#485 - Kognitionspsychologe Christian Stöcker

  • Dienstag. Live ab 17 Uhr.



    SPIEGEL-Kolumnist Christian Stöcker LIVE im Studio über sein Buch "Das Experiment sind wir: Unsere Welt verändert sich so atemberaubend schnell, dass wir von Krise zu Krise taumeln. Wir müssen lernen, diese enorme Beschleunigung zu lenken." - Bringt euch ein mit euren Fragen HIER oder im Livechat!


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  • Nehmen wir an der Kapitalismus ist, wie viele Wissenschaftler sagen, in einer Krise und unser Gesellschaftssystem befindet sich in einem Umbruch.

    Welchen Einfluss hat ein solcher gesellschaftlicher Bruch auf unsere Psyche?

    Gibt es heute Parallelen zu anderen Brüchen in der Geschichte?

    Kann man aus Entwicklungen wie dem erstarken von Verschwörungstheorien oder der Rechtsextremen auf solch einen Bruch schließen?

  • Lässt sich in der Forschung erkennen, ob sich parallel zum beschleunigten Weltgeschehen auch unsere kognitiven Fähigkeiten und Anpassungsfähigkeit des Hirns und der Psyche verändert haben? Oder müssen wir aufgrund einer "veralteten" Hard- und Software zwangsläufig in eine Überforderung geraten?


    Nachtrag: Oder sind wir vielleicht von Natur aus schon darauf ausgelegt, mit einem permanenten Krisenmodus umzugehen? Nur heute eben weniger Säbelzahntiger und mehr Finanz-/Corona-/Klimakrisen - also in größeren globalen Maßstäben?

  • "The greatest shortcoming of the human race is our inability to understand the exponential function." (Prof. Albert Bartlett) link

  • Danke für die Erklärung, ich kenne die Antwort durch z.B. Stöckers Kolummnen und Daniel Jung auch schon, wollte es nur als Frage allgemein in den Raum werfen, falls es auch andere interessiert!

  • Nun ist die Fragestunde leider schon rum - mich hätte noch brennend interessiert, ob der Gast eine Vorstellung davon hätte, wie man beschriebenes Problem angehen könnte.

    Damit meine ich nicht, wie ich der breiten Bevölkerung explizit Exponentialfunktionen verständlich mache. Exponentielles Wachstum ist ja nur ein Teil der Komplexität, die augenscheinlich einem wachsendem oder lauter werdenden Teil der Bevölkerung über den Kopf wächst.


    Es fällt oft leicht dem Querdenker oder dem Verschworungstheoretiker Dummheit oder sogar Boswilligkeit vorzuwerfen und sich wie ein Katastrophentourist angeekelt aber entertained über sie auszulassen. Aber eigentlich muss man doch einsehen, dass unser Wissen und unsere Attitüden, die uns Verständnis und oder die "Kraft" geben mit dieser Komplexität umzugehen, nicht unbedingt selbstverständlich sind.


    Ist Bildung der einzige Weg, um das einzudämmen? Müssen wir uns als Gesellschaft Gedanken um den Grad der Komplexität machen und versuchen, ihn aktiv zu beeinflussen?

    Mit wissenschaftlichen Erkenntnisgewinne und Fortschritt, enger getakteten Umbrüchen wie z.B. In der Arbeitswelt und zukünftig ebenfalls enger getakteten Disruptionen durch Klimaschäden, wird die Komplexität doch realistisch betrachtet stark zunehmen, oder nicht?


    Steigt die Komplexität eventuell sogar exponentiell oder wird sie es irgendwann? Wie können wir dann noch davon ausgehen, dass die menschliche Psyche mithalten kann? Oder unterliegt der Gedanke, dass wir uns irgendwann in unserer eigenen Welt verlieren könnten , einem fundamentalen Fehler meinerseits?

  • Eine demokratische Gesellschaft braucht "Abweichler". Sie lebt vom Diskurs unter Einbeziehung auch scheinbar unbequemer Meinungen.

    Diese speziellen "Abweichler" - also die sogenannten "Querdenker" - wollen aber eigentlich gar nicht abweichen. Die wollen den alten, ohnehin schon nur noch sehr fadenscheinigen gesellschaftlichen Konsens zurück haben, der vor der Pandemie herrschte, und werfen den Regierungen vor, dass sie mit den Maßnahmen davon abweichen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine konservative Haltung.


    Das heißt keineswegs im Umkehrschluss, dass die politische Führung sich besonders fortschrittlich verhielte. Auch die Maßnahmen werden ja letztendlich damit begründet, dass man nur durch harte Einschränkungen jetzt später eine Chance habe, den Status Quo ante Corona wieder herzustellen.


    Der "Diskurs" zwischen MaßnahmenbefürworterInnen und MaßnahmengegnerInnen dreht sich hier überhaupt nicht darum, wie man die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Besseren verändern könnte, sondern lediglich darum, wer das bessere Rezept hat um sie aufrecht zu erhalten.

  • Ich bezog dein "das" auf die vorausgehenden beiden Absätze. Wenn ich ich dich richtig verstehe, dann siehst du einen "lauter werdenden Teil der Bevölkerung", der sich unter anderen in der "Querdenker"-Bewegung organisiert, als ein Problem an

    Soweit OK.



    das man mit "Bildung eindämmen" könne.

    Wenn es darum geht, dass Menschen bestimmte Sachlagen nicht oder nur schwer nachvollziehen können, fällt das nun mal meist in den Aufgabenbereich der Bildung. In welcher Form auch immer. Tatsächlich sollte meine Frage in diesem Fall einen gewissen Zweifel daran andeuten, dass Bildung dazu in der Lage sein könnte. Wohl eher schlecht ausgedrückt.


    Dann halte ich dem entgegen, dass Bildung, sofern sie diesen Namen verdient, mehr Quer- und Andersdenker produziert und nicht weniger. Das alternative Konzept, welches Konformität befördert, wäre die Dressur.

    Klingt erstmal nach etwas, mit dem ich mich anfreunden kann. Aber da stellt sich mir zwangsläufig die Frage, was einen "Andersdenkenden" denn jetzt genau ausmacht. Bin ich ein "Andersdenkender" und ein gewolltes Produkt des guten Bildungssystems, wenn ich mich in Verschwörungstheorien und Desinformationen zurückziehe?

    Das simple Reiterieren von nachweislich falschen Aussagen, möchte ich bitte nicht mit der Tätigkeit des "Denkens" in Verbindung gebracht sehen. In diesem Kontext ist "Querdenker" oder "Andersdenkender" einfach nur ein Euphemismus und keine treffende Bezeichnung.


    Anders als du sehe ich den Widerstand, der sich u.a. in der Querdenker-Bewegung manifestiert, nicht per se als Problem an, auch nicht als das Resultat eines kognitiven oder bildungspolitischen Defizits, sondern als Teil einer möglichen Lösung. Eine demokratische Gesellschaft braucht "Abweichler". Sie lebt vom Diskurs unter Einbeziehung auch scheinbar unbequemer Meinungen.


    Möchte an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass ich mich eigentlich nicht an der jetzigen Querdenker-Bewegung aufhängen möchte. Auch sollten meine Fragen tatsächlich eher neugieriger Natur sein und nicht irgendwie großartig mit Meinung aufgeladen. Bin durch das Interview auf 'nen Gedankengang gestoßen, der mir einfach recht viele Fragen aufgeworfen hat.


    Die Annahmen sind:

    1) Eine geteilte Realität (zumindest zum Teil) ist essentiell für eine Gesellschaft und für das Funktionieren einer Demokratie.

    2) Die Schnittmengen der Realitäten schrumpfen durch eine steigende Komplexität der Verhältnisse.


    1. halte ich erstmal für relativ unkontrovers (?)

    2. kann man sicher drüber streiten, aber das ist doch im Grunde eine häufig zitierte Erklärung für z.B. Verschwörungstheoretiker. Wurde im Interview ja auch aufgegriffen.


    Stimmen beide Annahmen, folgt daraus für mich, dass wir die Grenzen dessen, was wir durch demokratischen Diskurs bewältigen können, irgendwann erreichen _könnten_. Wie gesagt, unterliegt die Schlussfolgerung möglicherweise einem dicken Fehler, aber selbst dann, ist es ja keine zu absurde Zukunftsvision, die man nicht mal als Gedankenspiel in Betracht ziehen dürfte.


    Und wenn ich mich an dieses Gedankenspiel wage, drängt sich die Frage auf:

    Wie verhindern wir, dass es dazu kommt. Wird der Mensch und seine Kognition dabei im Mittelpunkt stehen oder entscheidet sich alles daran, wie tief wir z.B. durch den Klimawandel in die Scheiße geritten werden? Oder wird unsere Adaptionsfähigkeit doch schnell genug für potenziell immer häufiger auftretende Disruptionen sein? Und so on und so on...

  • Schönes Interview Tilo!


    Vor allem unterstützen würde ich die Forderung nach der Aufnahme grundlegender psychologischer Funktionsmodelle in die Schulbildung. Diese zwei Denkkreisläufe im Gehirn, die ja auch den in jedem Menschen vorhandenen Rassismus begründen, sollten jedem bewusst sein bzw. gemacht werden.


    Edit: Das hat Hagen Rether mal herrlich veranschaulicht!

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