HANS JESSEN SHOW - Deine Politiksprechstunde

  • die vermögensverteilung in deutschland würde ich allerdings auch nicht in erster linie an alterskohorten festmachen, sondern an sozialstrukturen, die quer durch altersgruppen hindurchgehen. es gibt doch zweifellos schon jetzt relativ junge erben, denen vermögen und besitz früh in den schoß fällt.

    Ja, Erben...

    Während die Nachkriegsgeneration und die 68er noch das Aufstiegsversprechen ausgekostet haben, ist die höchste Wahrscheinlichkeit aktuell junger Generationen zu Wohlstand zu gelangen, dass ein Erbe anfällt. Wir müssen doch hier nicht wieder ganz bei null anfangen mit der Kapitalismuskritik, will ich hoffen.

    die restriktionen des ersten shutdowns waren eindeutig mit dem schutz besonders vulnerabler gruppen begründet worden - an vorderster stelle sehr alte menschen.

    die einschränkungszumutungen ( wenn du so willst: die solidaritätsanforderungen) haben aber eben alle anderen demografischen gruppen getroffen, gar nicht speziell "die jungen". ich finde, du machst hier eine in falscher weise polarisierende frontstellung auf,

    Was Du vergisst zu erwähnen, tatsächlich ernsthaft betroffen von Corona waren fast nur die Alten (60+ wenn man großzügig sein will). Und ja, ja, Spätfolgen, bla bla. Alles schon tausend Mal gehört, ist trotzdem eher die Ausnahme und heißt auch nicht, dass ich den ganzen Mist auf die leichte Schulter nehme.

    in einer größeren stadt mit einer ziemlich viralen jüngeren community lebend, mit familiären einbindungen in diverse szenen ist es schon meine "gefühlte wahrheit" , dass es "die jugend" in bezug auf pandemie-verhalten so wenig gibt wie "die alten". es gibt da wie dort sub-kulturen, die sich außerordentlich verantwortungsvoll verhalten - und da wie dort sub-kulturen, denen das mehr oder weniger scheißegal war (und ist).

    Das weiß ich, ich lebe selbst in einer Großstadt.

    Worauf ich hinaus wollte, habe ich mehrfach geschildert und dass auch mit einer Generalisierung nie alle gemeint sind, sollte auch selbstverständlich sein in solchen Debatten.

    wenn wir etwas aus den epidemiologischen verläufen des vergangenen jahres gelernt haben könnten, dann ist es doch das: die verbreitungsdynamik steht weniger im zusammenhang mit alter sondern mit kontakthäufigkeit, die sich in mobilität ausdrückt.

    das ist das kriterium. mobilität - als kontakthäufigkeit- ist allerdings durchaus nicht ohne korrelation zu altersstruktur.

    übrigens ist der "lohn", den jüngere menschen für kontaktreduzierung erhalten (können), durch nicht nur "gotteslohn". das durchschnittsalter der intensivpatienten sinkt kontinuierlich, intensivmediziner berichten übereinstimmen von einer wachsenden zahl schwerer (und auch tötlicher) krankheitsverläufe bei jüngeren menschen. der prozentual stärkste zuwachs von infizierten liegt in den letzten wochen in den gruppen der 10 - 30-jährigen.

    wenn die versuchen, infektionen zu vermeiden, tun sie es für ihre eigene gesundheit.

    long covid ist am brutalsten für menschen, die noch ein besonders langes leben vor sich haben (sollten).

    Verbreitung hin, Verbreitung her.

    Wenn mir selbst mit Covid als relativ jungem Menschen nicht viel passiert, und zumindest für die "normale" Variante war das nunmal der Fall (und ja, ich weiß, dass es auch junge schlimm treffen kann, aber in welchem Verhältnis...), dann schränke ich mich daher hauptsächlich aus Solidarität für die, die eine Infektion wahrscheinlich schwer treffen würde, ein.

    Ja, das Durchschnittsalter der Patienten sinkt, wir sind aber immer noch weeeeit davon entfernt, dass Covid auch nur ansatzweise so gefährlich für jüngere Menschen wäre, wie für ältere. Und wenn in den Medien davon geredet wird, dass jetzt vermehrt auch jüngere Menschen schwer betroffen wären, dann geht es bei diesen "jüngeren Menschen" hauptsächlich um Menschen 60+...

    Starke Zuwächse an Infizierungen mag es bei der Gruppe 10-30 geben, aber von welchem Basiswert gehen wir da aus? Was prozentuale Angaben angeht, sollte ein Medienprofi wie Du ja gut genug wissen, dass man da viel Unheil mit treiben kann.

    Und natürlich schützt sich auch jeder selbst, wenn er die Regeln einhält, darum geht es in dieser Debatte aber nunmal überhaupt nicht.

  • Wir müssen doch hier nicht wieder ganz bei null anfangen mit der Kapitalismuskritik, will ich hoffen.

    sorry wenn ich da mal einhake, aber...


    Doch, offensichtlich müsste man das.


    Der Kapitalismus ist ja nicht von den Alten "gemacht" worden, um die jungen auszubeuten, sondern er ist ein Gesellschaftssystem, das von allen Mitgliedern der Gesellschaft aufrecht erhalten wird. Jede geldwerte Inanspruchnahme einer scheinbar einfachen kommerziellen technischen "Lösung", die das gefühlte Leben leichter, schneller, "effizienter" macht, ist ein Beitrag zur Akkumulation von Kapital in den Händen jener, denen die Unternehmen, die Patente, die Softwarelizenzen - sprich: Mittel zur Produktion dieser "Lösungen" als privates Eigentum gehören. Der Konsum treibt das Geschäft. Und je jünger die Menschen sind, umso konsumfreudiger sind sie - und umso empfänglicher für die Versprechen der "Lösungs"-Anbieter.

    Über lange Zeit galten in der westlichen Marktgesellschaft Menschen zwischen 14 und 49 Jahren als die "werberelevante Zielgruppe". Das hat sich mittlerweile zwar deutlich zu den über 50 Jährigen verschoben, aber die fixe Idee von der Konsumfreiheit als Ausdruck eines selbstbestimmten, "freien" Lebens in der bürgerlichen Gesellschaft, wird auch heute noch mittles der stark ausgeweiteten technologischen sozialmedialisierung der Gesellschaft den jüngsten MarktteilnehmerInnen am intensivsten in den Kopf gesetzt, damit es dort auch bis ins hohe Alter hängen bleibt. Die erfolgreichen "InfluencerInnen" für Menschen über 65 auf Instagram kann man wahrscheinlich an einer Hand abzählen.


    Dass sich dabei bei einem Teil der Gesellschaft Wohlstand ansammelt, während er beim anderen Teil der Gesellschaft weniger wird ist keine Entwicklung, die erst von statten geht, seit die Leute die heute Alte "Boomer" sind noch junge RevoluzzerInnen waren

    Die Jungen von heute sind die Alten von morgen. Die Erben von morgen sind die Erblasser von übemorgen. Das war schon immer so, seit es etwas zu vererben gab und man das per Gesetz so festgelegt hat.


    Und egal wie alt wir sind - so lange wir hier im goldenen Westen leben, profitieren wir alle davon, dass in anderen Teilen der Welt gnadenlos Menschen und Natur ausgebeutet, und die Erträge daraus zur Steigerung von Wohlstand für alle™ hier bei uns verwendet werden. Die Leidtragenden dieser Ausbeutung sind nicht exklusiv die jungen Menschen, sondern die Armen, und zwar generationsübergreifend.


    Wenn man das nachhaltig ändern will, dann muss man aus allen Altersgruppen Menschen dafür motivieren, sich für eine Transformation aus dem Kapitalismus einzusetzen. Mit identitären Parolen wie "Rentnerrepublik" wird man das ganz sicher nicht erreichen.

  • Der Kapitalismus ist ja nicht von den Alten "gemacht" worden, um die jungen auszubeuten...

    Das habe ich auch an keiner Stelle behauptet?

    Dass sich das Kapital vor allem bei den Alten sammelt hat schlicht zwei Gründe: Erstens mehr Lebenszeit dieses zu akkumulieren und Zweitens größere Nähe zum 2. WK. Letzterer fungiert als bisher letzter großer "Reset" des Kapitalismus (auch nicht in Absolutheit, weiß ich, aber in großen Teilen). Jetzt ist der Kuchen schlicht verteilt und wer neu dazukommt (die Jungen), streitet sich erstmal um die Restkrümel (Ausnahmen bestätigen die Regel).

  • Ich verstehe halt nicht, warum man da immer wieder Alt gegen Jung in Stellung bringen muss, anstatt sich auf Reich gegen Arm - oder noch besser auf Kapital gegen Nicht-Kapital - zu konzentrieren.


    Wenn Idiotische Alte "den Jungen" die Schuld an der Ausbreitung des Virus geben, muss man doch als relativ junger Mensch nicht genauso idiotisch argumentieren und "den Alten" die moralische Verantwortung dafür überhelfen, dass sie als junge Menschen damals für sich das gleiche Recht eingefordert haben, an der wachsenden Wohlstandsentwicklung nach dem 2. weltkrieg beteiligt zu werden, wie es die Jungen Leute heute an der Vermögensverteilung einfordern.


    Mein Verweis darauf, dass "die Alten" den Kapitalismus nicht erfunden hätten, war nichts was ich Dir in den Mund legen wollte, sondern lediglich als Hinweis darauf gedacht, dass die damals auch nur gemacht haben, was das kapitalistische System ihnen beigebracht hat.

    Das machen junge Leute heute in sehr großer Mehrheit immer noch ganz genauso. Dass dabei weniger für sie übrig bleibt, weil der westliche Kapitalismus sich vermutlich auf das Ende seines laufenden Zyklus zubewegt und nicht mehr ausreichend Wachstum nach unten durchtröpfeln lässt, ist die "Schuld" des Systems und nicht die "der Alten."

  • Wenn Idiotische Reiche "den Armen" die Schuld an der Ausbreitung des Virus geben, muss man doch als relativ armer Mensch nicht genauso idiotisch argumentieren und "den Reichen" die moralische Verantwortung dafür überhelfen, dass sie als arme Menschen damals für sich das gleiche Recht eingefordert haben, an der wachsenden Wohlstandsentwicklung nach dem 2. weltkrieg beteiligt zu werden, wie es die armen Leute heute an der Vermögensverteilung einfordern.


    Mein Verweis darauf, dass "die Reichen" den Kapitalismus nicht erfunden hätten, war nichts was ich Dir in den Mund legen wollte, sondern lediglich als Hinweis darauf gedacht, dass die damals auch nur gemacht haben, was das kapitalistische System ihnen beigebracht hat.

    Das machen arme Leute heute in sehr großer Mehrheit immer noch ganz genauso. Dass dabei weniger für sie übrig bleibt, weil der westliche Kapitalismus sich vermutlich auf das Ende seines laufenden Zyklus zubewegt und nicht mehr ausreichend Wachstum nach unten durchtröpfeln lässt, ist die "Schuld" des Systems und nicht die "der Reichen."



    Hab mal die Medaille umgedreht...

  • Ich bringe hier gar nichts in Stellung.

    Ich habe, und das war nunmal der Einstieg meinerseits, auf ein Abbügeln des Privileg-Gefühls, das die jungen Generationen offensichtlich haben (hier durch eine Verklausulierung in Juristerei), reagiert.


    Das hat nunmal Parallelen in der Klimadebatte (z. B. ihr lasst euch ja mit dem SUV zur Schule fahren), wie es auch Parallelen in der Kapitalismusdebatte (z. B. ihr kauft doch auch ständig Konsumgüter) hat.

  • Na ja. Ich schrieb ja nicht umsonst:



    Ich verstehe halt nicht, warum man da immer wieder Alt gegen Jung in Stellung bringen muss, anstatt sich auf Reich gegen Arm - oder noch besser auf Kapital gegen Nicht-Kapital - zu konzentrieren.

    Das Kapital, bzw. der kapitalistische Produktionsprozess und die kapitalistischen Verhältnisse die dadurch geschaffen und von uns allen - ob jung oder alt - mit aufrecht erhalten werden, ist der eigentliche Grund dafür, dass Reiche alles dafür tun, noch reicher zu werden [Edit: und damit Erfolg haben!].

    Deshalb ist der eigentliche Sinn von Kapitalismuskritik auch nicht, "die Reichen" als unmoralische Unmenschen zu verdammen und sie den edlen Armen als ultimative Hassobjekte gegenüber zu stellen (es sei denn sie legen es darauf an, indem sie Arme Menschen als "Schmarotzer" bezeichnen wie so mancher @Industrielle, oder indem sie sich als Retter der Menschheit vor dem Klimawandel aufspielen...), sondern ein System zu überwinden, welches es mit sich bringt, dass es überhaupt eine so krasse Unterscheidung zwischen Arm und Reich gibt.


    Ich bin jetzt echt ein bisschen erstaunt darüber, dass ich das selbst Leuten die hier schon lange mitlesen immer noch erklären muss.


    Dass Menschen mit der Zeit älter werden ist ein natürlicher Prozess.

    Am Kapitalismus ist hingegen gar nichts natürlich.


    Der Vergleich hinkt.

  • Ich bringe hier gar nichts in Stellung.

    Na aber Du hast Doch das Fass mit den jungen, die für ihre Solidarität mit den stärker von Covid19 betroffenen Alten nur einen "Gotteslohn" erhalten angeführt. Wie soll man dass denn sonst nennen?


    Ich will ja jetzt nicht hansj. 's job übernehmen und hier über sprachliche Semantik herum diskutieren. Aber wenn man die Interessen einer Gruppe Menschen gegen die einer anderen Gruppe Menschen aufrechnet, obwohl beide nicht Schuld an der Situation sind, die sie überhaupt erst in dieses ungleiche Verhältnis gesetzt hat, dann "stellt" man sie doch gegenüber, bzw. in diesem Fall gegeneinander.

  • Man kann sich eben auf eine Ursache allen Übels festlegen und alles andere mit Scheuklappen behandeln, muss man aber nicht.

    Muss man nicht.


    Aber ich ziehe es vor, die Ursache dieses speziellen Übels nicht einer bestimmten Gruppe von Menschen zuzuschreiben, die dafür genauso wenig allein verantwortlich ist, wie die andere Gruppe die alleinige leidtragende daran ist.


    Andererseits wird sich hier im Forum ja gerne - auch von mir selbst - über übertriebene Identitätspolitik aufgeregt. Aber wenn es dabei um junge gegen alte Identitäten geht, ist sie plötzlich legitim?


    Kann man so sehen.


    Muss man aber nicht.

  • Na aber Du hast Doch das Fass mit den jungen, die für ihre Solidarität mit den stärker von Covid19 betroffenen Alten nur einen "Gotteslohn" erhalten angeführt. Wie soll man dass denn sonst nennen?


    Ich will ja jetzt nicht hansj. 's job übernehmen und hier über sprachliche Semantik herum diskutieren. Aber wenn man die Interessen einer Gruppe Menschen gegen die einer anderen Gruppe Menschen aufrechnet, obwohl beide nicht Schuld an der Situation sind, die sie überhaupterst in dieses ungleiche Verhältnis gesetzt hat, dann "stellt" man sie doch gegenüber, bzw. in diesem Fall gegeneinander.

    Ich habe das Fass nicht aufgemacht, es ist offen. Und der Anrufer, dessen Namen ich leider gerade nicht parat habe, hat es angesprochen.

    Solidarität ist keine Einbahnstraße und Solidarität ist mehr als kalte, nackte Zahlen oder rechtliche Bestimmungen. Wenn die Wahrnehmung (im Sinne eines Gefühls) ist, dass die Alten erst auf Solidarität pochen und, sobald sie geimpft sind, die wilde Fahrt für sie zumindest einfach weiter- bzw. wieder losgehen soll, dann bereitet das dem ein oder anderen offensichtlich emotional leichtes Unbehagen. Dann formalistisch mit Juristerei zu argumentieren ändert daran nunmal nichts, sondern ist gefühlt einfach der doppelte, statt nur einem, Stinkefinger.


  • Solidarität sollte halt meiner Ansicht nach eigentlich nichts sein, was man nur übt weil man dafür eine Gegenleistung erwartet, sondern weil man der Ansicht ist, dass sie allen Betroffenen in einer schwierigen Situation eher nützt als wenn jede/r einzelne, oder jede einzelne Interessengruppe für sich selbst kämpft.


    Aber ich bin ja hier auch der verbohrte linke Realitätsverweigerer.


  • Solidarität sollte halt meiner Ansicht nach eigentlich nichts sein, was man nur übt weil man dafür eine Gegenleistung erwartet, sondern weil man der Ansicht ist, dass sie allen Betroffenen in einer schwierigen Situation eher nützt als wenn jede/r einzelne, oder jede einzelne Interessengruppe für sich selbst kämpft.


    Aber ich bin ja hier auch der verbohrte linke Realitätsverweigerer.

    Wo habe ich etwas von "Gegenleistung erwarten" geschrieben?

    Wenn Solidarität aber als Einbahnstraße wahrgenommen wird, führt das gern zu Mißmut.

    Ob dann die Wahrnehmung fehlgeleitet ist oder was auch immer, ist eine andere Frage.


    Ich habe auch von Mercedes keine "Gegenleistung" erwartet dafür, dass, auch aus meinen Steuern, Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, wenn aber die erste Folge ist, massig Knete an Anteilseigner auszuschütten, hält sich mein Verständnis arg in Grenzen.

    Und bevor mir das wieder falsch ausgelegt wird, das soll nicht alte Menschen und asoziale Konzerne gleichsetzen, es soll nur veranschaulichen, was der Gedankengang hinter oben genannter Wahrnehmung sein könnte.

  • Wenn Solidarität aber als Einbahnstraße wahrgenommen wird, führt das gern zu Mißmut.

    Ob dann die Wahrnehmung fehlgeleitet ist oder was auch immer, ist eine andere Frage.

    Ja das stimmt natürlich.

    Ich habe auch von Mercedes keine "Gegenleistung" erwartet dafür, dass, auch aus meinen Steuern, Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, wenn aber die erste Folge ist, massig Knete an Anteilseigner auszuschütten, hält sich mein Verständnis arg in Grenzen.

    Aber fruchtoase,


    Du hast doch der deutschen Autoindustrie nicht aus Solidarität Geld gespendet, damit sie Arbeitsplätze sichert, sondern Deine Bundesregierung hat das erst mal aus der Staatskasse finanziert, ohne Dich zu fragen.

    Und das Geld wird sich die nächste Bundesregierung sehr wahrscheinlich - ebenfalls ohne Dich zu fragen - von Dir über Steuern wieder zurück holen, damit sie die Schwarze Null - die Du vermutlich gar nicht haben willst - endlich wieder zum Zentrum einer seriösen Fiskalpolitik machen kann, und sich dabei das Geld für den ausgeglichenen Staatshaushalt nicht von den @Industriellen und ihren Unternehmen holen muss, und damit womöglich das Investitionsklima versaut und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes gefährdet.


    Findest du nicht, dass das ein Unterschied ist?

  • Lieber Utan,


    natürlich ist da ein Unterschied zu erkennen. Aber Du weißt so gut wie ich, dass es sich beim Kurzarbeitergeld schlicht um eine Form institutionalisierter Solidarität handelt. So wenig wie ich aus Solidarität Arbeitslosen Geld spende, so wenig spende ich für Unternehmen in Not. Dafür ist, so weit sind wir den USA in der Individualisierung von Verantwortung ja zum Glück noch nicht gefolgt, völlig zurecht der Staat zuständig. Dass es sich trotzdem der Idee nach um einen Solidaritätsmechanismus handelt, damit unvorhersehbare Missgeschicke, sowohl für Individuen als auch für Unternehmen (was bezogen auf Arbeitnehmer ja auch wieder Individuen betrifft), nicht immer gleich den Todesstoß bedeuten, wirst Du doch nicht bestreiten wollen?

    Dass ich im Detail mit der politischen Ausgestaltung dieser Mechanismen nicht ganz konform gehe, auch das wird Dich nicht überraschen und dass ich die Beschaffung der Mittel für solche Mechanismen, nämlich durch Umverteilung von unten nach oben, nicht goutiere, vermutlich ebensowenig.


    Zusammenfassend: Ja, selbstverständlich ist da ein Unterschied. Aber genauso selbstverständlich sind da auch Parallelen und eigentlich, lieber Utan, hatte ich gedacht, mich mit meinem letzten Satz, dahingehend, dass meine Argumentation nicht als Gleichsetzung zu betrachten sei, deutlich genug ausgedrückt zu haben.

  • Okay. Fruchtoase.


    jetzt bin ich neugierig.


    Was ist denn bitte "institutionalisierte Solidarität"?


    Wenn der Staat, oder sonst eine übergeordnete Instanz seine Bürger dazu zwingen muss, mit der Autoindustrie, oder eben mit alten Menschen "solidarisch" zu sein, dann erscheint mir der Begriff in diesem Zusammenhang doch etwas missbräuchlich verwendet.

  • Habe ich doch geschrieben, das Kurzarbeitergeld, Arbeitslosenhilfe etc.

    Halt alle sozialen Schutzsysteme, die nicht auf individuellen Spenden, sondern auf Staatsleistungen, die man einklagen kann, basieren.

    Und das hat nichts mit "Zwang" zu tun, sondern damit, dass der Staat grundsätzlich Aufgaben übernimmt, die die Interessen des Einzelnen oftmals nur mittelbar abbilden.


    Willst Du jetzt nur stänkern oder was soll der Quark?

  • Willst Du jetzt nur stänkern oder was soll der Quark?

    Nein. Ich wollte von Dir eigentlich eine Definition des von Dir eingeführten Begriffes "institutionalisierte Solidarität" haben.


    Vielleicht besteht hier eine Verwechslung von "Solidarität" mit dem was in Deutschland als "Solidaritätsprinzip" bezeichnet wird und die Grundlage der gesetzlichen Sozialversicherung bildet (bzw. bildete, bis man damit anfing, z.B. die umlagefinanzierte Rente zu reduzieren und die Leute damit in die kapitalgedeckte private Altersvorsorge zu treiben, und so der privaten Versicherungswirtschaft ein Milliardengeschäft in die Hände legte.)


    Dieses staatspolitisch definierte Solidaritätsprinzip liegt natürlich auch dem sogennaten Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost zu grunde. Auch hier werden SteuerzahlerInnen per Gesetz dazu "gezwungen", prozentual zu ihrer Einkommensteuer einen "solidarischen" Beitrag zu leisten, der anderen Menschen zu Gute kommen soll, ohne dass die Zahlenden dafür eine unmittelbare Gegenleistung erhalten.

    Der "Soli" ist also genau so eine "Einbahnstrasse" für die Identitätsgruppe "Wessis" (oder für die Identitätsgruppe "Ossis", die sogar einen höheren Satz zahlen, aber vielleicht gar nicht in einer strukturschwachen Ost-Region wohnen), wie es die gesetzliche Krankenversicherung für gesunde Menschen ist, die mit ihren Beiträgen die Leistungen für kranke Menschen finanzieren.


    Die "Gegenleistung" soll sich hingegen - so die Theorie - daraus ergeben, dass die Gesellschaft insgesamt davon profitiert, wenn Menschen ohne Arbeit oder im Alter nicht massenhaft verarmen und verelenden, wenn sie nicht an heilbaren Krankheiten sterben, weil sie sich keinen Arzt leisten können, oder wenn sie nicht langzeitarbeitslos werden, weil sie in strukturschwachen Landesteilen leben, oder wenn sie nicht knappe Intensivstationsbetten belegen, weil sie sich mit Covid19 infiziert haben, etc.

    Der moderne, bürgerliche Staat sieht sich hier also - so die Theorie - als Organisator des gesamtgesellschaftlichen sozialen Zusammenhaltes, definiert ein gemeisames Interesse, schreibt das in entsprechenden Gesetzen fest, und verpflichtet damit alle StaatsbürgerInnen und sonstige Menschen, die sich in seinem Hoheitsbereich aufhalten, sich an diese Gesetze zu halten.


    Entstanden ist die Idee der Solidarität als Prinzip aber eigentlich nicht aus der Staatstheorie, sondern aus der Arbeiterbewegung, deren Mitglieder sich solidarisierten, um sich gemeinsam gegen die Übermacht des privaten Kapitals (oder wie in Polen vor der Wende die Gewerkschaft Solidarność gegen den unterdrückerischen Staatskapialismus des "real existierenden Sozialismus") und gegen die Ausbeutung, die daraus erwuchs, gemeinsam und solidarisch zur Wehr zu setzen, und sie wird auch heute noch als freiwilliger Zusammenschluss von Menschen mit gleichen Interessen, bzw. einem gemeinsamen Ziel definiert - ungeachtet der Frage, ob einzelne Mitglieder solcher Solidargemeinschaften nun mehr oder weniger davon profitieren, weil es dabei eben um ein gemeinsames Interesse aller Mitglieder geht, und nicht darum, für jedes Individuum eine angemessene Gegenleistung für sein individuelles Engagement zu erwirken.


    Wenn ich nun aber z.B. die Gesellschaft in identitär - also durch voneinander eindeutig abzugrenzende, unveränderbare Identifikations- und Identitätsmerkmale, wie. z.B. die Hautfarbe, das Geschlecht, oder eben das Lebensalter - definierte Gruppen einteile und ihnen aufgrund dieser unterschiedlichen Identiäten auch gleichsam unterschiedliche, einander zumindest in Teilen widersprechende Interessen attestiere, und mich dann selbst einer jener Gruppen zuordne, dann kann ich nicht im selben Atemzug behaupten, ich hätte mich mit einer anderen Gruppe "solidarisch" gezeigt, und mich dann darüber beschweren, dass ich, bzw. meine eigene Gruppe, dafür keine entsprechende Gegenleistung erhalten habe, weil meine Unterstützung jener anderen Gruppe dann eben nicht auf einem gemeinsamen, solidarischen Interesse beruhte, sondern - wie .z.B. im Fall der laufenden Pandemie und der Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Gruppe der Jungen zum hautsächlichen Schutz der dem Virus gegenüber vulnerableren Gruppe der Alten - auf einem von außerhalb meiner eigenen Gruppe definierten interesse der nationalen Gemeinschaft, bzw. ihrer Staatsregierung.


    Deshalb ist die Teilnahme am staatspolitischen "Solidaritätsprinzip" ja auch keine Option - jedenfalls dann nicht, wenn man lohnabhängig arbeitet und seinen "Solidarbeitrag" per Gesetz vom Arbeitslohn abgezogen bekommt -, sondern eine Pflicht.


    Das kann man ja gerne kritisieren - vor allem wenn es sich dabei im hyperindivdualisierten, auf (scheinbaren) indivduellen Nutzen maximierten, neoliberalen Spätkapitalismus unserer Tage eigentlich nur noch um einen per Gesetz oktroyierten "Zusammenhalt" handelt, der ohne staatliche Ordnungsmacht dahinter vermutlich längst zusammengebrochen wäre - aber dafür eine, als außerhalb der eigenen Interesssengruppe stehend identifizierte Gruppe verantwortlich zu machen, und nicht die systembedingt ungleichen gesellschaftlichen Verhältnisse - oder wie hansj. es nannte, die...:

    sozialstrukturen

    ... - ist eigentlich genau die "bürgerliche" Sichtweise, die verhindert, dass aus einer, vom staatlich verordneten "Solidaritätsprinzip" noch irgendwie zusammengeflickten Gesellschaft als Ansammlung gegensätzlicher bis verfeindeter Interessengruppen, irgendwann vielleicht doch noch mal eine tatsächlich solidarische Gemeinschaft werden kann.

  • Wenn dir Solidarität nur dann solidarisch genug ist wenn sie jeder mit Freude dem anderen zukommen lässt, ohne soziale oder juristische Kontrolle oder Zwang, bitte sei dir unbenommen, aber lass andere anders reden und schreiben. So eine Anarchosolidarität gibt es im sozialen Nahbereich des (vielleicht nich ganz all-) täglichen Umgangs, aber darüber hinaus braucht's gesetztes Recht.

    Zumal in diesem Recht auch nicht eine absolute Gegenseitigkeit festgeschrieben ist, sondern eine bezogen auf die Individuelle Leistungsfähigkeit, der chronisch Kranke wird mit versorgt wie der Behinderte oder der der einfach alt wurde. Dass das alles ausbaufähig ist, keine Frage, aber in Fundamentalopposition zum Sozialstaat zu gehen, weil der nicht in deinem Wunschsystem stattfindet ist ja schon fast kindisch. In Skandinavien gibt's konkurrenzfähige Systeme von denen wir lernen könnten, meiner Anschauung nach, aber sonst ist es ganz schön düster auf der Welt.


    Deshalb ist die Teilnahme am staatspolitischen "Solidaritätsprinzip" ja auch keine Option - jedenfalls dann nicht, wenn man lohnabhängig arbeitet und seinen "Solidarbeitrag" per Gesetz vom Arbeitslohn abgezogen bekommt -, sondern eine Pflicht.

    Ja klar, das ist so in einer verfassten Gesellschaft und auch der nicht lohnabhängige wird sich zweimal überlegen ob die Sozialbeiträge die richtige Station zum Betrügen/ Hinterziehen/ Unterschlagen sind weil deutsche Staatsanwälte da relativ spaßbefreit sind, mit recht/Recht.


    Das kann man ja gerne kritisieren - vor allem wenn es sich dabei im hyperindivdualisierten, auf (scheinbaren) indivduellen Nutzen maximierten, neoliberalen Spätkapitalismus unserer Tage eigentlich nur noch um einen per Gesetz oktroyierten "Zusammenhalt" handelt, der ohne staatliche Ordnungsmacht dahinter vermutlich längst zusammengebrochen wäre - aber dafür eine als außerhalb der eigenen Interesssengruppe stehend identifizierte Gruppe verantwortlich zu machen und nicht die systembedingt ungleichen gesellschaftlichen Verhältnisse - oder wie hansj. es nannte, die...:

    sozialstrukturen

    ... - ist eigentlich genau die "bürgerliche" Sichtweise, die verhindert, dass aus einer vom staatlich verordneten "Solidaritätsprinzip" noch irgendwie zusammengeflickten Gesellschaft als Ansammlung gegensätzlicher bis verfeindeter Interessengruppen irgendwann vielleicht doch noch mal eine tatsächlich solidarische Gemeinschaft werden kann.

    Ja der Neoliberalismus hat gerade Oberwasser, und es gibt Ungleichheit in allen Ausprägungen da gibt's aber auch Gegenströmungen. Was es nicht geben wird ist ein Raum wie Deutschland oder gar Europa ohne Interessengruppen und einem auf schulterbreite verengtem Meinungskorridor.

    Der shit-hitting-fan-Moment der nötig wäre damit dieser neue Neuemensch aus den dann entstehenden Ruinen vielleichteventuellmitganzvielGlück auferstehen kann, den möchte ich weder meinen Kindern noch irgendeiner Nachfolgegeneration zumuten.

    Dein staatlich verordnetes in Anführungszeichen gesetztes Solidaritätsprinzip, ist mein dem Staat abgetrotztes Solidaritätsprinzip, ausbaufähig aber besser als nix.



    Ich bin jetzt echt ein bisschen erstaunt darüber, dass ich das selbst Leuten die hier schon lange mitlesen immer noch erklären muss.

    Ja mei...

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