Der SARS-CoV-2-Thread

  • Strategische Kritik am Umgang der deutschen Linken mit Querdenken. Den markierten Teil habe ich gefettet, weil mir genau das in letzter Zeit auch gehäuft auffällt, und nie nachvollziehbar erschien. Zuletzt bei Schröder und Somuncu, als das in einem Rant losgelassen wurde oder z.B. prominent in Leschs Sendung über Verschwörungstheorien.

  • Zitat

    Es ist die irrationale Angst, dass jede Kritik an der Regierung verkürzte Kapitalismuskritik und damit im Kern „strukturell antisemitisch“ sei.

    Wenn ich das einfach als bijektiv annehme und herumdrehe steckt in dem Satz auch, dass unsere Regierung vom kapitalistischen Judentum gestellt wird. Muss der letzte Schritt vor der jüdischen Weltverschwörung sein


    Ich bin nicht aussreichend durchideologisiert um solche Sätze ohne Kopfschmerzen lesen zu können...

  • "Es ist die irrationale Angst, dass jede Kritik an der Regierung verkürzte Kapitalismuskritik und damit im Kern „strukturell antisemitisch“ sei. In dieser impliziten Grundannahme, die in Teilen unserer Bewegung unreflektiert als Axiom hochgehalten wird, liegt die Abneigung gegen soziale Bewegungen begründet, die sich gegen die herrschende Regierung und deren Maßnahmen wenden."


    Das ist zweifellos ein riesiges Problem. Es hilft auch nicht, wenn z.B. Monitor eine ganze Sendung zu dem Thema macht und Herr Restle dann als einziges Gegengewicht zum Interviewten Oberquerdenker Ballweg eine "Expertin" von der Amadeu Antonio-Stiftung zuschaltet, die natürlich in jeder Systemkritik, die nicht explizit antfaschistisch - oder am besten pro-jüdisch - ist versteckten Antisemitismus behauptet.


    Aber wenn die Kritik an der Regierung eben gar keine Kritik an den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen ist, sondern - zumindest so wie sie auf den großen "Querdenker"-Demos auf der Bühne vorgebracht wurde und auch in unzähligen Äußerungen interviewter TeilnehmerInnen zu hören war - eigentlich nur eine Kritik an der Unfähigkeit (oder absichtlichen Unwilligkeit) der herrschenden politischen Klasse, jene Verhältnisse möglichst schnell wieder in ihren (scheinbar!) reibungslosen status quo ante Corona zurück zu versetzen - wie soll sich eine Linke da einfügen, die es sich eigentlich mal zur Aufgabe gemacht hat, solche Verhältnisse zu überwinden, ohne dabei komplett unglaubwürdig und sich erst recht zu einer Trägerin des laufenden Systems zu machen?


    Und wenn sich die pauschale Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie dann auch noch an pseudowissenschaftlichen bis offen verschwörungsideologischen "Argumenten" festmacht, welche die Legitimität jeglicher Maßnahmen von Grund auf dadurch in Frage stellen, dass sie die ihnen zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse als Lügen und fremdgesteuerte, von Politik und Medien zur gezielten Panikmache eingesetzten Propaganda abtun - Wie sollen sich dann Linke, die eigentlich traditionell den Anspruch haben, ihre Systemkritik an historischen Entwicklungen, empirisch zu beobachtenden und wissenschaftlich begründbaren - sprich: an materiellen, greifbaren, konkreten - Verhältnissen festzumachen und nicht an ideologischen Zirkelschlüssen, dazu verhalten?


    Die deutsche Linke - vor allem ihre parlamentarische Vertretung - hat zweifelsohne ein Problem damit, einen linken Populismus zuzulassen, der sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientiert, anstatt sich in idealistischen Wertediskussionen zu verstricken, die an der Lebenswirklichkeit der meisten Mittel- und UnterschichtsbewohnerInnen komplett vorbei gehen. Aber die Lösung dieses Problems kann - jedenfalls aus meiner Sicht - nicht darin bestehen, sich als Linke auf die Methodik rechter Populisten einzulassen, die ihren Anspruch auf Vertretung der wahren Interessen des Volkes schon immer damit zu legitimieren suchten, dass sie diesem von ihnen selbst definierten Volkswillen leicht zu identifizierende, personalisierte Antagonisten mit einem eigenen, klaren Willen gegenüber stellen, und dann alle die sich ihre Sündenbocktheorien nicht zu eigen machen wollen wahlweise als naive Opfer oder - falls sie sich nicht doch noch zur einzig wahren Wahrheit bekehren lassen ("Wacht endlich auf!") - als willfährige HelfershelferInnen der Volksfeinde auszugrenzen und selbst zu absoluten Feinden der Bewegung zu erklären.


    Die berüchtigte "verkürzte Kapitalismuskritik" ist sicher nicht automatisch antisemitisch oder faschistisch. Aber wenn sie in Form einer Sündenbocktheorie daher kommt, die den besorgten BürgerInnen als Grund für ihre berechtigten Sorgen leicht zu identifizierende Feindbilder in Form der großen Systemprofiteure präsentiert, dann suggeriert sie besonders Leuten, die sich - wie viele der Menschen die sich hinter den sogenannten "Querdenkern" dichtgedrängt auf deutschen Marktplätzen versammeln - bisher noch nie ernsthaft mit solchen Fragen auseinandergesetzt haben, dass es eigentlich gar nicht das kapitalistische System ist, welches ihre ökonomische und soziale Existenz bedroht, sondern nur eine Kabale aus finsteren, bösartigen Übeltätern oder einfach aus unfähigen PolitikerInnen, die nicht Willens oder in der Lage sind, es so am laufen zu halten, wie es die herrschende Ideologie verspricht, und die man eigentlich nur endlich mal aus dem Weg schaffen und gegen fähigere Führungsfiguren austauschen müsse, damit alles so weiter gehen kann wie bisher.


    Das Ergebnis dieser Art von "Systemkritik" (draining the swamp by swimming in it) kann man gerade in den USA live beobachten.

  • Wenn ich das einfach als bijektiv annehme und herumdrehe steckt in dem Satz auch, dass unsere Regierung vom kapitalistischen Judentum gestellt wird. Muss der letzte Schritt vor der jüdischen Weltverschwörung sein

    Diese Vorstellung von "strukturellem Antisemitismus" ist eine vollkommen absurde Theorie.

    Ihre AnhängerInnen geben durchaus zu, dass nicht jeder der den Kapitalismus "verkürzt" kritisiert ein überzeugter Antisemit sein müsse. Sie deklarieren aber eine Art des Denkens - also zum Beispiel das Kritisieren von Personen anstatt von Verhaltnissen (s.o.) als antisemitisches Denkmuster und folgern daraus in etwa: "wer denkt wie ein Antisemit, der ist auch einer - selbst wenn er es selbst gar nicht weiß".


    Aber Utan, Du alter verlogener Heuchler, Du hast doch genau diese Art des Denkens weiter oben gerade erst kritisiert!


    Stimmt. Aber ich halte das nicht für "strukturell antisemitisch", sondern einfach nur für falsch und gefährlich, weil es - genau wie konsequent durcheskalierte linke Identitätspolitik! - genau das Gegenteil von Gemeinschaft und Solidarität schafft, sondern die ohnehin schon herrschenden Antagonismen noch weiter potenziert und am Ende zu einer Situation führen kann, in der keine Seite mehr dazu in der Lage ist noch geradeaus zu denken.

  • Eins vorweg. Mir liegt es fern über einen Geist zu sprechen, der irgendwie durch manche Beiträge spuckt.

    Zitat von Utan

    Aber wenn sie in Form einer Sündenbocktheorie daher kommt, die den besorgten BürgerInnen als Grund für ihre berechtigten Sorgen leicht zu identifizierende Feindbilder in Form der großen Systemprofiteure präsentiert, dann suggeriert sie besonders Leuten, die sich - wie viele der Menschen die sich hinter den sogenannten "Querdenkern" dichtgedrängt auf deutschen Marktplätzen versammeln - bisher noch nie ernsthaft mit solchen Fragen auseinandergesetzt haben

    Soweit so kompliziert. Der Autor stellt ja den Umgang als Ursache infrage nicht die Kritik an den jetzt vermittelten Botschaften oder der Unvernunft als Folge. Wie man dem mit Präsenz wirksam begegnen kann, dafür liefert er auch ein konkretes Beispiel aus Frankreich. Die Hypothese ist, dass die nun berechtigterweise kritisierte Dinge unter anderem aus einer reflexartigen Ablehnung und fehlendem eigenem Engagement herrühren. Über die aufgeführten Ursachen kann man streiten. Man muss sich nicht wundern, wenn man eine Bewegung von Beginn an mit Ablehnung begegnet, dass sie sich anderweitig orientiert und fragwürdige Charaktere das Momentum für sich nutzen.

    Dass gewisse Kritik berechtigt war, ist ja nicht mehr zu übersehen. Anknüpfungspunkte hätte es da geben können. Die Erkenntnis reift langsam, aber widerwillig. Parallelen zum Wirken in abgehängten Regionen sind sicher rein zufällig.

  • vielleicht meinst Du es nicht so und ich verstehe es falsch, aber wenn Du schreibst...:

    wenn man eine Bewegung von Beginn an mit Ablehnung begegnet, dass sie sich anderweitig orientiert und fragwürdige Charaktere das Momentum für sich nutzen.

    ...dann ließt sich das leider genau so,als wolltest Du damit in das selbe Horn stoßen, aus welchem unser Quergeist hier seit einiger Zeit ebenfalls herum trötet, indem er den Linken, die sich geweigert haben, einer Bewegung nach dem Maul zu reden, die von Anfang an von Leuten mit ganz klar verschwörungsideologischen Ansätzen dominiert und organisiert wurde, jetzt die Schuld dafür in die Schuhe schiebt, dass rechtsnationale Agitatoren sie für ihre Zwecke missbrauchen.

  • Nicht nach dem Maul reden nein. Aber woher kommt die Dominanz? An mangelnder öffentlich Ächtung lag es sicher nicht. Vor Ort dagegenhalten, Verständnis für die Situation zeigen, Masken verteilen Unterstützung organisieren und die Aufklärung betreiben, die du auch immer wieder beklagst, sind für dich sinnlos, obwohl das in Frankreich funktioniert?

  • zur politischen schuldfrage kann ich nix sagen, aber was mir an der internen "diskussion" aufgefallen ist: es war von anfang an ein 0 oder 1 thema - leugner oder wissender / schlafschaf oder erwachter, egal aus welcher position die argumentation kam. hier im forum wurden quellen verboten die eigentlich recht befruchtend sind und ich hatte überspitzt formuliert das gefühl entmündigt zu werden - da man vor den bösen informationen der subtilen agitatoren schützen muss...und man das natürlich den unterbeleuchteten und leicht zu verführenden mitlesenden nicht allein überlassen sollte (sapere aude :S). kann ja nachvollziehen eine gewisse verantwortung für mitlesende übernehmen zu wollen, aber das will claus-dieter ja auch nur. keine ahnung ist schwierig...im alten klima-thread war zwar für die beteiligten nervig, aber durch die möglichkeit der beobachtung der diskussion konnte man sehr viel lernen (quellen, argumente, gegenargumente, usw.). hoffe es ist nicht zu kritisch und niemand fühlt sich schlipsgetreten.

    Im alten Klima-Thread gab es ein gewisses Gleichgewicht zum Quälgeist, weil Para da noch mit am Start war. Die anderen Forenten konnten abseits vom Geplänkel frei aufspielen. Dem scheints übrigens gutzugehen. Er twittert sei ein paar Wochen wieder in alter Manier, falls sich noch jemand Sorgen gemacht hat. ^^

  • Utan kann deinen Argumenten gut folgen, aber selbst für deine Verhältnisse...

    Und wenn sich die pauschale Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie dann auch noch an pseudowissenschaftlichen bis offen verschwörungsideologischen "Argumenten" festmacht, welche die Legitimität jeglicher Maßnahmen von Grund auf dadurch in Frage stellen, dass sie die ihnen zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse als Lügen und fremdgesteuerte, von Politik und Medien zur gezielten Panikmache eingesetzten Propaganda abtun - Wie sollen sich dann Linke, die eigentlich traditionell den Anspruch haben, ihre Systemkritik an historischen Entwicklungen, empirisch zu beobachtenden und wissenschaftlich begründbaren - sprich: an materiellen, greifbaren, konkreten - Verhältnissen festzumachen und nicht an ideologischen Zirkelschlüssen, dazu verhalten?

    ...war der Satz (!) etwas sperrig!



    Was ich tatsächlich beobachten kann ist, dass durch die Krise Leute (die ich früher eher als linksideologisch bezeichnet hätte) sich nun aufgrund eines Vakuums eines großangelegten echten linken Populismus in der Corona Krise nun wirklich eher verkappt neolibertären Strömungen anbiedern. Ist aber eine Beobachtung aus meinem Umfeld, nicht zwangsläufig ein weitläufiges Phänomen.

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