahl wegen CoViD-19 behandelt werden muss, die ich vernachlässige. Wieviele bei den verbleibenden Ungeimpften schon eine gewisse Immunität erworben haben, kann man denke ich fast nicht wissen. Auch unter denen kann es natürlich noch Behandlungsbedarf geben, der hoffentlich nicht zu hoch ausfällt, weil der "zugehörige" Anteil besonders anfälliger Personen bereits tot ist.

  • Diese Metaanalyse zur IFR verarbeitet Publikationen bis zum September 2020. Da sind also bereits Daten, die unter dem Eindruck besserer Behandlungsmöglichkeiten erhoben wurden, mit drin. So groß hat sich das jetzt seit dem auch nicht mehr weiterentwickelt, wenn man mal von der Verfügbarkeit monoklonaler Antikörper absieht.


    Außerdem kann man, wenn man nur den ungeimpften Bevölkerungsanteil betrachtet, eben keine IFR nehmen, die eine geimpfte Bevölkerung einbezieht. Dass man neben der Impfung erworbene Immunität einbeziehen muss, habe ich dazu gesagt. Kann ich nur nicht quantifizieren.


    Auch bei 90% Geimpften von 24 Millionen Menschen, bleiben 2.4 Millionen ungeimpft. Wenn bei 100000 Toten 90000 aus der Gruppe der Älteren kämen, hätte man eine IFR von 0.0375. Das liegt zwischen den Werten für die Gruppe 65-74 und 75-84 Jahre und ist durchaus nicht unrealistisch, auch nach Einbeziehung erworbener Immunität in der Gesamtgruppe.


    Ausbreitungswege scheinen mir bei einer Durchseuchung im Wesentlichen irrelevant zu sein.

  • Also ich spreche nicht von Restdurchseuchung, weil ich glaube die Leute werden sich noch vor Ansteckung schützen können. Sobald die Epidemie erkennbar nicht mehr genug Druck aufbringen kann, werden die verbliebenen Maßnahmen ganz schnell fallen. Und da SARS-CoV-2 sich mit der Zeit auch wieder unter Geimpften verbreiten kann, werden sich auch die Ungeimpften anstecken. Eine dauerhafte sterilisierende Immunität bei den Geimpften bei hoher Impfquote wäre wenn die einzige praktikable Perspektive eine Ansteckung dauerhaft zu vermeiden. Und das ist nicht der Fall.


    Der einzige Souffleur bist im Moment du. Und was du immer mit Lauterbach hast. Ich gucke keine ÖR-Gesprächsrunden. Ich kriege überhaupt nicht mit, was der macht, verlangt oder vorschlägt.

  • Andererseits, wenn die ganzen Ungeimpften der 60+ Jahre Gruppe sich bei über 85 Jahre finden, sich aber gleichzeitig bisher komplett vor CoViD-19 schützen konnten, könnten wir laut der IFR-Abschätzung für diese Gruppe selbst bei 90% Impfquote nochmal 680000 Tote verzeichnen, wenn es nicht doch über 1~000~000 Tote sind, weil es dann doch keine 5% Unterschätzung der Impfquote gibt.


    Das sollte ihn erledigt haben. Akuter Myokardinfarkt. Im Krankenhaus werden sie ihm schon eine Impfung aufschwatzen.

  • Mit den Mittelkranken schimpfen wir deshalb auch schon mal: "Warum haben Sie sich nicht impfen lassen?" Das sind nicht unbedingt Impfgegner. Die sprechen extrem schlecht Deutsch, sind obdachlos, gehen nicht zum Arzt, solange es noch irgendwie auszuhalten ist. Unser Krankenhaus liegt in der Dortmunder Nordstadt, das ist einer der größten sozialen Brennpunkte Deutschlands. Viele hier haben keinen Hausarzt. Wenn die krank sind, heißt es abwarten, Tee trinken – oder dann gleich in die Notaufnahme. Die sagen oft auch: Ich wollte mich ja impfen lassen, aber ich habe kein Angebot bekommen. Die denken, es hätte sich einer bei ihnen melden müssen. Die wenigsten haben aktiv was gegen die Impfung. Den meisten ist es einfach egal

    Und so bildet sich langsam das Bild, dass die gesellschaftlich Vernachlässigten letzten Endes Schuld daran tragen, dass wir nicht "back-to-normal" können. Hab ein ungutes Gefühl bei der Sache.

  • Und so bildet sich langsam das Bild, dass die gesellschaftlich Vernachlässigten letzten Endes Schuld daran tragen, dass wir nicht "back-to-normal" können. Hab ein ungutes Gefühl bei der Sache.

    Das muss der Markt sein, der 365 Gründe kennt, warum er nicht funktioniert, es aber eigentlich doch müsste.

  • Und so bildet sich langsam das Bild, dass die gesellschaftlich Vernachlässigten letzten Endes Schuld daran tragen, dass wir nicht "back-to-normal" können. Hab ein ungutes Gefühl bei der Sache.


    Vielleicht, wenn die Impfquote nicht ausreicht. Aber ich denke mal die Bundesländer, die im Vergleich am niedrigsten liegen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg bekommen auch am ehesten Probleme. Und mir scheint, da gibt es auf jeden Fall einen größeren Bevölkerungsanteil mit einer Verweigerungshaltung, die mit Erreichbarkeit für eine Impfung nichts zu tun hat. Insbesondere wenn sich das als eine entscheidende Differenz herausstellt, wird dort medial die Schuldzuweisung landen.

  • Umgekehrt wird ein Schuh draus. Es war natürlich immer Unsinn zu sagen, dass das Impfangebot den Ausschlag gibt. Das zu behaupten war in der Tat eine politische Sache, die sich zudem durch mehrere Parteien gezogen hat: RE: Der SARS-CoV-2-Thread


    Dänemark hat die Öffnung sicherlich nicht vom ausreichenden Impfangebot abhängig gemacht, sondern von der Impfquote und insbesondere der Verteilung der Impfungen über die Altersgruppen - neben anderen Parametern nehme ich an. Keine Ahnung, was die Schweden machen, habe ich jetzt länger nicht verfolgt.


    Im Vergleich zwischen Ländern sollte man sich immer ansehen, wie die Impfquote ist, wieviel Infektionen es bisher gab und die Altersverteilung der Bevölkerung. Da werden die Gründe für Unterschiede oft schon deutlich.


    Ich denke Schweden hatten vorallem gewisse kulturelle Vorteile, ähnlich wie Deutschland, zudem Vorteile der Bevölkerungsdichte. Man sieht am Ergebnis der anderen gut vergleichbaren skandinavischen Länder, die praktisch keine Übersterblichkeit aufweisen, dass Schweden von der Epidemiebekämpfung her schlechter abgeschnitten hat. Zudem wenn man sich mal Übersterblichkeitsdaten vor der Pandemie anschaut, wird einem auffallen, dass sie in Skandinavien im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern kaum deutliche Ausschläge aufweisen, die auf besonders stark verlaufende Grippewellen hindeuten. Der Grund können die gleichen Grundbedingungen sein, die die Epidemiekontrolle in diesen Ländern einfacher gemacht haben. (Hohe Impfquoten oder konsistent kalte Wintertemperaturen kommen vielleicht auch noch in Betracht).


    Ansonsten ein echter Witzbold dieser Tegnell.


    Zitat

    Tegnell erklärt, man habe an dem liberalen Weg festgehalten und heute eine minimale Covid-19-Rate in Altenheimen. Das sei ein klares Indiz dafür, "dass auch die schwedische Strategie die Ausbreitung in Altenheimen verhindern kann. Ohne Lockdown."


    Lockdown hatten wir allerdings auch nur zwei (?) Wochen. - Außer Hamburg, jedenfalls von dem, was ich mitbekommen habe.


    Mir ist nicht klar, was dieser Antikörpernachweis bringen sollte.

  • Ergänzung zu Schweden: Meines Erachtens hat im Diskurs dem Verweis auf Schweden eigentlich immer die Affirmierung schwedischer Maßnahmen gefehlt. Die allermeisten, die diesen Verweis bringen wollen im Wesentlichen sagen, es geht auch ohne. Folgerichtig ist aber eigentlich nur zu sagen, anstatt dass ich aus einem gewissen Zwang Maßnahmen befolge (insbesondere bei dem schwächeren Regime in Deutschland war Umgehung dennoch an vielen Stellen möglich), würde ich lieber die selben Maßnahmen freiwillig umsetzen bzw. - jenseits der persönlichen Präferenz - könnte man behaupten, dass es dann besser funktionieren würde oder zumindestens ähnlich gut aber mit besserer Wirkung auf die Stimmung in der Bevölkerung. Kann man diskutieren, wobei wie gesagt selbst die fast überall im Vergleich zu Schweden größere Zwangsausübung immer noch auf die Umsetzung der Maßnahmen durch die Bevölkerung aus Einsicht in die Notwendigkeit setzt, selbst in China.


    Habe ich aber in der Form fast nie diskutiert gesehen.


    Eine wissenschaftliche Untersuchung mit kontrafaktischer Modellierung betont nochmal, was über weitgehend freiwillige Umsetzung von Maßnahmen erreicht wurde und dass man dennoch mehr hätte erzielen können:


    https://journals.plos.org/plos…1371/journal.pone.0249732


    Zitat

    Third, the actual adjustment of mobility patterns in Sweden suggests there has been substantial voluntary social restraint, although the adjustment was less strong than under the lockdown scenario.

    Zitat

    We also analyze Google mobility reports and find a profound change of actual mobility patterns in Sweden, even as no lockdown is imposed: people travel less and spend more time at home or in parks. The extent of this adjustment is sizable, but not as strong as in the control unit under the lockdown.

    Zitat

    Yet overall our results also support the notion that there is a non-trivial infection externality: while people adjust their behavior to limit their own exposure to others, the adjustment falls short of what is socially optimal because they do not account for the infection risk to which they expose others once they become infected.

    Zitat

    We find, first, that a 9-week lockdown in the first half of 2020 would have reduced infections and deaths by about 75% and 38%, respectively.


    Ich dachte, ich hätte dieses paper, ebenfalls kontrafaktische Modellierung, schonmal hier verlinkt, aber ich habe es nicht wiedergefunden.


    https://www.nature.com/articles/s41598-021-95699-9


    Das berührt diese Aussage:


    Ich denke Schweden hatten vorallem gewisse kulturelle Vorteile, ähnlich wie Deutschland, zudem Vorteile der Bevölkerungsdichte. Man sieht am Ergebnis der anderen gut vergleichbaren skandinavischen Länder, die praktisch keine Übersterblichkeit aufweisen, dass Schweden von der Epidemiebekämpfung her schlechter abgeschnitten hat.


    Aus dem Dreiecksvergleich von Schweden, United Kingdom und Dänemark ergibt sich unter anderem:


    Zitat

    UK mortality would have approximately doubled had Swedish policy been adopted, [...]


    Oder genauer:


    Zitat
    Had the UK adopted Swedish policies, deaths would have increased deaths by a factor of between 1.6 and 4.


    Inwiefern dieser Ansatz die Ausbreitungslandschaft des Virus über die R-Werte einfängt, ist allerdings die Frage. Ich würde sagen, es ist Teil des Effekts und deutet an, dass man sich die schwedische Strategie jedenfalls auf diesem Effizienzniveau leisten können muss. Die dänische Bevölkerungsdichte ist deutlich höher als die schwedische, dennoch nur die Hälfte der britischen. Ich denke schon da hätte es große Probleme gegeben, aber die Dänen waren nun auch viel effektiver, so dass sie mit der schwedischen Strategie in jedem Fall schlechter abgeschnitten hätten.


    Die deutsche Erfahrung passt hier auch gut rein, da wir beim ersten ersten und zweiten großen Ausbruch nur shutdown als Gegenmaßnahme hatten. Im Gegensatz zum lockdown, der eine unmittelbare Erzwingung von Kontaktreduktion durch Einschränkung der Mobilität bewirken soll, unterstützt ein shutdown darin die Kontakte zu reduzieren, aber lässt mehr Kontaktmöglichkeiten offen - sieht also schwächere Repression vor. Und dann ist der Unterschied zu Schweden nicht mehr so groß, wo ja große Versammlungen genauso verboten waren, und der Aufruf die Kontakte zu reduzieren vermutlich recht wirkungsgleich war zur deutschen Anordnung sie zu reduzieren. Der shutdown hat dann den Unterschied in der Effizienz ausgemacht. Beim zweiten Ausbruch haben wir natürlich viel zu spät reagiert, so dass sich das nicht gleichermaßen manifestiert hat. Außerdem wurde der shutdown im Vergleich zum ersten Ausbruch für den Bereich der Arbeitsstätte deutlich aufgeweicht. Da war Schweden zum Beispiel besser, weil man da schon vorher mehr Möglichkeiten der Heimarbeit hatte.

  • Tegnell hatte damals als einen Grund der vielen älteren Covid-Toten, das Ausbleiben einer starken Grippewelle in den Vorjahren gesehen. Die meisten der gestorbenen Menschen waren bereits über der (schwedischen) Lebenserwartung, soweit ich mich erinnere.


    Wenn ich mir zum Beispiel die Übersterblichkeitsdaten von EuroMOMO ansehe, frage ich mich allerdings, was er da als starke Grippewelle ansieht, die "normalerweise" im großen Umfang die Alten abgeräumt hätte. Wie gesagt, für mich deutet das auf die Beschaffenheit des Übertragungsnetzwerks in Schweden hin.


    Der Hinweis, dass sich Schweden von Deutschland unterscheidet, u.a. eine andere Bevölkerungsdichte hat, kann man machen. Allerdings sollten solche Unterschiede dann bei allen anderen Ländern ebenfalls betont werden.


    Ich würde sagen der Vergleich ist immer nur sinnvoll, wenn man wichtige Bezugsgrößen miteinbezieht.


    Antikörpertests habe ich erwähnt, weil es ein weiteres Beispiel von Politik und nicht Wissenschaft ist. Wer (eine hohe Anzahl) Antikörper hat, könnte sich die Impfung ja sparen. Auch wenn dies natürlich, im Falle einer Covid-Infektion, keine Garantie für einen symptomfreien oder leichten Krankheitsverlauf ist. Allerdings ist das bei einer Impfung ja auch nicht der Fall.


    Ah, vor der Impfung. Also das ist doch eigentlich nur relevant für Leute, die die Impfung unbedingt vermeiden wollen. Dann muss man sich halt regelmäßig testen und dann sofort einen PCR-Test machen lassen, dann hat man seine Befreiung zumindestens für ein paar Monate. Aber warum soll man Zeit und Geld aufwenden, das Verfahren verkomplizieren, um jeden vor der Impfung testen zu lassen?


    Bis 2019 war das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Regierung in Schweden geringer als in Deutschland. Erst letztes Jahr hat Schweden Deutschland überholt.


    Letztes Jahr im Frühjahr oder im Herbst?


    Ein Indikator, dass freiwillige Maßnahmen vielleicht genauso gut gewirkt hätten wie in Schweden.


    Naja, das hieße schlicht von den veröffentlichten Zahlen her schonmal ca. 30000 mehr Tote in Deutschland (plus 8.3 * 14900 - 94000), also fast 125000 und doppelt so viele Infektionen (plus 8.3 * 1.1 M - 4.3 M). Aber gut das sind noch keine finalen Schätzungen.


    Und natürlich funktioniert es so auch nicht, denn:


    1.) Schweden hat eine jüngere Bevölkerung als Deutschland. Insbesondere im mittleren Altersbereich, wo potentiell die langwierigen schweren CoViD-19-Verläufe auftreten hat Deutschland ein großes Übergewicht in der Altersverteilung. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass sich die Schweden deshalb im Vergleich ein höheres Niveau an Infektionstätigkeit leisten konnten, bevor ihre Krankenversorgung überlastet wurde.


    2.) Dann würde ich eben behaupten, dass die Ausbreitungslandschaft sich in den beiden Bevölkerungen unterscheidet. (Siehe auch 4.) Mit anderen Worten man hätte bei Freiwilligkeit der Befolgung eines Teils der Maßnahmen in Deutschland umso effektiver sein müssen, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen.


    3.) Gut, ob man das deutsche Versagen beim zweiten Ausbruch im Herbst/Winter 2020/21 angemessen zu intervenieren als Teil der Strategie sieht, kann man sich vermutlich streiten. Mit früherer durchgreifender Intervention würden die Zahlen vermutlich eher so wie in Dänemark aussehen.


    4. ) Das Ergebnis ist in Deutschland doch recht gemischt. Im Norden, wo man auch eine geringere Bevölkerungsdichte hat, auch viel weniger umfangreichen Grenzverkehr, sieht es tatsächlich eher so wie in Dänemark aus. Und die Kontrolle des Infektionsgeschehens schien insgesamt leichter zu fallen.


    In ein paar Jahren wird man diese ganzen Detailaspekte vermutlich sehr viel besser verstehen. Dieses ganze Großexperiment hat die Epidemiologie denke ich mit genug Daten versorgt, dass wir eine umfassende Theorie der epidemischen Kontrolle bekommen werden.

  • Und so bildet sich langsam das Bild, dass die gesellschaftlich Vernachlässigten letzten Endes Schuld daran tragen, dass wir nicht "back-to-normal" können. Hab ein ungutes Gefühl bei der Sache.

    Ja „Impfangebot“ ist auch so ein scheiß beschönigender Name. Impfmöglichkeit träfe es besser. Dabei hätten die Krankenkassen ja durchaus die Möglichkeit ihre Versicherten anzuschreiben und zumindest ein Hinweis auf die Impfmöglichkeit zu geben.

    Bei den freien Kapazitäten in den Impfzentren seit zwei Monaten hätte es wahrscheinlich sogar die Möglichkeit gegeben, dass die Kassen für alle ihre Versicherten einen Termin dort vereinbaren und den nicht nur als Hinweis sondern dann eben als aktives Angebot verschicken.

    Ich mache mir die im Forum zu diesem Thema mehrheitlich geäußerte Meinung nicht zu eigen und wiederspreche ihr hiermit ausdrücklich!

  • Du bekommst keine likes. ^^ Der ist durchschaubar gut. Literally no likes given.


    Okay, über das Stöckchen springe ich noch, dann ist aber mal Schluss mit dem Seitenkanal.


    Also ganz langsam:

    • Bevölkerung Deutschland: 83 M
    • Bevölkerung Schweden: 10 M

    Gegenwärtiger Stand der Epidemie:

    • Infektionen/Tote Deutschland: 4.3 M / 94000
    • Infektionen/Tote Schweden: 1.1 M / 14900

    Die Prämisse war, dass "freiwillige Maßnahmen [..] genauso gut gewirkt hätten wie in Schweden". "Genauso gut", also schaue ich als naheliegende erste Näherung auf die Differenz zwischen schwedischem Ergebnis umgerechnet auf die deutsche Bevölkerungsgröße und dem deutschen Ergebnis:


    Zahl der Menschen in Deutschland mal Anteil der Infizierten in Schweden minus Zahl der Infizierten in Deutschland:


    83 * 10^6 * ((1.1 * 10^6) / (10 * 10^6)) - 4.3 * 10^6


    Ein Plus von 4.83 M.


    Zahl der Menschen in Deutschland mal Anteil der Toten in Schweden minus Zahl der Toten in Deutschland:


    83 * 10^6 * (14900 / (10 * 10^6)) - 94000


    Ein Plus von 29670.


    Dass das nichtmal die entgültigen Zahlen sein müssen und warum das letztlich nicht unbedingt so zu rechnen ist, habe ich ja bereits gesagt und etwas ausgeführt.


    (Bonus: Epidemie ungleich Tote.)

  • Mein Problem ist: Was gesellschaftlich akzeptabel ist und was nicht, wird gerade von der Regierung bestimmt, statt von der Gesellschaft und ich befürchte, dass sich diese Änderungen der Normen verfestigt und sich die Gesellschaft an die neue Autorität der Regierung gewöhnt.

    Kurze Zwischenfrage: Hat die jeweilige Regierung die Gesellschaft gefragt ob ihr das recht ist, als sie z.B. damals Hartz IV, oder dann später einen viel zu niedrigen Mindestlohn eingeführt hat, oder als sie beschloss lieber Politik für das Autokartell und die Kohleindustrie zu machen, als für den Klimaschutz?


    Wer jetzt erst feststellt, dass eine parlamentarische Demokratie keine direkte Demokratie ist, und dass in ihr schon immer das Profitinteresse des Kapitals und der Machterhalt der politischen Klasse wichtiger waren, als die angebliche entscheidungs-"Freiheit", die den BürgerInnen darin zu teil wird, der sollte mal in sich gehen und sich fragen, warum ihn das alles bisher auch noch nie stark genug gestört hat, um dagegen aufzubegehren.

  • Versteh ich nicht. Tegnell meinte ja, dass es in Schweden die Vorjahre keine starke Grippewelle gab und Covid das sozusagen nachgeholt hat. 2017/18 gab es bspw. in Deutschland stärkere Grippewellen, die "im großen Umfang die Alten abgeräumt" hat.


    Ich sehe bei EuroMOMO für Schweden in keinem der vorhandenen Vorjahre eine Übersterblichkeit, die auch nur in der Nähe des ersten Frühjahrsausbruch von CoViD-19 in Schweden kommt. Bei uns war die 2018er Grippewelle zumindestens von der Höhe der Übersterblichkeit her, wenn auch nicht der zeitlichen Ausdehnung der Erhöhung, ähnlich intensiv wie unser CoViD-19-Herbst-/Winterausbruch. In Schweden sieht man 2018 zwar auch eine gewisse Erhöhung aber gerade so an der Grenze eines "substantial increase". Auf intensive Grippenwellen im Vergleich zu anderen Staaten in den letzten Jahren lassen diese Daten jedenfalls nicht schließen.


    Der Vorteil von Antikörpertests wäre auch, dass man sich vielleicht mehrere Booster-Impfungen sparen kann. Könnte auch günstiger sein, wenn halbjährlich Booster vorgesehen sind und Pfizer weiterhin seine Preise anhebt.


    Aha, nun an diese Notwendigkeit glaube ich nicht, außer vielleicht für ältere Menschen. Aber Antikörperbestimmungen scheinen auch keine Auskunft über den Schutz vor schwerer Erkrankung zu geben. Ob man noch Interesse an einem Übertragungsschutz hat, hängt doch sehr vom Spektrum der Krankenheitsverläufe ab, die endemisches CoViD-19 zeigen wird. Das ist also noch offen.


    Wir können den Fokus auch erweitern und uns nicht nur die an Covid erkrankten Menschen anschauen. Vielleicht sogar mit einem utilitaristischen Ansatz?


    Aber wie gesagt, geht es mir gar nicht so sehr um epidemologischen oder medizinischen Details. Es werden hoffentlich nur wenige Leute der Meinung sein, dass die politischen Entscheidungen alternativlos sind oder dass in Deutschland die weltweit beste Corona-Politik gemacht wird. Natürlich lässt es sich in so einer Lage kaum vermeiden, Gruppen zu benachteiligen und ihnen auch mal auf die Füße zu treten, aber hier werden Gruppen niedergestampft.


    Gut ich weiß nicht, ob ich da mit Utilitarismus rangehen würde, aber ist halt immer die Frage, wie man es umsetzt.


    Vom Ergebnis der Eindämmung schneidet Deutschland gerade auch mit Blick darauf, dass wir eine der ältesten Gesellschaften weltweit haben, nicht schlecht ab. Hätte viel besser sein können. Japan hat ein ähnliches demographisches Profil, eine noch größere Bevölkerung und einen Bruchteil unserer Toten - hat natürlich geographische Vorteile. Die Belastung der Krankenversorgung war so mittel. Den Herbst-/Winterausbruch hätte man in der Schwere vermeiden können. Den zweiten Frühjahrsausbruch hätte es wirklich nicht gebraucht.


    Die Eingriffstiefe oder jedenfalls die Repression war hier im Vergleich zu anderen Ländern geringer. Also ich denke wir kommen mit einigen anderen ähnlich verfahrenden Ländern schon recht bald nach Schweden.


    Wo wir schlecht waren, ist die soziale Abfederung der Lasten für Menschen in diversen Beschäftigungsbereichen. Weiß nicht, ob wesentlich schlechter als anderswo, ist ja alles im Kontext der laufenden Polarisierung der Wohlstandsverteilung.


    Bonusfrage: Kann mir jemand sagen, welche Gründe für eine Covid-Impfung (für Nicht-Risikogruppen) sprechen, die nicht auch für eine Grippe-Impfung gelten?


    Erwerb von Grundimmunität (hat man bei der Grippe schon, wenn man sich diese Frage stellen kann) oder Schutz von anderen (gilt bei bestimmten Berufsgruppen auch bei der Grippe-Impfung, in der allgemeinen Bevölkerung bisher nicht).

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